Besonders bekannt sind die Feenkreise im Marienflusstal in Namibia.
Foto: Thorsten Becker

Für das Volk der Himba in Namibia steht der Übeltäter schon lange fest: Unter dem Wüstenboden haust ein schrecklicher Drache. Wenn sein heißer Atem in Blasen zur Oberfläche aufsteigt, vernichtet er dort alles Leben. Sollte das zutreffen, dann hätte Namibia ein gewaltiges Drachenproblem. Wie man inzwischen weiß, verteilen sich Hunderttausende der wie von Menschenhand geschaffenen kreisrunden Strukturen über einige Trockengebiete. Für die Wissenschaft ist die Ursache dieser sogenannten "Feenkreise" glücklicherweise nicht so eindeutig. Obwohl mittlerweile zahlreiche bisweilen nicht weniger phantastische Alternativen zur Drachentheorie existieren, widersetzen sich die Kahlstellen seit Jahrzehnten beharrlich einer letztgültigen Erklärung.

Feenkreise wurden bisher nur im südwestlichen Afrika um die Namib-Wüste und im Westen Australiens in der Nähe von Newman beobachtet. Während in Namibia bereits seit den 1970er-Jahren gerätselt wird, wurden die australischen Feenkreise erst 2014 entdeckt. Meist sind die zwischen zwei und 40 Meter durchmessenden Kreise aus nackter, von hohem Gras begrenzter Erde erstaunlich regelmäßig angeordnet. Luftaufnahmen konnten zeigen, dass in vielen Fällen jeder der Flecken etwa in gleichem Abstand von sechs weiteren Kreisen umgeben ist. Obwohl zwischen den beiden Regionen 10.000 Kilometer liegen, besitzen die Kreise auf beiden Kontinenten ein identisches räumliches Muster.

Termiten oder doch Gasblasen?

Das mysteriöse Phänomen verleitet zur Annahme, dass hinter den symmetrischen Formen womöglich ein zielgerichtetes, zumindest aber koordiniertes Handeln steckt. Dieser Gedanke liegt auch einer der Hypothesen zugrunde, die sich in den vergangenen Jahren als Erklärung für die Herkunft der Feenkreise herauskristallisiert haben: Botaniker fanden Hinweise darauf, dass Graswurzeln fressende Sandtermiten für die Kreise verantwortlich sein könnten. Immerhin trafen die Forscher bei rund 80 Prozent aller analysierten Feenkreise im Untergrund auf Nester dieser Termitenart.

Doch weder die wie mit einem Zirkel gezogene Form, noch die großräumige regelmäßige Verteilung der Feenkreise lässt sich damit überzeugend erklären. Eine andere weitverbreitete Hypothese hält um Nährstoffe konkurrierende Gräser für die Landschaftsplaner mit einem Faible für Kreise. Wieder eine andere, etwas ältere Theorie führt die Kahlstellen auf aufsteigende Erdgasblasen zurück – was freilich gewisse Parallelen zur Erklärung der Himba aufweist.

Aber auch im Westen Australiens finden sich Feenkreise, hier vom Hubschrauber aus gesehen.
Foto: Stephan Getzin

Turings Modell

Ein internationales Team unter der Leitung der Universität Göttingen hat sich dem Phänomen nun von der mathematischen Seite genähert – und ist auf erstaunliche Gesetzmäßigkeiten gestoßen: Die Forscher haben im Outback von Westaustralien mithilfe von Drohnen und Spezialkameras erstmals umfassende und detaillierte Daten gesammelt. Die Analyse zeigt nicht nur, dass man bei den um Ressourcen kämpfenden Gräsern tatsächlich auf der richtigen Spur zu sein schien, sie belegt auch, dass sich die auffälligen Vegetationsmuster der australischen Feenkreise auf ein Modell des britischen Mathematikers Alan Turing zurückführen lassen.

Alan Turing (1912 bis 1954) gilt heute als einer der einflussreichsten Denker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Aber auch seine Beiträge zur theoretischen Biologie erwiesen sich als richtungsweisend. Eines seiner Modelle besagt, dass in bestimmten Systemen aufgrund zufälliger Störungen und eines "Reaktions-Diffusions"-Mechanismus die Interaktion zwischen nur zwei diffundierbaren Substanzen ausreicht, um spontan stark gemusterte Strukturen entstehen zu lassen. Physiker haben dieses Modell verwendet, um die auffälligen Hautmuster zum Beispiel bei Zebrafischen oder Leoparden zu erklären. Frühere Modellierungen der australischen Feenkreise hatten bereits angedeutet, dass diese Theorie auch auf diese faszinierenden Vegetationsmuster zutreffen könnte. Mit der aktuellen Studie liegen nun erstmals robuste Daten vor, die dies bestätigen.

Rückkopplungen im Gras-Ökosystem

Die Wissenschafter aus Deutschland, Australien und Israel untersuchten in der kleinen Feenkreisregion östlich von Newman in Nordwestaustralien mit Drohnen und Multispektralkameras, wie dort die nur in Australien heimischen Triodia-Gräser gediehen. Dafür wurde das Gebiet in fünf jeweils einen Hektar große Parzellen aufgeteilt und die Gräser nach hoher und niedriger Vitalität klassifiziert. Das Team zeichnete zudem kontinuierlich Daten von einer Wetterstation auf. Die systematische und detaillierte Feldarbeit ermöglichte zum ersten Mal, in einem solchen Ökosystem einen umfassenden Test der Theorie der "Turing-Muster" durchzuführen.

Die Forscher rund um Stephan Getzin rückten dem Phänomen mit Drohnen und einer Wetterstation zu Leibe.
Foto: Stephan Getzin

Die im Fachjournal "Journal of Ecology" veröffentlichten Daten zeigen, dass das Lückenmuster der australischen Feenkreise aus ökohydrologischen Biomasse-Wasser-Rückkopplungen der Gräser hervorgeht. Die Feenkreise, die rund vier Meter Durchmesser haben und über verwitterte Oberflächenkrusten verfügen, sind durch den daraus resultierenden Wasserabfluss eine entscheidende zusätzliche Wasserquelle für die Trockenlandvegetation. Die Grasbüschel sorgen zudem für mehr Schatten und ermöglichen, dass mehr Wasser in die nahegelegenen Bereiche um die Wurzeln eindringt.

Umweltgestaltung für besseren Wasserzugang

Mit zunehmender Wachstumszeit nach den immer wiederkehrenden Buschfeuern verschmolzen die einzelnen Gräser mehr und mehr an den Peripherien der Vegetationslücken zu einer Barriere, sodass sie ihre Wasseraufnahme aus dem Abfluss der Feenkreise maximieren konnten. Die schützende Pflanzendecke aus Gräsern kann die Boden-Oberflächentemperatur in der heißesten Tageszeit um etwa 25 Grad Celsius senken, was das Keimen und Wachsen neuer Gräser in der unmittelbaren Nachbarschaft erleichtert. Die Wissenschafter fanden sowohl im großen Maßstab der Landschaft als auch in viel kleinerem Maßstab der Einzelpflanzen Beweise dafür, dass die Gräser die Wasserressourcen umverteilen, die physische Umwelt verändern und so als "Ökosystemingenieure" ihre Umwelt zum eigenen Vorteil anpassen.

"Das Entscheidende ist, dass die Gräser ihre eigene Umwelt aktiv gestalten, indem sie symmetrisch angeordnete Lückenmuster bilden", erklärt Stephan Getzin von der Universität Göttingen. "Die Vegetation profitiert von dem zusätzlichen Abflusswasser, das durch die großen Feenkreise bereitgestellt wird, und hält so das trockene Ökosystem auch unter sehr unwirtlichen, trockenen Bedingungen funktionsfähig." Dies steht im Gegensatz zu einer gleichmäßigen Vegetationsdecke, die in weniger wassergestressten Umgebungen zu beobachten ist. "Ohne die Selbstorganisation der Gräser würde dieses Gebiet wahrscheinlich zu einer Wüste werden, die von kahlem Boden dominiert wird", fügt er hinzu. Das Auftauchen einer gemusterten Vegetation scheint ein visueller Ausdruck dessen zu sein, wie die Natur mit permanentem Wassermangel umgeht. (tberg, red, 23.9.2020)