Wer dem heimischen Rap-Star Mavi Phoenix (25) auf Instagram folgt, der staunt über seine persönlichen, entspannten Postings: ein junger Mann, der glücklich in die Kamera blickt, weil sich ein zarter Bartflaum auf seiner Oberlippe abzeichnet. Ein Bild, unter dem steht: "Starting T tomorrow! See you on the other side." T steht für das männliche Hormon Testosteron, das der Musiker seit kurzem als Cremebehandlung anwendet.

"Mr. Mavi Marlon Phoenix" steht über dem Account. Und man hat den Eindruck: Da ist jemand bei sich angekommen. Und möchte einen Schritt auf andere zutun in Sachen Aufklärung, was es heißt, als Trans-Mann zu leben.

Auf dem Foto von Yannick Schuette trägt Rapper Mavi Phoenix einen Blazer von Dries Van Noten.
Foto: Yannick Schuette

Seit seinem Coming out im Herbst 2019 ist Mavi Marlon Phoenix so etwas wie ein Trans-Botschafter, jemand, der Brücken schlagen möchte, Leuten, die mit dem Thema noch nie in Berührung gekommen sind, erklären, was das bedeutet. Und damit auch Vorurteile abbauen. Ein Role-Model sein für andere, denen es vielleicht ähnlich geht.

Ist das nicht auch ziemlich anstrengend? "Als Transgender-Person darf man nicht ungeduldig sein. Ich finde, es ist eher ein Privileg, dass ich die Plattform habe, um offen darüber zu reden", sagt Mavi Phoenix, der mit bürgerlichem Namen nun Marlon Nader heißt, in einem kleinen Café in der Nähe des Wiener Kutschkermarkts. Er ist 15 Minuten zu früh gekommen, trägt ein oversized Hoodie, weite Jeans, Converse-Sneakers und vermittelt einem das Gefühl: Frag einfach, was du wissen möchtest. Alles easy!

Transzendenz

Sein Linzer Akzent klingt nach wie vor durch, eine sympathische Bodenständigkeit prägt den Auftritt. "Bevor ich mich als trans geoutet habe, war ich immer extrem unnahbar für Musikerkollegen und Journalisten", sagt er: "Ich wusste nicht, was ich da tue, was ich wirklich möchte. Jetzt plaudere ich aus dem Nähkästchen." Durch T sei die Stimme tiefer geworden, die Körperbehaarung nimmt zu, Pickel sprießen. "Ich schwitze voll. Aber psychisch geht es mir extrem gut. Es war eher davor eine Berg- und Talfahrt."

Warum er sich gerade jetzt geoutet hat, liegt auch an der Aufbruchsstimmung, die herrscht: Trans-Identitäten sind seit einigen Jahren in den Medien präsenter als je zuvor. "Es gibt nicht nur die eine Trans-Geschichte", sagt etwa die US-Schauspielerin und Transaktivistin Laverne Cox, die durch ihre Darstellung einer Trans-Figur in der Erfolgs-TV-Serie Orange Is the New Black einem breiten Publikum bekannt wurde.

"Es geht darum, Individuen zuzuhören, mehr und mehr Trans-Menschen sind bereit, ihre persönliche Geschichte zu erzählen." Repräsentation und Vorbilder sind wichtig, um sich selbst zu finden. Auch Mavi Phoenix hatte durch Outings von anderen das Gefühl, jetzt sei Zeit und Raum, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Auch für das Management war es eine Überraschung. "Es hat jeder gewusst, dass ich auf Frauen stehe, aber damit hat keiner gerechnet. Ich habe ja auch nie etwas gesagt." Der Corona-Lockdown diesen März war insofern auch eine gute Ruhephase, um sich neu zu ordnen.

Neue Fans gewonnen

Nach dem Coming out hat Phoenix Fans verloren, aber mittlerweile wieder neue gewonnen. Er nimmt es gelassen: "Einige sind mir vielleicht nur ‚gefollowt‘, weil ich eine hübsche Frau bin. Die sind jetzt weg. Dafür gibt es viele, die mich vielleicht einen hübschen Mann finden." Absurde Reaktionen gab es aber auch: Das sei doch nur ein Marketing-Gag! Oder: Das Internet sei schuld!

"Das haben meine Eltern am Anfang auch gedacht, weil ich ja praktisch im Internet lebe", sagt Phoenix: "Aber mittlerweile bin ich für Freunde und Eltern einfach der Marlon, das ist ganz normal geworden." Der Stage-Name Mavi Phoenix wird aber bleiben: "Es ist ein cooler Unisex-Name und meine Geschichte. Ich kann mich nach wie vor damit identifizieren."

Bomberjacke mit Klebepunkten gestylt von Natasha Zinko x Duo, Sonnenbrille von Le Specs.
Foto: Yannick Schuette

Er ist eher amüsiert, was einem manchmal passiert. Letztens etwa, erzählt er, beim Beratungstermin in der Bank, wo es darum ging zu klären, wie schwierig es sei, den Namen legal ändern zu lassen, fragt die Bankangestellte überraschend direkt: "Haben Sie denn jetzt vor, alle Operationen machen zu lassen?" Das ist schon ziemlich übergriffig. Man könnte zu Recht pikiert reagieren. Marlon aber sagt: "Ganz ehrlich, mir sind solche Leute lieber, weil sie keine Angst haben, da kann ich reagieren. Viel schwieriger ist es, wenn sich wer krampfhaft bemüht, nur nichts falsch zu machen. Das geht meistens schief."

Patriarchat unter Erklärzwang

Boys Toys, das lang erwartete Debütalbum von Mavi Phoenix, ist trotz Corona im April dieses Jahres erschienen. Es ist ein Konzeptalbum mit der Kunstfigur Boys Toys, die durch die Tracks führt, eine kindliche Persona von Mavi Phoenix, unsicher und auftrumpfend, sensibel und aufbrausend zugleich. Auch musikalisch ist das Album vielfältig und spannend.

Ein Alter Ego sucht da nach seiner Identität, erzählt von Einsamkeit, Wut und Furcht, was die anderen sagen werden. Aber auch von der Freude, endlich sein zu dürfen, wer man ist. Der Song Bullet in My Heart thematisiert die inneren Kämpfe.

Bomberjacke und Hose von Natasha Zinko x Duo, Sonnenbrille von Le Specs und Schuhe von Converse.
Foto: Yannick Schuette

Seinen eigenen Weg zu finden ist gar nicht so einfach. So viele Männerbilder, aber auch Männerklischees prasseln auf einen nieder, vom Raufbold und Stänkerer (Choose Your Fighter) über den sexy Fuckboy (Strawberries) bis zum fürsorglichen Familienvater (Family). Wo soll man sich selbst verorten?

In Interviews hat Mavi Phoenix betont, er möchte ein normaler Typ sein. Aber was ist schon normal? Männlichkeit gerät zunehmend als toxisch unter Kritik (Stichwort: weiße alte Männer). Die #MeToo-Bewegung stärkt weibliches Selbstbewusstsein und Solidarität, das Patriarchat steht unter Erklärungszwang.

In der Musikszene zeichnet sich eine Aufbruchsstimmung ab: Junge, feministische Acts werden gefeiert. Auch Mavi Phoenix galt lange als Vorzeige-Rapperin, als internationale Senkrechtstarterin aus Österreich. Man merkte in Interviews aber auch, dass es dem Hip-Hop-Star irgendwie schwerfiel, diese Rolle zu erfüllen. "Ich habe mich immer gefragt, warum kann ich nicht wie andere Frauen voll für Pussy Power einstehen? Ich habe es einfach nicht gefühlt", erkennt er nun aus der Distanz.

Pullover von MSGM.
Foto: Yannick Schuette

Er erlebt aber auch, dass Männer im Alltag anders behandelt werden als Frauen. "Sie sind in einer privilegierten Situation, das merke ich daran, wie viel nicer man im Kaffeehaus bedient oder auf der Straße angeschaut wird", sagt der Musiker. Als junge Frau wird man viel schneller sexualisiert, gerade im Musikbusiness.

Geschlechterrollen sind ohnehin konstruiert. Nicht nur durch Kleidung, auch durch Verhalten drücken wir aus, wer wir sein möchten. Ist die Versuchung da nicht groß, Männlichkeit durch Klischees herzustellen? Breitbeinig dasitzen, laut reden, Bier trinken.

Latex-Bomberjacke, Hose von Arthur Avellano.
Foto: Yannick Schuette

"Klar habe ich auch übertrieben, und es ist mir noch immer peinlich. Manchmal macht man einfach zu viel, damit es eh jeder checkt", reflektiert er: "Es ist eine ständige Arbeit, zu hinterfragen, wie man sich verhält. Ich bin sehr aufmerksam, möchte voll aufpassen, weil ich merke, dass man es als Mann so viel einfacher hat. Ich nehme mir auch als Trans-Mann heraus, etwas zum Thema Feminismus zu sagen".

Vorbildrolle

Gerade weil Männlichkeit einen schlechten Ruf hat, sieht Phoenix eine Chance, etwas anderes vorzuleben: "Teilweise fühle ich mich auch nicht wohl mit Macho-Freunden aus Linz. Sicherlich habe ich, wenn man so will, auch viele ‚weibliche‘ Seiten, die ich nicht verlieren möchte. Mir ist die körperliche Veränderung wichtig. Innerlich bin ich sowieso der, der ich immer war. Man kann doch auch ein liebevoller, fürsorglicher und warmherziger Typ sein."

Vom Look her hat sich Mavi Phoenix ohnehin wenig verändert: die blondierten Haare mit Mittelscheitel, eine Hommage an die Boybands der 1990er- und 2000er-Jahre. Nick Carter lässt grüßen! Mavi Phoenix ist ein Backstreet Boy. Eigentlich ein Look, der viele schwule Jungs inspiriert hat. "Ich mag es, ein bisschen metrosexuell auszusehen. Selbst wenn ich einen Bart bekommen würde, ich würde ihn mir wahrscheinlich abrasieren", sagt er: "Ich habe auf den sozialen Medien auch viele Nachrichten von schwulen Burschen bekommen, die mich attraktiv finden."

Sweater von Li-Ning, Hose von Visual Society, Sneakers von Moncler x Graig Green.
Foto: Yannick Schuette

Die Auto-Tune-Exzesse von Cloud-Rap mit seinen dadaistischen Texten, die hochgepitchten Stimmen klingen geschlechterneutral. Wird sich die Musik denn jetzt verändern? "Wir waren schon im Studio, haben einen neuen Song aufgenommen ohne Auto-Tune, das ich auch oft verwendet habe, weil ich meine natürliche Stimme nicht so gern mochte. Es war cool, einmal zu hören, wie sich meine tiefere Stimme anhört. Mavi Phoenix wird definitiv ein wenig anders klingen in Zukunft."

Befreiend

Die Texte im Hip-Hop sind nicht gerade bekannt für einen sensiblen Umgang mit Geschlechterrollen. Mehr ist mehr, coole Macker singen über hypersexualisierte Frauen, die möglichst wenig anhaben. "Mir taugt die Musik teilweise schon, aber ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich manche Songs höre", gesteht Phoenix: "Aber man saugt auf, was einen umgibt, wird davon geprägt, ob man möchte oder nicht. Man ist gewohnt, dass Männer so reden. Ich merke im Studio hin und wieder auch, dass mir Sachen rauskommen, die zwar nicht auf derselben Stufe wie Kollegah oder Haftbefehl stehen, aber für meine Verhältnisse echt nicht okay sind."

Sweater von Y-Project, Sonnenbrille von Le Specs, Ketten von In Gold We Trust.
Foto: Yannick Schuette

Dann setzt aber sofort die Reflexion ein. "Viele Hip-Hopper checken nicht, dass sie sich keinen Gefallen tun, wenn sie über sich und über Frauen so reden. Das kann ja kein glückliches Leben sein, wenn ich für meine weiblichen Mitmenschen verachtende Rollen vorsehe. Das ist doch voll anstrengend."

Pointierter und zugleich bodenständiger kann man es nicht auf den Punkt bringen. Mavi Phoenix ist nach wie vor ein Superstar zum Anfassen, ähnlich entspannt wie Billie Eilish, die sich auch in keine vorgepressten Rollen zwingen lässt. Das ist befreiend, für Männer wie für Frauen. Und für alle, die sich auf kein Geschlecht festlegen lassen wollen. (Karin Cerny, RONDO, 30.10.2020)

Schon gesehen?

DER STANDARD