Wenig Vergnügen im australischen Melbourne: In der Stadt herrscht ein weitgehender Lockdown.

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"Zweite Welle", "neue Phase" oder "derzeit erhöhtes Infektionsgeschehen": Welchen Begriff man den in vielen Ländern steigenden Corona-Zahlen nun überstülpen will, ist immer wieder Gegenstand von Debatten – sogar innerhalb der österreichischen Bundesregierung. Einmal mehr spiegelt sich dabei die Unsicherheit im Umgang mit den Statistiken wider: Wie aussagekräftig sind höhere Infektionszahlen in einem Land, wenn dort vermehrt getestet wird?

Und selbst wenn man beides zueinander ins Verhältnis setzt: Muss die Bedeutung der Zahlen nicht trotzdem relativiert werden, weil es eben einen Unterschied macht, ob man hauptsächlich Menschen mit Covid-19-Symptomen testet oder andere Prioritäten setzt, etwa bei Reiserückkehrern oder bei bestimmten Berufsgruppen?

Neue Orientierungslosigkeit

Dennoch: Die neue Orientierungslosigkeit anhand aktueller Daten lässt Erinnerungen an den Frühling wachwerden, als die Welt von der Corona-Pandemie kalt erwischt wurde. Zwar hatte man mit steigenden Infektionsraten im Herbst gerechnet; dass die Entwicklung vielerorts aber so früh einsetzt, ist doch eine unangenehme Überraschung – gerade auch in Staaten, die die Bekämpfung der Pandemie anfangs besonders gut im Griff hatten.

  • Tschechien galt im Frühling mit seinen Anti-Corona-Maßnahmen – zumindest zahlenmäßig – als vorbildlich. Während Österreich Ende März ein paar Mal knapp an der Marke von 1000 Neuinfizierten innerhalb eines Tages kratzte, blieb das Zehn-Millionen-Einwohner-Land damals stets weit unter 400. Nun hat sich das Blatt gewendet: Fast täglich kamen in Tschechien zuletzt mehr als 1000 Infizierte hinzu, vorigen Donnerstag waren es gar mehr als 3000. Von den zunächst strikten Regelungen – beispielsweise Maskenpflicht im gesamten öffentlichen Raum, also auch beim Spaziergang auf der Straße – schwenkte Tschechien im Sommer ins andere Extrem um. Selbst Premier Andrej Babiš bezeichnete die Lockerungen mittlerweile als "Fehler". Die Slowakei hat wieder Reisebeschränkungen gegen Tschechien eingeführt. Am Montag trat Gesundheitsminister Adam Vojtěch zurück. Sein Nachfolger Roman Prymula gilt als Hardliner im Anti-Corona-Kampf.
  • Israel hat knapp neun Millionen Einwohner, ist also gut vergleichbar mit Österreich. Die Gesamtzahl der Infektionen im ehemaligen Vorzeigeland ist aber mit 190.000 inzwischen fast fünfmal so hoch. Besonders betroffen sind arabische und ultraorthodoxe jüdische Wohnviertel, wo häufig größere Familien auf engem Raum zusammenleben. Ein neuerlicher dreiwöchiger Lockdown soll das Virus jetzt bremsen: Schulen und Kindergärten sind geschlossen, Menschen dürfen sich nur in Ausnahmefällen weiter als einen Kilometer von zu Hause entfernen.
  • Costa Rica zählt ebenfalls zu den früher begünstigten Ländern, in denen die Zahl der Corona-Neuinfektionen nun in die Höhe schnellt. Bereits seit Ende August werden in dem Knapp-fünf-Millionen-Einwohner-Land täglich mehr als 1000 Neuinfektionen verzeichnet. Insgesamt gab es bisher mehr als 65.000 bestätigte Infektionen.
  • Australien freute sich bereits im April über einen rasanten Rückgang der Fallzahlen und lockerte ebenfalls die Corona-Regeln. Im Juli stiegen die Zahlen der Neuinfektionen aber wieder an – besonders im Bundesstaat Victoria mit der Millionenmetropole Melbourne. Ein regionaler Lockdown inklusive nächtlicher Ausgangssperre soll noch bis 28. September gelten, bis Mitte Dezember bleiben die Grenzen Australiens für Besucher aus dem Ausland geschlossen. (Gerald Schubert, 23.9.2020)