Klingt wie Zauberei, ist aber Design. 103-mal kamen in den vergangenen 15 Jahren heimische und internationale Designer mit Wiener Traditionsunternehmen zusammen. Ziel dieses Aufeinanderprallens zweier Welten war es, gemeinsam etwas auszubaldowern, das die ehrwürdigen Schätze vieler Firmen mit modernen Ideen multipliziert, um völlig Neues zu formen. Einige Namen teilnehmender Unternehmen: Porzellanmanufaktur Augarten, J. & L. Lobmeyr, Wiener Silber Manufactur, Juwelier A. E. Köchert oder Hornmanufaktur Petz.

Heraus kamen bei dem Format namens "Passionswege" der Vienna Design Week interessante, witzige, innovative und zum Teil visionäre Objekte. Anlässlich der am 25. September startenden Design Week werden einige davon mit einer Ausstellung in der Festivalzentrale im 12. Bezirk gefeiert.

Doch zurück zum Anfang: Inspiriert von Wiens lokalen Manufakturen und Handwerkern sowie ihrem reichen Erbe, initiierten die Gründer der Vienna Design Week, Tulga Beyerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein, 2006 diese Passionswege. Anders als bei herkömmlichen Auftragsarbeiten geht es bei diesem Projekt um den Austausch von Wissen und Fertigkeiten in einem experimentellen Rahmen, in dem der Prozess offen für Ergebnisse jeglicher Art bleibt. Wichtig war und ist den Machern, den teilnehmenden Betrieben nicht den Begriff "Design" überzustülpen, sondern Quintessenzen freizulegen und weiterzudenken.

Tomas Alonso hat sich gemeinsam mit der Wiener Silber Manufactur mit der "Funktionalität des Musters" auseinandergesetzt.
Foto: Vienna Design Week / Kollektiv Fischka / Kollektiv Fischka / Kramar

Design-Week-Chefin Lilli Hollein: "Wir wollten damals auf die Vielfalt an exotischem Handwerk in Wien hinweisen. Dafür, dass wir Handwerk und Design in einem Atemzug nannten, wurden wir in der internationalen Expertenszene total schräg angeschaut. Cool und schick war Handwerk damals mitnichten. Wir haben an das Potenzial geglaubt." Und das ist gut so. Viele tausende Besucher dürfen sich seither jedes Jahr an dieser Idee erfreuen.

Silhouetten aus Glas

Die Ergebnisse der Kooperationen aus 15 Jahren können unterschiedlicher nicht sein – wohl auch das einer der großen Anziehungspunkte der Passionswege: Der tschechische Designer Maxim Velcovský zum Beispiel erschuf mit seinen "City Shades" eine Installation aus mehreren Aluquadern, die in Bauklotzlässigkeit aufeinandergetürmt werden. Vier Meter hoch. Ihre Vorderseite besteht aus beschichtetem Plexiglas. Im Inneren der Quader stehen, scheinbar völlig wahllos angeordnet, Fundstücke aus den Tiefen des Kellers der Glasmanufaktur Lobmeyr. Von einer Lichtquelle angestrahlt, wirft die Glasware ihre Schatten auf besagte Plexiglasvorderseite und wird dort zur Silhouette einer Stadt: Wien, Moskau und New York gehören jeweils einer dieser Quader, und es ist verblüffend, was Velcovský mit dieser optischen Spielerei, einer Art Mix aus Laterna magica und Schattentheater, aufführt. Deutlich sind zu erkennen: der Stephansdom, der Millennium Tower und ganz links die Türme der Karlskirche, deren leuchtende Spitzen anscheinend aus zwei angestrahlten Schnapsgläsern bestehen.

Der tschechische Designer Maxim Velcovský wühlte in den Archiven von J. & L. Lobmeyr und baute aus allerlei Gläsern die Silhouetten von Metropolen nach.
Foto: Vienna Design Week / Kollektiv Fischka / Kollektiv Fischka / Kramar

Die in London lebenden Designerin Katharina Eisenköck hat sich mit dem exotisch anmutenden Werkstoff Horn auseinandergesetzt und mit der Hornmanufaktur Petz, die seit 1862 Horn zu Kämmen, Schmuck, Knöpfen und anderen Alltagsgegenständen formt, Leuchtobjekte ausgetüftelt. Die Fotografin Susanna Hofer und Kollege Erli Grünzweil ließen sich von Zinnfiguren inspirieren, das Studio Sain hat sich in einer kleinen Werkstatt in Wien-Alsergrund mit dem Handwerk des Drechselns beschäftigt und verspiegelte Objekte, zum Beispiel zwei Lampen, entworfen, und das Schweizer Design-Trio Big Game war von den Hämmertechniken der Wiener Silber Manufactur begeistert und ließ sich zu einer Tischleuchtenserie inspirieren.

Der Südtiroler Martino Gamper tüftelte im Rahmen seines Projekts Neo an neuem Dekor auf alten Glasentwürfen.
Foto: Vienna Design Week / Kollektiv Fischka / Kollektiv Fischka / Kramar

Töpfe-Polka

Um noch ein Projekt aus der Fülle herauszupicken und Lust auf die Schau zu machen: Das Wiener Duo Polka spielte mit dem Emaille-Erbe des zur Design Week zugereisten Traditionshauses Riess und verpasste den Töpfen und Pfannen Henkel und Stile, wo diese definitiv nicht hingehören. Das Ergebnis überrascht und zeigt, dass es manchen Teilnehmern auch darum geht, Klassiker in einen völlig anderen Sinn- und Wahrnehmungszusammenhang zu bringen. Auch das kann Design.

Das Wiener Duo Polka nahm sich Töpfe von Riess vor und zeigt deren Design in einen neuen Sinn- und Wahrnehmungszusammenhang.
Foto: Vienna Design Week

Anlässlich des Jubiläums der Passionswege präsentiert die Design Week nun also eine Retrospektive, die sich ganz dem Charme der gemeinsam erarbeiteten Objekte hingibt. Exemplarisch für die ersten 15 Jahre des Formats steht neben der Ausstellung heuer Corona-bedingt nur ein neuer Passionsweg, nämlich ein Glas-Spiegel-Kabinett, das die Schweizer Künstlerin Daniela Schönbächler mit J. & L. Lobmeyr entwickelt hat – jenem Partner, mit dem das Festival in Sachen Passionswege am öftesten kooperiert hat.

Namuun Zimmermann und Martjin Rigters, zusammen Studio Sain, haben sich in einer Wiener Werkstatt mit dem Drechseln beschäftigt und eine Leuchte kreiert.
Foto: Vienna Design Week / Kollektiv Fischka / Kollektiv Fischka / Kramar

Design findet Stadt

Apropos Design Week: Das Festival, das jährlich um die 40.000 Besucher anzieht, wird auch heuer wieder eine große Bühne für Designinteressierte bieten. Und zwar mit gut 250 Veranstaltungen an über 40 Locations in der ganzen Stadt, die über eine Augmented-Reality-App erschlossen wird. Aber auch in einer nach allen Regeln der Hygiene konzipierten Festivalzentrale im Amtshaus Theresienbadgasse (12. Bezirk) und im virtuellen Raum, wo ein Multi-Player-3D-Raum mit vielen Installationen und Erlebnissen zu Verfügung steht. Als Gastland wurde heuer die Schweiz auserkoren. Lediglich das Design-Week-verwöhnte Partyvolk wird bei dieser Ausgabe der Designfestspiele ausnahmsweise nicht auf seine Kosten kommen. Der Konzentration auf das Wesentliche wird es keinen Abbruch tun.

Laurids Gallée spielte mit Dekomaterial der alten Posamentenfabrik Maurer.
Foto: Vienna Design Week / Kollektiv Fischka / Kollektiv Fischka / Kramar

(Michael Hausenblas, 24.9.2020)