Der Student Ramiro Wong befindet sich seit neun Tagen im Hungerstreik in Wien.

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"Es dauert mittlerweile immer länger, bis ich morgens genug Kraft habe, um aufzustehen und ins Atelier arbeiten gehen zu können. Früher war ich da immer schon um halb neun, jetzt erst um zehn oder elf", erzählt Ramiro Wong im Gespräch mit dem STANDARD. Der aus Peru stammende Student der Universität für angewandte Kunst in Wien befindet sich am Mittwoch seit neun Tagen im Hungerstreik. Er betont, dass er das "nicht nur für mich, sondern für alle betroffenen Studierenden hier" mache. Wong könne sich nämlich die Studiengebühren in der Höhe von 363,36 Euro, die er ab dem Wintersemester 2020 zahlen sollte, nicht leisten.

"Außertourliche Befreiung"

Zahlen sollte – denn im Zuge der Recherchen des STANDARD am Mittwoch gab der Vizerektor und Leiter der Studienabteilung, Bernhard Kernegger, bekannt, dass man zumindest für das nun beginnende Wintersemester eine "außertourliche Befreiung für alle Betroffenen" vornehmen werde: "Den Brief an die Studierenden diesbezüglich formuliere ich gerade", so Kernegger am Mittwochnachmittag.

Durch eine Entscheidung des Bildungsministeriums, die an den meisten Unis im Land schon im Vorjahr umgesetzt wurde, kam es zu einer Einführung beziehungsweise Erhöhung der Studiengebühren für ausländische Studierende aus Ländern, die nicht der EU angehören. Dabei macht es einen Unterschied, aus welcher Gruppe von Ländern man komme, was wiederum von einer Einstufung abhängt, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vornimmt – gehört das Herkunftsland zu den "Lower Middle Income" oder den "Upper Middle Income Countries and Territories", also den Ländern mit niedrigen oder höheren Durchschnittsgehältern?

Hufak unterstützt Petition

Letztere müssten nun 726,72 pro Semester bezahlen, die Angewandte halbierte den Betrag bereits zuvor als Entgegenkommen. Dieses Entgegenkommen reicht aber weder Wong noch der Hufak, der Studierendenvertretung an der Angewandten. Die Hufak unterstützt eine von Wong gestartete Petition. Durch die Autonomie der Universitäten könnten diese auch selbst entscheiden, so eine Sprecherin der Hufak zum STANDARD. Von der neuen Regelung sind 15 Prozent der Studierenden an der Angewandten betroffen. "Wir sind gegen einen Ungleichbehandlung aufgrund von Herkunft", so die Sprecherin.

Dass die Universität einen Spielraum habe, weiß auch Kernegger: "Der Gesetzgeber weist darauf hin, dass man auf die soziale Situation der einzelnen Studierenden Rücksicht nehmen soll." Dies gehe aber eben nur auf der Basis von Ausnahmen. Tatsächlich ist aber etwa der Iran bei den Ländern mit höheren Durchschnittsgehältern eingestuft. "Ich habe bereits bei der OECD angefragt, wann es eine Aktualisierung der Liste gibt", so Kernegger.

Drohende Abschiebungen

In der Sache geht es für Wong um mehr als Geld. Wenn die Studierenden ihre Studiengebühr nicht bezahlen, können sie ihre Visa nicht verlängern. Ihnen droht dann Abschiebung – die wiederum in viele Länder durch die Pandemie gar nicht möglich ist.

Warum die 363 Euro für einen Studenten wie Wong zu viel Geld seien, kann der 33-Jährige gut erklären. Er rutschte nicht von heute auf morgen in diese prekäre Situation, er kämpfe finanziell seit Jahren. Durch die Corona-Pandemie habe sich seine Situation noch sehr verschärft, weil Jobs, denen er neben dem Studium nachging, etwa in Umzugsunternehmen, nun wegfallen.

Dabei hat Wong, der in seiner Kunst mit Sprachformen, Installationen und Performance arbeitet, andere Skills, um nur Möbel zu schleppen. In seiner Heimat Peru hatte er bereits eine Ausbildung absolviert und arbeitete acht Jahre unter anderem als Artdirector in der Filmbranche und für Werbefirmen. "Das würde ich auch hier tun und habe mich oft bei Filmproduktionsfirmen hier beworben, aber niemand hat auch nur geantwortet", so Wong.

Warten aufs Visum

Und seit der Corona-Pandemie blieben ihm auch andere Jobs wie eben bei Umzugs- und Transportunternehmen verschlossen. Finanziell wurde es schon davor eng, weil er bereits auf die Ausstellung seines ersten Visums über zwei Jahre warten musste: "Ich habe im Juni 2017 angesucht, im Oktober 2017 mein Studium in Wien begonnen, und das Visum wurde mir erst im September 2019 ausgestellt." Aufgrund dessen habe er immer wieder nach Peru fliegen müssen und dort – um sich den Rückflug nach Wien überhaupt leisten zu können – Monate arbeiten müssen. Seinen Bachelor hat er in Wien trotzdem schon gemacht.

Ein paar Wochen lang wurde er durch die ein Stipendium der Kulturvermittlung Steiermark unterstützt. "Die waren wunderbar", sagt Wong, "das nächste Problem für Ausländer aus Nicht-EU-Ländern ist nämlich, dass fast alle Stipendien und Förderprogramme nur für Studierende aus EU-Ländern oder überhaupt Österreich sind."

Armenviertel in Lima

Wongs Familie lebt in Lima in einem Armenviertel, die finanzielle Lage der Mutter hat sich durch Corona noch verschärft. Doch Wong betont immer wieder, dass es so wie ihm vielen ergehe: "Etwa Kolleginnen aus dem Iran oder Syrien, die haben die schlimmsten Bedingungen und studieren hier in Mindestzeit. Wenn man zu lange braucht und dann zahlen muss, das sehen wir ja ein, aber wir wollen einfach gleich wie alle behandelt werden."

Im Rektorat hat man nun Töpfe gesucht, um die Lage kurzfristig zu entspannen. "Sozialstipendien für internationale Mobilität kann man Corona-bedingt jetzt ohnehin fast nicht ausschöpfen", so Kernegger, "jetzt werden wir da etwas umschichten." Aber eine längerfristige Lösung sei das natürlich nicht. "Wir finden die Regelung auch nicht gut, müssen uns aber ans Gesetz halten", so der Vizerektor, "eigentlich ist der Ansprechpartner von Herrn Wong in dieser Sache das Ministerium."

Bis zum Semesterbeginn Anfang Oktober will Ramiro Wong, der seine Hungertage auf Instagram dokumentiert, durchhalten. Er wolle nämlich keine kurzfristige, sondern eine langfristige Lösung – "für uns alle", sagt er. Dreieinhalb Kilo hat er schon verloren. (Colette M. Schmidt, 23.9.2020)