Bunt unterhalb einer Trauerweide. Ein schönes Sinnbild für Pippas Album "Idiotenparadies".

Foto: Gabriel Hyden

Man freut sich ja schon wieder auf eine Zeit, in der ein Text einmal ohne die obligatorische Corona-Beschwerde sein Auslangen findet, doch noch ist es nicht so weit. Zum neuen Album von Pippa passt es fast schon über die Maßen. Das Album heißt scharfsinnig Idiotenparadies und wird am Samstag seine lang ersehnte Live-Aufführung im Wiener Porgy & Bess erleben, Halleluja.

Zur Pandemie passt natürlich die melancholische Perspektive, der sich Phillippa Galli als Pippa verschrieben hat. Ihr Glas ist nicht bloß halbleer, es hat mindestens schon einen Sprung. Meine Traurigkeit heißt ein Lied auf der neuen Platte. Erscheinen sollen hätte das Werk stimmungsungünstig im Frühjahr, zum nun einsetzenden Herbst passt es allerdings viel besser. Wie um das zu untermauern, heißt der erste Song dann auch gleich wenig hoffnungsfroh Dystopia. Das Glas bricht dennoch nicht.

Denn was auf dem Papier bisher wie ein Downer geklungen hat, wird über das Abspielgerät zum Hochamt. Denn natürlich offenbart die Kunst in der vermeintlichen Trübnis die spannenderen Ergebnisse als im heiteren La-Le-Lu-Gesang für ein gehirnamputiertes Publikum im Promillehimmel.

Schnittige Popsongs

Apropos: Idiotenparadies ist das zweite Album der Pippa Galli nach ihrem im Vorjahr veröffentlichten Debüt Superland. Zuvor war Galli in anderen Fächern eher aufgefallen als in der Musik. Als Schauspielerin hatte sie Auftritte im Tatort, bei Schnell ermittelt, Soko Kitzbühel oder den Copstories. Sie war in der Werbung zu sehen und als Erzählerin im Radio zu hören, mittlerweile singt sie aus dem Empfangsgerät.

Pippa

Pippas Fach ist der deutschsprachige Pop. Da haben viele heimische Sängerinnen und Sänger einen gewissen Geburtsortnachteil, nicht so Pippa. Die aus Wien stammende Mittdreißigerin pflegt zwar die der Hauptstadt eigene Melancholie, ihrem Idiom ist das nicht anzuhören. Auch ergeht sie sich nicht ausschließlich in betrübten Nabelschauen, ihr Debüt wies mit Liedern wie Tattoo schnittige Popsongs auf, wie sie aus der New-Wave-Zeit bekannt sind.

Auf Idiotenparadies ist es ein Song wie Tagada, der einen Abstecher in den Rap macht – ohne deshalb Hip-Hop sein zu wollen. Mit dabei ist hier die Band Neuschnee. Deren Chef heißt Hans Wagner und ist der Lebensgefährte Gallis und wesentlich in die Produktion von Idiotenparadies involviert gewesen.

Doch Partymusik zählt nicht zur Kernkompetenz Pippas. Ihr Anliegen sind Geschichten aus dem Alltag, kleine Begebenheiten, die das große Ganze zu erklären vermögen. Oder auch nicht, siehe den Albumtitel.

Sehnsuchtsseufzer

Ein Lied wie Wien du machst mich verrückt endet mit Scratchings, am Ende schließt Pippa mit der Ballade Coco Chanel. Ein Stück alltagstauglicher Existenzialismus, ein vielsilbiger Sehnsuchtsseufzer, der mit der Oberflächlichkeit der Umgebung hadert und dann in einer kleinen Fantasie sein Entlastungsgerinne findet. Das Gitarrenspiel wird flockiger, swingt leicht Sixties-mäßig, während es mit dem Refrain eins wird. Geübte Melancholiker wissen ihre Gemüter stets auch wieder zu beruhigen. Es ist noch nicht alles wieder gut, aber es wird schon. Hoffentlich. (Karl Fluch, 22.9.2020)