Den US-Präsidenten, der wiederholt von Manipulation spricht, dürften die Sicherheitsbehörden bei ihrer Warnung vor Falschinformationen nicht gemeint haben.

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Wann immer sich Michelle Obama zu Wort meldet, klingt sie wie die Politikerin, die sie angeblich nie sein möchte, weil sie nach eigenen Worten keinen Gefallen am Politikbetrieb findet. Wann immer sie etwas zum Wahlkampf sagt, was neuerdings häufiger geschieht, ist ihr die Aufmerksamkeit des Publikums gewiss.

Am Dienstagabend hat sie die potenziellen Wähler der Demokraten aufgerufen, sich nicht irre machen zu lassen durch düstere Prognosen, nach denen es zwangsläufig mit einem Fiasko enden müsse, wenn coronabedingt viel mehr, vielleicht doppelt so viele, Amerikaner ihre Stimme per Brief abgeben, als es sonst der Fall ist.

Ein Prophet namens Donald

Bestimmte Leute, sagte sie im virtuellen Dialog mit einer Initiative namens "When We All Vote", bestimmte Leute wollten vor allem junge Menschen verunsichern und einschüchtern, "bis ihr dann überhaupt nicht wählt". Man solle nicht auf finstere Propheten hören, die alle möglichen Verschwörungstheorien verbreiteten und einem einreden wollten, eine Briefwahl könne nur gefälscht sein. Dass massenhaft per Post eingesandte Stimmen verloren gingen oder nicht mitgezählt würden, sei nicht wahr. "Sie wollen doch nur, dass ihr zu Hause bleibt. Sie wollen, dass ihr so verwirrt seid, dass ihr kapitulierend die Hände hebt."

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Wen die ehemalige First Lady meint mit den Propheten, denen man kein Gehör schenken möge, liegt auf der Hand, auch wenn sie keine Namen nennt. Donald Trump hat schon im August ein Szenario an die Wand gemalt, in dem er am Abend des 3. November zwar vorn liegt, es dann aber heißt, "da draußen" lägen noch haufenweise Umschläge mit Stimmzetteln, sodass man einstweilen keinen Sieger küren könne. "Alles Mögliche kann dann passieren", hatte er orakelt und von Manipulation gesprochen.

Seither holt er das Drehbuch immer wieder aus der Schublade, was einen einfachen Grund hat. Anhänger der Demokraten, die Warnungen vor der Ansteckungsgefahr in Zeiten der Pandemie in aller Regel ernst nehmen, neigen eher dazu, postalisch zu stimmen. Die Basis der Republikaner, im Durchschnitt weniger vorsichtig, ist dagegen eher geneigt, ein Wahllokal aufzusuchen.

Briefwahl reicht Trump für die Unterstellung von Wahlbetrug

Es kann also tatsächlich so kommen: In der Nacht nach dem Votum führt Trump, womöglich sogar mit ziemlich klarem Vorsprung. Dann aber, wenn in den Tagen danach millionenfach bis dahin nicht berücksichtigte Briefwahlstimmen ausgezählt werden, zieht Joe Biden an ihm vorbei. Gut möglich, dass der Amtsinhaber Wahlbetrug unterstellt und ein Heer von Anwälten beauftragt, in seinem Sinne zu argumentieren, Bundesstaat für Bundesstaat.

Um es anhand eines Beispiels zu illustrieren: In Wisconsin, einem hart umkämpften Swing State, hat ein Bundesrichter zu Wochenbeginn entschieden, die Frist, innerhalb derer alle Stimmen ausgezählt sein müssen, auf sechs Tage nach dem Votum zu verlängern. Eine realistische Entscheidung, weil man der absehbaren Flut von Wahlbriefen anders kaum Herr werden kann. Für Trump voraussichtlich ein Grund, Zweifel zu säen, falls er in Wisconsin den Kürzeren zieht.

FBI und Cisa warnen vor irreführenden Behauptungen

Den amtierenden Präsidenten dürften die amerikanischen Sicherheitsbehörden wohl eher nicht gemeint haben, als sie am Dienstag vor möglichen Falschinformationen rund um die Stimmenauszählung gewarnt haben. "Ausländische Akteure" und Cyberkriminelle könnten versuchen, die US-Öffentlichkeit von der vermeintlichen "Unrechtmäßigkeit der Wahl" zu überzeugen, erklärten die Bundespolizei FBI und die für Cybersicherheit zuständige Behörde Cisa.

Die lange Dauer der Stimmenauszählung könnte Kriminellen dabei helfen, Zweifel zu streuen. Sie könnten demnach irreführende Behauptungen auf Websites und in den Onlinenetzwerken über angebliche Wahlmanipulationen oder Hackerangriffe auf die Wahlsysteme verbreiten. Aus diesem Grund appellierten FBI und Cisa an die Bürger, die Wahlinformationen in Netz daraufhin zu prüfen, ob sie aus vertrauenswürdigen Quellen wie etwa den Wahlbehörden stammten.

Trump findet Angriff auf Journalisten "herrlich"

Auf einer Kundgebung in Moon Township, Pennsylvania, hat der Präsident am Dienstagabend mit erkennbarer Genugtuung den Fall eines Fernsehreporters geschildert, den muskelbepackte Nationalgardisten aus dem Weg räumten, als sie in den Straßen von Minneapolis, nach dem Tod von George Floyd, gegen Demonstranten vorgingen. "Wie eine kleine Tüte Popcorn" hätten sie den Journalisten zu Boden geworfen, malte Trump die Szene amüsiert aus. Man wolle so etwas ja eigentlich nicht, schob er hinterher. Aber wenn man sich vor Augen führe, was für einen "Mist" man sich in den Fernsehnachrichten ansehen müsse, dann sei es doch wieder schön gewesen. "Es war ein herrlicher Anblick."

Trump bei der Rally am Flughafen von Moon Township
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Übrigens, Cindy McCain, die Witwe John McCains, 2008 offizieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner, hat wissen lassen, welchen der beiden Bewerber sie zur Wahl empfiehlt. Es ist nicht Trump, sondern Biden. "Es gibt in diesem Rennen nur einen Kandidaten, der für unsere Werte als Nation eintritt, und das ist Joe Biden", twitterte Cindy McCain am Dienstagabend (Ortszeit). Für ihren 2018 verstorbenen Mann sei das Land immer an erster Stelle gekommen. "Wir sind Republikaner, ja, aber vor allem Amerikaner", schrieb McCain weiter.

Biden antwortete in einem Tweet: "Ich fühle mich zutiefst geehrt, deine Unterstützung und deine Freundschaft zu haben. Diese Wahl ist größer als jede einzelne politische Partei."

Das Verhältnis zwischen McCain und Präsident Donald Trump galt als gespannt. John McCain war einer der führenden parteiinternen Kritiker Trumps, der sich Anfang November um eine Wiederwahl bewirbt. Dieser hatte sich mehrfach abfällig über den Senator geäußert.

Biden will Handelskonflikt mit EU beenden

Dieser ließ wiederum am Dienstag über seinen Berater Tony Blinken ausrichten, dass er den Handelskonflikt der USA mit der EU beenden würde. "Die EU ist der größte Markt der Welt, wir müssen unsere Wirtschaftsbeziehungen verbessern", sagte Blinken, der dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten in außenpolitischen Fragen berät, bei einer virtuellen Veranstaltung der US-Handelskammer. Der "künstliche Handelskrieg", den die Trump Regierung begonnen habe, müsse beendet werden.

Tatsächlich ist der Handelskonflikt unter Trump eskaliert, nachdem dieser Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte eingeführt, weil er den Exportüberschuss der EU-Länder gegenüber den USA für ungerecht und gefährlich für die Sicherheit seines Landes hielt. Die EU hatte mit Vergeltungszöllen auf US-Produkte reagiert.

Blinken wiederum meinte, es gebe "reichlich Spielraum" für einen verstärkten Handel zwischen den USA und der EU. Er bemängelte aber, es gebe "ein wachsendes Ungleichgewicht im Handel mit Agrargütern aufgrund von Regeln, die uns daran hindern, Waren zu verkaufen, bei denen wir sehr wettbewerbsfähig sind".

Zu mehr Zusammenarbeit hatte vergangene Woche auch der EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis aufgerufen, um die Erholung der globalen Wirtschaft zu gewährleisten. Auch die künftige Ausrichtung der USA im internationalen Handel wird sich demnach am 3. November entscheiden. (Frank Herrmann aus Washington, red, 23.9.2020)