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Ein Trump-Anhänger mit "Q"-Schild vor dem Beginn einer Wahlkampfveranstaltung des US-Präsidenten.

Foto: AP

QAnon ist wohl einer der bizarrsten Verschwörungserzählungen, die jemals eine größere Anhängerschaft erreicht hat. Binnen weniger Jahre wurde sie von einem Nischenphänomen im Internet zu einer "Bewegung", deren Anhänger mit einschlägigen T-Shirts, Flaggen und Transparenten auf rechten Demos – vor allem, aber nicht mehr ausschließlich – in den USA mitmarschieren.

Bizarre Erzählung

Die Geschichte, die sie für eine Tatsache halten, ist ein extrem zugespitzter Kampf zwischen Gut und Böse. Ein Netzwerk aus satanistischen Pädophilen, bestehend vor allem aus progressiven Politikern und linken Hollywoodstars, verschleppt Kinder in den Untergrund. Dort müssen die Minderjährigen zur Belustigung des Publikums gegeneinander in Kämpfen antreten und werden anschließend getötet, um aus ihrem Blut Adrenochrom (eine Vorstufe von Adrenalin) als Aufputschmittel zu gewinnen.

Gleichzeitig sollen sich die amerikanischen Beteiligten und Verbündete im Staatsapparat ("Deep State") unermüdlich darum bemühen, Donald Trump zu schaden, der gemeinsam mit Wladimir Putin und anderen bekannten Politikern aus dem rechten Spektrum versucht, den globalen Kinderschänderring zu zerschlagen. Entstanden ist die Erzählung 2017, wahrscheinlich auf dem Imageboard 4chan. Später "migrierte" die Bewegung zu 8chan und dessen Nachfolger, 8kun.

Ausgangspunkt 8chan

So weit, so bizarr. Doch wer steckt hinter QAnon? Gemäß den Anhängern ist Q ein aus der Anonymität agierender, hochrangiger Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes. Dieser äußert sich aber nie mit direkten Angaben. Seine "Drops" bestehen stets aus kryptischen Hinweisen. Eine Schar besonders passionierter Anhänger mit hohem Standing in der Community macht sich nach jeder Veröffentlichung daran, diese zu interpretieren.

Welche Person bzw. welche Personen hinter dem "Q"-Pseudonym stecken, ist bis heute nicht geklärt. Doch eine vielversprechende Spur führt auf die Philippinen. Dort, nahe der Hauptstadt Manila, lebte Fredrick Brennan. Der Amerikaner hat 2013 8chan ins Leben gerufen und gemeinsam mit seinen Landsleuten Arthur Watkins und dessen Son Ron betrieben. 2015 übernahm Arthur Watkins die Kontrolle über das Netzwerk, während Brennan sich anderen Projekten widmete und 2016 auch als Administrator bei 8chan abtrat. Es kam zunehmend zu Auseinandersetzungen und 2018 zum endgültigen Ausstieg von Brennan, der sich zunehmend von 8chan – heute: 8kun – distanzierte.

Watkins und "Q"

Gegenüber ABC News erklärt Brennan, dass Watkins, so er nicht selbst "Q" sei, die einzige Person ist, die mit "Q" direkten Kontakt aufnehmen kann. Vater und Sohn Watkins haben bereits in der Vergangenheit bestritten, hinter dem mysteriösen Verschwörungsführer zu stecken und wollten sich gegenüber ABC nicht zu den Aussagen von Brennan äußern.

Dieser wiederum verfolgt genau, was die neuen 8chan-Besitzer planen und versucht IT-Dienstleister dazu zu bewegen, ihnen den Service zu verweigern. Er verdächtigt Watkins auch, hinter dem mittlerweile stillgelegten Projekt "QMap" zu stehen, einer für die Szene zuvor wichtigen Seite mit über zehn Millionen monatlichen Besuchern, auf der man sich ganz der Analyse der Hinweise von Q widmete.

Die Seite soll auf einem Server mit der gleichen IP-Adresse wie 8kun gehostet worden sein und dasselbe Hostingangebot genutzt haben. Der gleiche Anbieter, der nur wenige Wochen, bevor 8chan nach dem Rauswurf durch die Hostingplattform Cloudflare als 8kun wieder ans Netz ging, seinen Betrieb aufgenommen hat, gewährt auch der Neonazi-Seite Daily Stormer digitalen Unterschlupf.

Factchecker des Portals Logically identifizierten allerdings einen IT-Techniker aus New Jersey als Betreiber von QMap. Dieser wiederum bestritt, irgendetwas mit Watkins zu tun zu haben.

"Bemerkenswerter" Einfluss

Wissenschafter, die sich mit dem Phänomen QAnon beschäftigen, sind aber ohnehin weniger direkt an der Identität der "Führungsperson" interessiert, sondern die Rolle jener, die Personen wie Watkins spielen. Brian Friedberg von der Harvard University merkt hierzu an, dass Watkins und 8kun "bemerkenswert viel Kontrolle" über die zunehmend internationale Bewegung haben, die sich zu einem "wichtigen Vervielfältiger für politische und medizinische Falschinformationen" entwickelt hat.

Ähnlich sieht das auch Politikforscher Mike Rains. "Es ist nicht wirklich wichtig, wer die Q Drops verfasst. Wat

kins ist deren Publizist. Er ist die einzige Quelle von Informationen, die nach außen getragen werden dürfen."

QAnon statt Neonazis

Brennan sieht eine von Watkins vollumfänglich unterstützte Wandlung bei 8kun, weg von Neonazismus und "White Supremacy" und hin zu QAnon. Er befürchtet Schlimmes, sollte Trump im November bei der Präsidentschaftswahl unterliegen. Dies würde für die Anhänger der Verschwörungserzähler einer Bestätigung des "Deep State", der ihren abgöttisch verehrten Krieger zu Fall gebracht hat. Und dafür würden sie sich dann an den Demokraten auch mit Gewalt rächen.

Die Auseinandersetzung zwischen Watkins und Brennan eskalierte im Herbst 2019, als Watkins gegen seinen einstigen Geschäftspartner wegen Online-Kreditschädigung vor Gericht zog. Letztlich wurde ein Haftbefehl gegen Brennan erlassen, der daraufhin aus den Philippinen zurück in die USA floh und seine Frau zurücklassen musste. Er sagt, aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme wäre der Aufenthalt im Gefängnis für ihn lebensgefährlich. Brennan leidet an Osteogenesis Imperfecta, einer Krankheit, die seinen Kleinwuchs verursacht hat und seine Knochen brüchig macht.

Watkins profitiert stark von der QAnon-Gemeinde. Neben Werbeschaltungen auf seinen Seiten verkauft er auch verschiedensten Q-Merchandise und beteiligt sich an Gruppen, die einschlägige Bücher verkaufen und Videos erstellen.

Beiden Rivalen sind zurück in den USA

Seine Aktivitäten haben ihn aber mittlerweile bei den Behörden zu einem "unerwünschten Ausländer" gemacht, was auf eine Initiative von Brennan zurückgeht. Dieser Status bedeutet, dass er abgeschoben werden kann. Doch ob dies tatsächlich geschieht, obliegt den Offiziellen. Eine Person, die sich als sein Schwager identifizierte, erklärte, dass Watkins die Schweinefarm, auf der er gelebt hatte, verkauft hat und in die USA zurückgekehrt ist.

Er hat noch bis zum 31. Jänner Zeit, um wieder in die Philippinen zu fliegen und seinen Status anzufechten, da er andernfalls ein Einreiseverbot erhält. Da es aber praktisch kaum vorkommt, dass die Behörden eine solche Einstufung widerrufen, ist seine Rückkehr unwahrscheinlich.

Der Konflikt zwischen den beiden hat sich damit zwar geografisch verlagert, dürfte aber längst nicht ausgestanden sein. Abzuwarten bleibt, ob sich Watkins Ortswechsel auf die Aktivitäten der QAnon-Bewegung auswirkt – die sich in guten Teilen aber ohnehin bereits verselbstständigt hat. (gpi, 24.09.2020)