Heinz-Christian Strache spricht von einer "in der Zweiten Republik beispiellosen Hetzkampagne" und meint damit zwar sich selbst, allerdings als Opfer. Ein "Beweis" dafür sei, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nun ihre Ermittlungen gegen das blaue Vereinsnetzwerk eingestellt hat. Das ist auf mehreren Ebenen plump und falsch.

Erstens sollte es eigentlich die Mindestanforderung an Politiker sein, nicht angeklagt zu werden. Jeder Politiker, der gerichtlich verurteilt wird, hat sich inakzeptabel verhalten. Das bedeutet im Umkehrschluss aber keinesfalls, dass sich alle Politiker, die nicht verurteilt wurden, akzeptabel verhalten haben.

"Die Grenze nach rechts ist das Strafrecht", verteidigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einst seine Koalition mit der FPÖ. Den politischen Anstand verliert man aber nicht erst bei der Grenze zum Strafrecht, sondern schon viel früher. Prahlerische Aussagen vor falschen Oligarchinnen, man könne Geld "am Rechnungshof vorbei" schleusen, verletzen diesen Anstand massiv.

Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sieht sich als Opfer einer Hetzkampagne.
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Zweitens kann die Korruptionsbekämpfung nur gelingen, wenn der Justiz entsprechende Instrumente zur Verfügung stehen. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International hält sich Österreich zwar im oberen Drittel, schneidet jedoch deutlich hinter Spitzenreitern in Skandinavien oder Neuseeland ab.

Korruptionsfantasien

Dass es nicht strafbar ist, Deals abzuschließen, die auf künftige Ämter gerichtet sind, bezeichnete sogar die WKStA erstaunlich offen als "Gesetzeslücke". Sprich: Strache und sein einstiger Adlatus Johann Gudenus kamen auch deshalb ungeschoren davon, weil man hierzulande alle möglichen Korruptionsfantasien als Regierungsmitglied versprechen kann, solange man selbst noch keines ist – auch wenn in wenigen Monaten Wahlen anstehen. Hier sollte Justizministerin Alma Zadić rasch die versprochenen Reformen vorlegen. Auch das Geldsammeln für parteinahe Vereine ist kaum strafrechtlich erfassbar. Aber immerhin muss man der FPÖ hier zugutehalten, sich ein Vorbild an anderen Parteien genommen zu haben.

Drittens ist die Einstellung der Ermittlungen kein Blankoschein für Strache. Die Staatsanwaltschaft Wien rückt in ihren Ermittlungen zur sogenannten Spesenaffäre immer näher an eine Anklage heran, gefunden wurde ein Schaden von deutlich über 300.000 Euro – damit erhöht sich der potenzielle Strafrahmen auf zehn Jahre. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Abseits davon ist Strache nach wie vor Beschuldigter in der Causa Privatkliniken und in der Casinos-Affäre. Nur mehr drei statt vier Ermittlungen am Hals zu haben macht keinen Saubermann aus dem Beschuldigten.

Aber noch wichtiger als die Frage der Strache’schen Moral ist der Blick auf die Politik insgesamt. Die eingestellten Vereinsermittlungen sollten die wichtige Debatte über den Einfluss spendabler Gönner auf politische Entscheidungsträger neu aufflammen lassen. Warum mehrere Unternehmen quasi nicht existente Vereine mit hunderttausenden Euro unterstützt haben, bleibt nach wie vor ungeklärt. Und in anderen Parteifarben existieren ähnliche Vereinsnetze, vielleicht mit einer Prise mehr Aktivität.

Reformen, um hier für Transparenz zu sorgen, blieben bisher allerdings aus – auch wenn sie nach Ibiza groß versprochen wurden. Warum bloß? (Fabian Schmid, 22.9.2020)