Weil das Geld fehlt, rechnet US-Regisseur Robert Wilson damit, dass es am Theater hinkünftig viel mehr Koproduktionen geben wird.

Foto: Lucie Jansch

In der Salzburger Galerie Ropac eröffnete er gerade eine Ausstellung mit Zeichnungen zu Der Messias, den er bei der Mozartwoche inszenierte. Im Festspielhaus St. Pölten wird am Samstag und Sonntag seine Version von Rudyard Kiplings Dschungelbuch zu sehen sein: Trotz Reisebeschränkungen ist Robert Wilson mit seinen künstlerischen Arbeiten auf Achse. Der 78-jährige amerikanische Theatermaschinist saß während des Corona-Lockdowns in Berlin fest, das von ihm gegründete Watermill Center in New York musste seine Programme absagen. Über die Situation der Theater in den USA weiß Wilson dennoch zu berichten. Wir erreichen ihn in Paris.

STANDARD: Wie geht es den Theatern in den USA?

Wilson: Die meisten sind geschlossen, die Aufführungen wurden verschoben, manche sogar auf Herbst 21. Niemand weiß, wie es weitergeht. In Städten wie Los Angeles oder San Francisco findet einiges draußen statt, in Parks oder als Straßentheater. Nur Donald Trump schafft es, dass größere Menschenmassen zusammenkommen, ohne Sicherheitsabstände und ohne dass Marken getragen werden.

STANDARD: Gibt es eine Debatte darüber, welchen Stellenwert Kultur hat und wie es jetzt weitergehen kann?

Wilson: Die Bedeutung von Kultur wurde in den USA nie anerkannt. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenige Politiker dafür ein Gespür haben. Dabei ist die Kultur ein wichtiger Wirtschaftszweig. Sie ist für unsere Identität wichtig. Kulturinstitutionen gehören zu den wichtigsten Touristenattraktionen. Denken Sie allein an New York mit seinen vielen Museen und dem Broadway. Die Kultur ist der zweitwichtigste Arbeitgeber der Stadt. Ich bin gerade in Paris, hier ist es auch nicht viel anders. Andy Warhol hat gesagt: "Kunst ist Business, Business ist Kunst." Es wird an den Theatern in den kommenden ein, zwei Jahren radikale Änderungen geben müssen. Ich glaube, erst in zwei bis drei Jahren wird sich die Lage wieder normalisieren.

STANDARD: Sie selbst sind mit Ihren Produktionen permanent auf Achse. Das internationale Festivalsystem hat es besonders schwer getroffen.

Wilson: Ich war fünfeinhalb Monate im Lockdown in Berlin, die meisten meiner Arbeiten wurden abgesagt oder verschoben. Auch die Zukunft schaut düster aus: Jedes neue Projekt kann nur in Abhängigkeit von der Virussituation entwickelt werden. Dementsprechend unsicher ist momentan alles. Es wird hinkünftig wohl mehr Koproduktionen geben müssen. Das Geld fehlt an allen Enden, Theaterhäuser werden verstärkt kooperieren müssen.

STANDARD: Sie schaffen es jetzt immerhin nach St. Pölten mit der Produktion "Jungle Book", die im Vorjahr in Luxemburg Premiere hatte. Die Musik kommt vom Pop-Duo CocoRosie. "Dschungelbuch", "Peter Pan" etc: Warum greifen Sie immer wieder Stoffe für die ganze Familie auf?

Wilson: Alle großen Werke sollten so aufgeführt werden, als ob Kinder im Publikum wären. Selbst wenn man die Medea spielt. Kinder bringen Licht in die Dunkelheit von Stücken, sie verändern die Farbe und Tonalität von Stimmen. Bei Peter Pan und insbesondere beim Dschungelbuch liegt die Sache aber anders: Hier geht es um das Thema Familie, das Identifikationsangebot richtet sich an Groß und Klein.

STANDARD: Inszenieren Sie anders, wenn Sie nicht nur für Erwachsene inszenieren?

Wilson: Ich sage meinen Schauspielern immer, sie sollten sich jemanden als Besucher vorstellen, der noch nie im Theater war. Wie ein Kind, das vor dem Schlafengehen eine Geschichte das erste Mal hört, aber danach gut schlafen soll. Wenn man etwas Dunkles, Furchteinflößendes erzählt, dann sollte es auch etwas Helles, Aufmunterndes geben. Das Dunkle wird dadurch dunkler.

STANDARD: Warum "Dschungelbuch"? Es gibt bereits so viele Verfilmungen und Inszenierungen davon.

Wilson: Weil die Geschichte so aktuell ist: Es geht um Familie und Diversität, darüber, das Zuhause zu verlassen und wiederzukommen. Es geht um einen universalen Mythos, zumindest verstehe ich Kiplings Geschichte auf diese Weise. Ich habe versucht, in meiner Inszenierung nur wenige Worte zu verwenden, ich setze auf Bilder.

STANDARD: Tiere sind auf der Bühne nicht einfach zu inszenieren. Wie gehen Sie damit um?

Wilson: Wir sind gewissermaßen alle Tiere auf einer Bühne. Ein guter Schauspieler sei wie ein Bär, hat Kleist gesagt. Er wird nie zuerst angreifen, er wartet, bis Sie sich bewegen. Ich spreche mit meinen Schauspielern viel über Tiere: Wie ein Hund seine Ohren spitzt, wenn er sich an einen Vogel anschleicht. Die Spannung überträgt sich auf seinen ganzen Körper. Oder wie ein Grizzly einen anschaut. Genau das erwarte ich mir auch von Schauspielern. (Stephan Hilpold, 24.9.2020)