Wien – Die SPÖ ist mit den neuen Corona-Gesetzen von Türkis-Grün zufrieden, die zur Wochenmitte vom Nationalrat abgesegnet werden sollen – doch die FPÖ und die Neos sehen bei einigen Passagen nach wie vor rot. In Anlehnung an die NS-Zeit wettert man bei Blau gar über eine "Rollkommando-Politik", Pink dagegen spricht lieber von "verfassungswidrigen Ermächtigungen".

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl will bei der Nationalratssitzung am Mittwoch einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung einbringen. Die Neos wiederum bleiben schlicht bei ihrem strikten Nein zu den weitreichenden Befugnissen, mit denen sich die Koalition rechtlich für einen neuen Lockdown mit möglichen Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverboten rüsten will – für Arbeits- und Betriebsstätten etwa, aber auch für Verkehrsmittel inklusive privater Fahrzeuge.

Der Wiener Prater während des Lockdowns im Frühjahr.
Foto: Regine Hendrich

Ist die Kritik der beiden Oppositionsparteien überzogen – wo doch die meisten angehörten Experten im Gesundheitsausschuss grünes Licht für die Novellen des Epidemiegesetzes, des Tuberkulosegesetzes und des Covid-19-Maßnahmengesetzes gegeben haben? Auch wenn damit nicht unbedingt "ein Polizeistaat" droht, wie von der FPÖ beanstandet, so lassen erst recht wieder einige Passagen in dem unter Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) mehrfach überarbeiteten Entwurf aufhorchen.

Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak führt etwa ins Treffen, dass der Gesundheitsminister im nun zu beschließenden Gesetz gar "das Betreten und Befahren von bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit", auch ohne Ausnahmen, verbieten könne – und mit ihm in bestimmten Regionen auch Landeshauptleute sowie die Bezirksverwaltungsbehörden. Als Voraussetzung für Ausgangssperren nennt der Gesetzestext neben einem "drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung" eher vage auch "ähnlich gelagerte Notsituationen". Dann könne per simpler Verordnung angeordnet werden, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur mehr zu bestimmten Zwecken zulässig ist – unter anderem sind da wieder Arbeitswege, Hilfswege für andere, Besorgungswege sowie Erholung im Freien angeführt.

Kein Veto der Opposition möglich

Für all das reiche eine einfache Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats aus, erklärt Scherak. Bedeutet: SPÖ, FPÖ und Neos könnten zwar Einwände erheben, aber Türkis-Grün dennoch einen "totalen Lockdown" durchziehen. Und damit nicht genug: Auf Ebene der Bezirksverwaltungsbehörden könnte ohne jede Rücksprache eine Region komplett lahmgelegt werden.

Immerhin: Jene Passage, die den Behörden in Betrieben im Zuge von Corona-Kontrollen eingeräumt hatte, in alle möglichen Unterlagen Einsicht zu nehmen, wurde von Anschobers Ressort präzisiert. Hier hatten die Neos, aber auch Anwältevertreter sowie die Journalistengewerkschaft zuletzt moniert, dass es zu unverhältnismäßigen Hausdurchsuchungen kommen könnte. An dieser Stelle heißt unter dem Stichwort "Kontrolle" nun konkret: "Dazu sind die Organe der Bezirksverwaltungsbehörde und die von ihnen herangezogenen Sachverständigen berechtigt, Betriebsstätten, Arbeitsorte, Verkehrsmittel und bestimmte Orte zu betreten und zu besichtigen sowie in alle Unterlagen, die mit der Einhaltung von Voraussetzungen und Auflagen nach diesem Bundesgesetz im Zusammenhang stehen, Einsicht zu nehmen und Beweismittel zu sichern." Heißt: Das Filzen von Unterlagen muss quasi direkt mit dem Covid-19-Maßnahmengesetz in Verbindung stehen.

Verlängerungs-Verordnung möglich

Für viel Kritik sorgt derzeit aber auch ein türkis-grüner Abänderungsantrag, der erst am Montag eingebracht wurde. Demnach darf die Regierung, "sofern dies aufgrund der epidemiologischen Situation erforderlich ist", durch Verordnung das Covid-Maßnahmengesetz um ein halbes Jahr bis Ende 2021 verlängern. Sprich: Nicht das Parlament als Gesetzgeber, sondern die Regierung bestimmt, wie lange das Gesetz gilt.

Beim Expertenhearing im Gesundheitsausschuss gab es zu dieser Regelung massive Bedenken, etwa seitens des Verfassungsjuristen Konrad Lachmayr. Er monierte, dass es der Gewaltentrennung widerspreche, die Exekutive über das Außerkrafttreten des Gesetzes verfügen zu lassen. Er meldete daher Zweifel an, ob die Verordnungsermächtigung verfassungskonform ist, und auch der Jurist Georg Krakow von Transparency International regte eine Streichung dieser Klausel an. Verfassungsexperte Heinz Mayer hält die Option hingegen für zulässig, weil die Verlängerung nur höchstens ein halbes Jahr gelten darf und durch das Gesetz ausreichend eingegrenzt sei.

Auf dessen Argumentation beruft sich nun auch die SPÖ, die dem Gesetz am Mittwoch im Plenum zustimmen wird – was wiederum bei Neos-Vizeklubchef Scherak für Empörung sorgt. Er wirft den Sozialdemokraten vor, bei einer "Aushebelung des Parlaments" durch Türkis-Grün mitzustimmen und wittert einen klaren Verfassungsbruch. Die SPÖ kontert: Man habe in den Verhandlungen immerhin den türkis-grünen Plan abwenden können, das Gesetz von vornherein fix bis Ende 2021 gelten zu lassen. (Nina Weißensteiner, Theo Anders, 22.9.2020)