Raschere EU-Asylverfahren sollen dazu führen, dass Massenlager wie Moria gar nicht entstehen. Die Kommission will Abschiebungen beschleunigen, Raum für Flüchtlinge schaffen.

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Das 2015 erfundene Konzept einer verpflichtenden Verteilung anerkannter Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedstaaten gemäß einem Quotensystem ist tot. Es lebe ein neuer Ansatz der gemeinsamen Migrationspolitik, der nur die "Verpflichtung zur Solidarität" vorsieht.

Länder sollen in Zukunft wählen können, ob sie im Falle einer Überlastung von Einreiseländern einen Teil von deren Asylwerbern aufnehmen; oder ob sie sich an sogenannten "Partnerschaften zur rascheren Abschiebung" von nicht zum Aufenthalt berechtigten Personen beteiligen wollen.

Auf diese allgemeine Grundformel lassen sich die Vorschläge zu einem Paket von Maßnahmen im Migrationsbereich bringen, den die EU-Kommission Mittwoch in Brüssel vorgestellt hat. Damit soll ein "Neustart" gelingen, sagte Präsidentin Ursula von der Leyen, nachdem sich die zerstrittenen Staaten seit der großen Fluchtbewegung 2015 nie auf einen Asylkompromiss einigen konnten. Sie hofft, dass ein Nachfolgeregime für die geltenden "Dublinregeln", nach denen die Verantwortung zur Abwicklung der Asylverfahren ganz in Erstaufnahmestaaten liegt, Anfang 2023 Gesetzeskraft erlangen kann.

Damit sind die Verhandlungen zwischen Kommission, Ministerrat und dem Europäischen Parlament eröffnet. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft strebt bereits bis Jahresende eine Einigung zumindest auf Prinzipien an, sagte Innenminister Horst Seehofer.

Raschere Asylverfahren

Wie EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärte, wird es dabei bleiben, dass Asylverfahren im Prinzip in den Einreiseländern abgewickelt werden, jedoch "flexibel" mit EU-Hilfen. Wie sich bei der Tragödie im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos zeigte, kommt es zu unlösbaren Problemen, wenn sich Asylwerber und Migranten, die kaum Chance auf Asyl haben "aufstauen" und Verfahren jahrelang nicht zum Abschluss kommen.

Laut Johansson will man genau da ansetzen, indem die Asylverfahren stark beschleunigt werden. Zudem soll ein verstärkter EU-Außengrenzschutz dafür sorgen, dass die Zahl der irregulären Ankünfte verringert wird. Dazu will die EU die Kooperation mit Drittstaaten ankurbeln. Der Kampf gegen Schlepper soll erste Priorität sein.

Wenn Flüchtlinge und Migranten ein EU-Land – etwa Griechenland oder Italien – erreichen, dann soll bald das Prinzip gelten, dass sie "nicht bloß in einem EU-Staat, sondern auf dem Gebiet der Europäischen Union angekommen sind", sprich: Die EU und ihre Mitgliedstaaten trifft eine "verpflichtende gemeinsame Verantwortung".

In der Praxis soll das dazu führen, dass ausnahmslos alle Ankommenden binnen fünf Tagen ein "Screening" durchlaufen müssen, mit Fingerabdruckvergleich, Gesundheits- und Sicherheitscheck, alles, was der Identitäts- und Statusfeststellung dient. Wer eine gute Chance auf Anerkennung als Flüchtling hat, oder wer Familie in Europa hat oder bereits einmal in einem EU-Staat gearbeitet oder studiert hat, der soll bevorzugt behandelt werden.

Zugleich soll die Straffung der Abläufe dazu dienen, "echte" Flüchtlinge und berechtigte Migranten mehr von jenen abzugrenzen, "die kein Recht auf einen Verbleib in Europa haben", erklärte die Innenkommissarin. Das soll binnen maximal zwölf Wochen abgeklärt werden, auch, um die freiwilligen Rückkehrer in die Herkunftsländer anzuschieben.

Rückführungspartner

Die Kommission lässt in ihren Vorschlägen keinen Zweifel daran, dass sie die "Rückführung", die Abschiebung von nicht Aufenthaltsberechtigten viel stärker als bisher vorantreiben will. In diesem Zusammenhang ist auch der neue Vorschlag der "verpflichtenden Solidarität" zu verstehen.

Wenn ein Erstaufnahmeland, etwa aktuell Griechenland wegen Moria, in Brüssel einen Notfall geltend macht, wird der Solidaritätsmechanismus ausgelöst. Die EU-Partnerstaaten müssen sich dann entscheiden, wie sie sich an Lösungen beteiligen. Sie können Asylwerber aufnehmen, wofür sie 10.000 Euro Hilfen bekommen, oder sie können sich an "Partnerschaften" zur Abschiebung beteiligen.

Die Kommission will dazu einen eigenen "Rückführungskoordinator" schaffen. Zudem sollen die Länder ihre Beziehungen zu Drittstaaten nützen, um Rückführungsabkommen voranzutreiben.

Neben dem Asylteil im Paket will die EU-Kommission die Möglichkeit legaler Zuwanderung nach Europa forcieren. 2019 habe es nur 140.000 illegale Ankünfte gegeben, betonte Johansson, aber 2,4 Millionen Menschen seien in die EU eingewandert, 1,4 Millionen ausgewandert. (Thomas Mayer aus Brüssel, 24.9.2020)