Die spannendsten Denkmäler sind jene, die fehlen. Lange Zeit klafften in der österreichischen Denkmallandschaft Lücken, die Ausdruck der mangelnden selbstkritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit waren. Erst im Jahr 2014 war die Zeit reif für ein Denkmal zur Ehrung von Wehrmachtsdeserteuren am Wiener Ballhausplatz.

Denkmal zur Ehrung von Wehrmachtsdeserteuren.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Aktuell wird ein Denkmal für in der NS-Zeit verfolgte Homosexuelle errichtet. Beide Gruppen waren so lange stigmatisiert, dass die Bedeutung dieser neuen Denkmäler nicht genug betont werden kann. Aus dem Wandel der öffentlichen Beurteilung der NS-Zeit ergibt sich hier eine "Denkmalpflicht", eine Verpflichtung zur Denkmalerrichtung.

Im Resselpark werden Passanten künftig überdimensionale Hände, die sich berühren, vorfinden. Das Denkmal ist den in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen gewidmet. Der Entwurf stammt vom britischen Künstler Marc Quinn.
Foto: APA/MARC QUINN/MARC QUINN

Zugleich scheinen derart lange ausgebliebene Denkmäler in ihrer Ausgestaltung die an sie gestellten großen Erwartungen nicht erfüllen zu können. So wurde das Beton-X des Deserteursdenkmals als zu abstrakt kritisiert, während die beiden größeren und beiden kleineren händchenhaltenden Hände des Homosexuellendenkmals als zu konkret beziehungsweise als abgehackte Hände kritisiert werden.

Wegweisend war in dieser Frage das Vietnam Veterans Memorial in Washington. Im abstrakten, 1982 eingeweihten, Mahnmal für die gefallenen US-Soldaten sind die Namen der Gefallenen auf einer schwarzen Granitmauer eingraviert, die in den Boden verschwindet. Aufgrund heftiger Kritik an der Abstraktheit wurde diesem Mahnmal 1984 eine äußerst konkrete Statue mit drei amerikanischen Vietnamsoldaten zur Seite gestellt.

Das Produktive an der Denkmalerrichtung sind die damit einhergehenden Debatten. Ästhetische Fragen seien Künstlerinnen und Künstlern überlassen – sie sind wichtig, werden aber niemals alle zufriedenstellen. Das schönste Kompliment für das Deserteursdenkmal ist, dass der Österreichische Kameradschaftsbund und die FPÖ dagegen heftig protestierten.

"Störende" alte Denkmäler: Kontextualisierung als Lösung?

Ferner sorgen derzeit "störende" alte Denkmäler für Zündstoff. Nachdem der nach dem antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger benannte Ring umbenannt worden ist, wird derzeit das Lueger-Denkmal an der Ringstraße heftig diskutiert. Der sehr großen Lueger-Statue wurde bereits eine sehr kleine Tafel zur Seite gestellt, die den Antisemitismus erwähnt. Eine Entfernung des Denkmals würde einen Teil der österreichischen Geschichte mitentfernen – auch die Tatsache, dass die Statue eines Antisemiten jahrzehntelang unkontextualisiert an diesem prominenten Ort stand. Wieder sind Künstlerinnen und Künstler gefragt, um eine störendere, viel sichtbarere Intervention in oder Projektion auf das Denkmal zu entwerfen.

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Das Karl-Lueger-Denkmal.
Foto: AP/dapd/Hans Punz

In eine ähnliche Richtung geht die Neugestaltung der Krypta des Heldendenkmals im Burgtor der Wiener Hofburg. Obwohl sich das 2012 bestätigte Gerücht hartnäckig hielt, dass der Bildhauer unter dem Denkmal des Toten Kriegers eine NS-Botschaft deponiert hatte, legten lange Präsident, Regierung und Bundesheer davor regelmäßig Kränze nieder. 2019 brachte das Bundesheer daneben eine kleine Glastafel an: "Durch diese nationalsozialistische Widmung steht die Krypta im Widerspruch zu den Werten des Österreichischen Bundesheeres. … Die Krypta wurde musealisiert, um als ein Ort der kritischen Reflexion der österreichischen Geschichte zu dienen." Der Trend geht also zum Kontextualisieren statt Verschwindenlassen. Sollten wir diese auratischen Orte und Skulpturen nicht stärker künstlerisch dekonstruieren, ist das nicht ebenfalls unsere "Denkmalpflicht"?

Das Heldendenkmal im Burgtor der Wiener Hofburg.
Foto: Bundesheer/Harald Minich

Staatlich verordnete "Wahrheiten"

Blicken wir zum Schluss über Wien hinausgehend nach Budapest, so zeigt sich dort ein völlig anderer Trend: eine staatlich verordnete Wahrheit – in Mahnmalform gegossen. Das im Holocaust-Gedenkjahr 2014 von der Fidesz-Regierung eröffnete Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung zeigt Ungarn in Gestalt von Erzengel Gabriel, der vom deutschen Reichsadler angegriffen wird. Diese "Wahrheit" leugnet jede ungarische Mitverantwortung für die Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden. Angesichts dessen ist es toll, dass wir über die ästhetische Ausgestaltung längst überfälliger selbstkritischer Denkmäler diskutieren dürfen. (Ljiljana Radonić, 27.9.2020)