Am jüdischen Feiertag Jom Kippur wollte der Neonazi Stephan B. im deutschen Halle Juden ermorden – er konnte aber nicht in die Synagoge eindringen.

Foto: Imago/Boness

"Ein Deutscher macht einen auf T.?", postet User anon24431009 aus Wien am Tag des Terroranschlags von Halle, dem 9. Oktober 2019, sichtlich erregt in einem US-Neonazi-Forum. "In dem Stream wurde ein Song von Mr. Bond gespielt?" Die Erregung des Users ist nicht verwunderlich: Er ist selbst der Wiener Musiker Mr. Bond, der aus den Charts bekannte Hits mit neonazistischen Texten neu vertont. Seine Musik wurde vom Attentäter Stephan B. abgespielt, als sich dieser auf den Weg zur Synagoge von Halle machte.

Stephan B. tat es seinem Vorbild gleich: Nur Monate zuvor hatte der Rechtsextremist Brenton T. bei seinem Angriff auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) 51 Menschen vor laufender Kamera getötet. Stephan B. wird im Sommer 2020 vor Gericht aussagen, bei seinem Anschlag sei alles gut geplant gewesen, auch die Musiktitel. Sie sollten als "Kommentar zur Tat" fungieren.

Den Abzug seiner Waffe hat er alleine gedrückt, hinter ihm steht aber ein Online-Netzwerk, dessen Mitglieder immer wieder zu Anschlägen aufrufen – wie auch Mr. Bond aus Wien. Wie muss Musik beschaffen sein, um als "Kommentar" oder gar Motivation für faschistischen Terror zu funktionieren, und wer verbreitet diese Musik über Jahre – ohne von den Behörden behelligt zu werden?

Der STANDARD und das ARD-Politikmagazin "Report München" haben dem rappenden Neonazi aus Wien monatelang nachrecherchiert. Ihnen liegen tausende Einträge des Urhebers aus verschiedenen Onlineportalen vor, in denen der Wiener seine menschenverachtenden Ansichten preisgibt und zu weiteren rechtsterroristischen Anschlägen aufruft.

Online-Neonazi-Untergrund

Seit Jahren ist der Wiener Mr. Bond alias anon24431009 in faschistischen Foren unterwegs. Auf sogenannten Imageboards und im Darknet tauscht er sich nicht nur über seine Hobbys – wie das Radfahren und Gewichtheben oder seine Familie – aus, sondern verbreitet dort auch rassistische Hetze.

Hinter politischen Ereignissen vermutet er regelmäßig eine jüdischen Verschwörung, und den Holocaust an sechs Millionen Juden leugnet er gleich völlig: "Holohoax". Auch viele von Mr. Bonds – durchwegs männlichen – Onlinefreunden wünschen sich mehr rassistische Attentäter. In ihren Augen ist der Rechtsterrorist aus Christchurch ein Heiliger: "St. Brenton. Ich liebe diesen Mann", schreibt der Wiener am Tag nach T.s kaltblütigem Mord an 51 Menschen. "Stellt euch 100 Brentons vor – auf der ganzen Welt!" Und weiter: "Auch wir müssen uns bereit machen, um losschlagen zu können, und das sehr bald."

Am 21. Juni 2019 jubelte er wieder in einem US-amerikanischen Forum: "Wir haben einen neuen deutschen Helden!" Dieser habe "einen antideutschen, antiweißen Politiker weggeblasen!". Wenige Tage zuvor hatte mutmaßlich der Neonazi Stephan E. den deutschen Politiker Walter Lübcke erschossen – wegen dessen liberaler Haltung zu Geflüchteten.

Wenige Monate später hat wieder einer zugeschlagen, der Halle-Attentäter Stephan B., inspiriert von Mr. Bonds Musik.

Die deutsche Journalistin Karolin Schwarz ist in ihrem Buch "Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus" dem Phänomen der Online-Radikalisierung auf den Grund gegangen. In den rechtsextremen Foren und Imageboards "spricht man die gleiche Sprache und findet Unterstützung für seine Gewaltphantasien". Das schaffe ein hohes Identifikationspotenzial für junge, verunsicherte Männer. Zudem finde hier die Verbreitung faschistischer Hetze statt. Ausgehend von einschlägigen Plattformen wurden rund 800 Versionen des Videos des Christchurch-Attentäters im Egoshooter-Stil im Internet gestreut, weiß Schwarz.

Eines davon von Mr. Bond selbst, unter dem Titel "I need a T." ("Ich brauche einen T."). Schwarz zufolge spielt Frauenfeindlichkeit eine ganze große Rolle in der Onlinewelt der Rechtsextremen. Sexismus und Antifeminismus fungieren als "anschlussfähige Ideologien in der Mitte der Gesellschaft für den Einstieg in die Szene".

Gewaltphantasien

Dass Mr. Bonds Musik zum Soundtrack des faschistischen Terrors gemacht wird, verwundert wenig. Unter dem Deckmantel des "Parody-Rap" übernimmt er die Musik bekannter Hits und singt oder rappt dazu neue, durch und durch rassistische Texte. Aus dem Welthit der Scorpions wird "Wind of Adolf", "The mosque is on fire" singt er zur Musik der Bloodhound Gang, und aus Fort Minors Lied "Where'd You Go" wird eine Ode an Adolf Hitler. In Bonds Persiflage auf Gucci Manes Lied "Supa Cocky" imaginiert sich der Wiener selbst als "Supanazi" und formuliert Vergasungsfantasien gegen jüdische Neugeborene. Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) hat Mr. Bonds Texte und Social-Media-Verhalten analysiert.

Der Mann erweise sich "als glühender Rassist, Antisemit und als bekennender Nationalsozialist". Seine an sich schon gewaltdurchtränkte Weltanschauung gebe, "in Kombination mit der Faszination für Massenmörder und den bekannten Mechanismen der Fanatisierung in Imageboards und Foren, allemal Grund zur Sorge," so der Rechtsextremismus-Experte. Dies stellte der Wiener Musiker ein ums andere Mal unter Beweis, indem er wiederholt versuchte, zu Terroranschlägen zu motivieren.

Christchurch-Manifest

Am 24. März 2019 schrieb User anon24431009: "Alle Tippfehler sind weg. Dies ist die finale Datei. Ich glaube, sie enthält keine Metadaten mehr." Nachdem er tagelang seine laufende Übersetzungsarbeit auf einer Plattform kommentiert hat, verlinkt der Wiener eine exakt 100 Seiten fassende PDF-Datei mit dem Titel "Der große Austausch".

Es handelt sich dabei um die Übersetzung des Manifests von Brenton T. zum Terroranschlag in Christchurch. Sie steckt voller Rassismus und Aufrufe zum Mord an Migranten und Juden. Alle Hinweise auf die Urheberschaft der Übersetzung, die Metadaten, hat Mr. Bond sorgfältig entfernt. Noch heute ist Mr. Bonds Datei vom 24. März online zu finden. Dass sich der Mann hinter Mr. Bond nicht nur im Darkweb mit seinesgleichen umgibt, zeigen seine Versuche, im Forum der US-Neonazi-Website "Daily Stormer" schon im Jahr 2017 ein Treffen von "Stormers" in Wien zu organisieren – gemeinsam mit einem Wiener, der die Behörden spätestens seit der Berichterstattung des STANDARD im Jänner dieses Jahres beschäftigt: dem Betreiber der verhetzenden Website "Judas.Watch".

Tatsächlich stattgefunden haben, seinen eigenen Angaben zufolge, immerhin mehrere Treffen Mr. Bonds mit den rechtsextremen Aktivisten der Identitären Bewegung. Das belegen Einträge, die dem STANDARD und ARD-"Report München" vorliegen.

Unbehelligt hetzen

Dass der Wiener seit Jahren im Internet zu rassistischen Gewalttaten aufstacheln kann, mag verwundern. Aufgrund laufender Ermittlungen und wegen des Datenschutzes halten sich Behördenvertreter auf Anfrage von DER STANDARD und ARD-"Report München" bedeckt.

Ein Sprecher des Innenministeriums in Wien versichert lediglich, man würde alle sich bietenden Ermittlungsansätze nützen und die gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Ermittlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen, "auch im Austausch mit ausländischen Behörden", so Patrick Maierhofer vom BMI.

Am 14. Oktober 2019, wenige Tage nach dem Anschlag in Halle, zieht Mr. Bond in einem Forum enttäuscht Bilanz und schreibt: "Jetzt ist es offiziell. Der Typ erschoss nur zwei Deutsche, keine Moslems oder Ähnliches. Ein massives Versagen." Ein Urteil, das man durchaus auch der Arbeit der Sicherheitsbehörden ausstellen könnte – nach Jahren der rassistischen Hetze und des Aufstachelns zum Mord durch Österreicher im Internet. (Christof Mackinger, Sabina Wolf, 22.9.2020)