Die Küche ist einfach gestaltet: ein paar Herdplatten, eine große Tiefkühltruhe und ein Schrank, in dem Gewürze und Hirse lagern. "Für die Entwicklung braucht man wirklich nicht viel", sagt Cornelia Habacher, während sie durch den Raum führt. "Das Meiste lernt man beim Experimentieren." Zum Beispiel, wie man es schafft, dass ein Gemisch aus Pilzen und Hirse wie ein herkömmliches Fleischlaibchen aussieht – und wie viel Fleischanteil noch in die Masse muss, damit das Ganze doch nach Fleisch schmeckt.
Cornelia Habacher ist Molekularbiologin – und Unternehmerin. Gemeinsam mit Philip Stangl hat sie 2019 das Start-up Rebel Meat gegründet. In der kleinen Entwicklungsküche im Co-Working-Space Impact Hub entstehen Burger und Würste, die zur Hälfte aus Fleisch, zur anderen Hälfte aus Pilzen, Hirse und Gemüse bestehen. Damit will Rebel Meat die Zielgruppe der sogenannten Flexitarier ansprechen – Leute also, die keine Vegetarier sind, aber trotzdem ihren Fleischkonsum reduzieren wollen.
Fleischgeschmack schwer nachstellbar
Es gebe in den Supermarktregalen mittlerweile zwar etliche Fleischersatzprodukte aus Soja, "aber allein mit pflanzlichen Stoffen ist der Geschmack nicht gut nachstellbar", sagt Habacher. Um die Aromastoffe zu behalten, brauche es nach wie vor einen kleinen Anteil echten Fleisches. Das beziehen sie von Bio-Schlachthöfen, die im Gegensatz zu herkömmlichen Fleischern das Vermarktungspotenzial der Semi-Veggie-Burger auf Anhieb verstanden hätten.
Möglichst fleischlose Ernährung ist ein Trendthema, und Gründer sind gut darin, Trends zu Geld zu machen. Das haben auch Investoren, Lebensmittelkonzerne und Supermärkte erkannt und fördern sie deshalb. Ein Auftritt in der Start-up-Show 2 Minuten 2 Millionen des TV-Senders Puls 4 war die Triebfeder für Rebel Meat, neben der Gastronomie gibt es die Pilz-Hirse-Fleisch-Burger und -Würste nun auch bei Billa, Merkur oder Metro im Regal. Zahlen, wie viel sie damit schon umsetzen, wollen sie noch nicht nennen. Finanziert hat sich das Start-up in der Vergangenheit unter anderem über eine Crowdfunding-Kampagne und Förderungen.
Mehr Aufmerksamkeit
Seit 2008 wurden 2200 Start-ups in Österreich gegründet, die Zahl stieg jedes Jahr um 15 Prozent. Die meisten Gründungen gab es in Wien. Start-ups wie Rebel Meat gehören zu jenen Unternehmen, die von der großen Aufmerksamkeitswelle rund um die Gründer profitieren. Start-ups sind meist junge Unternehmen, die innovativ sind (oder zumindest sein sollen) und schnell wachsen. "In den letzten Jahren haben Start-ups auch in Österreich zunehmend mehr Wahrnehmung erfahren", sagt Dieter Rappold, Chef von Speedinvest Pirates, das die jungen Gründer in Sachen Marketing und Wachstumsstrategie berät.
Dazu tragen medienwirksame Geschichten wie jene des Wiener Start-ups Shpock bei. 2012 von Katharina Klausberger und Armin Strbac gegründet, hat die Flohmarkt-App mittlerweile mehr als zehn Millionen Nutzer weltweit. Vor fünf Jahren wurde Shpock schließlich vom norwegischen Medienkonzern Schibsted übernommen. Oder da wäre die Diabetes-App MySugr, die nicht mehr nur einen Firmensitz im ersten Wiener Bezirk, sondern einen zweiten im kalifornischen Silicon Valley hat.
International nicht sichtbar
International sei Wien trotzdem immer noch nicht sehr sichtbar – im renommierten Ranking des Global Start-up Ecosystem wird sie nicht unter den Top-40-Städten gereiht. Locken will man internationale Start-ups deswegen mit Einsteiger-Packages, wie jenem der Wirtschaftsagentur Wien, bei denen die Start-ups für vier Wochen eingeladen werden, um den Markt besser zu verstehen, neue Geschäftsmöglichkeiten zu identifizieren und sich mit relevanten Stakeholdern zu vernetzen.
Wien biete Gründern ja durchaus Vorteile wie eine gute soziale Absicherung und günstigen Wohnraum, meint Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien, die Start-ups auch in puncto Immobilien oder Finanzierung berät. "Vor allem anfangs wird Gründern mit Förderungen gut geholfen", sagt er. Darin sieht Start-up-Experte Rappold ein Problem: "Die Start-ups in Österreich sind tendenziell eher zu stark gefördert." Statt als erster Anschub zu dienen, werden die Förderungen für manche Gründer zur primären Einnahmequelle. Dazu seien Sozialversicherungsbeiträge und Lohnnebenkosten nach wie vor vorrangig auf große Unternehmen ausgerichtet und zu wenig an die kleinen Gründerteams angepasst. Auch bei den Investitionen gebe es noch deutlich Aufholbedarf.
Keine Kultur des Scheiterns
Hinter einer schweren Eisentür wird der Blick ins Innere frei: mehrere Korridore, die an grauen Blechwänden vorbeiführen, unterteilt in 65 Kabinen, mit Zahlenschloss und ein paar Quadratmetern Stauraum. "Das war früher ein alter Textilhandel", sagt Ferdinand Dietrich. Zu sehen ist davon nichts mehr, den Raum mitten in der Wiener Innenstadt hat er in eine kleine, moderne Lagerhalle umbauen lassen.
Self-Storage-System nennt Dietrich das Prinzip seines Start-ups Storebox, bei dem Privat- und Firmenkunden kleine Lagerräume in der Stadt über Nacht oder auch für mehrere Monate mieten können. In den Abteilen werden Temperatur, Luftdruck und Feuchtigkeit von Sensoren in Echtzeit gemessen, um die Schimmelgefahr zu reduzieren.
Vor drei Jahren hat Dietrich Storebox mitgegründet, heute bietet er 50 Lagerplätze in Wien an. In seinem hellen Büro im fünften Wiener Gemeindebezirk sitzen 40 Mitarbeiter. "Corona war für uns ein Boost", sagt er, "weil viele plötzlich Zeit hatten, ihre Wohnungen auszuräumen, und neuen Stauraum brauchten." Außerdem würden durch den boomenden Online-Handel städtische Lagerflächen immer wichtiger.
"Ich wollte schon immer Unternehmer werden", meint Dietrich. Allerdings sei es am Anfang schwierig gewesen, die Finanzierung richtig zu planen. Nicht zuletzt deshalb sei er mit einem seiner ersten Projekte, einer Lagerplatzbörse, gescheitert – die Umsätze blieben aus. Bei Storebox sei er aufgrund des besseren Netzwerks schneller an Investoren gekommen. "Trotzdem ist es nicht einfach, gerade größere Finanzierungen in Österreich zu bekommen", so Dietrich, "die Kultur des Scheiterns ist hierzulande nicht sehr gut verankert."
Forderungen und Förderungen
Das bestätigt auch Oliver Csendes, Geschäftsführer der Wiener Innovationsberatung Pioneers. "Der Markt für Risikokapital ist in Österreich klein, dazu haben nur wenige globale High-Tech-Unternehmen ihren Standort in Wien", sagt er. "Gerade in späteren Phasen eines Start-ups ist es schwierig, größere Finanzierungen zu bekommen."
Die Branche selbst hat laut einer Umfrage deutliche Forderungen: 44 Prozent erwarten sich von der österreichischen Politik eine Senkung der Lohnnebenkosten, 41 Prozent mehr Anreize für Risikokapital. Die Regierung hat zumindest teilweise auf die Forderungen reagiert. Risikokapitalgeber sollen einen Teil ihrer Investitionen steuerlich absetzen können. Während der Corona-Krise wurde außerdem ein 150-Millionen-Euro-Rettungspaket für Start-ups geschnürt, das sich zu zwei Dritteln aus privaten Investoren speist und die Start-ups in dieser Zeit am Leben erhalten soll.
Eine positive Entwicklung ist laut Csendes, dass die Kooperation zwischen etablierten Unternehmen und Startups mittlerweile professioneller erfolge. Früher wären innovative Start-ups oft von Konzernstrukturen erschlagen worden, nun habe man erkannt, dass dies wenig Sinn mache. Aufholbedarf sieht er nach wie vor bei der Ausbildung: "Die Idee, dass man unternehmerisch tätig werden oder die eigene Forschung kommerzialisieren könnte, sollte noch viel mehr an den Universitäten etabliert werden."
Risikobewertung in Favoriten
Dann gäbe es auch mehr Leute wie Lisa Smith, mit Harald Nitschinger Gründerin des Start-ups Prewave. Während ihrer Dissertation in Informatik an der TU Wien entwickelte sie eine Technologie, die quasi der Startschuss für ihr Unternehmen war. Dabei werden öffentliche Daten und Informationen aus Social-Media-Kanälen wie Twitter oder Youtube und lokalen Nachrichtenseiten aus mehr als 50 Sprachen analysiert und ausgewertet. Anhand der Ergebnisse sollen Störungen, Risiken und Probleme in Lieferketten weltweit frühzeitig erkannt und Warnungen an Unternehmen ausgegeben werden.
Klingt kompliziert? Ein Beispiel: Mitarbeiter einer kleinen Fabrik in Indonesien protestieren öffentlich auf Twitter über die Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb. Wenig später berichten auch lokale Nachrichten über die Stimmungslage. Prewave greift die Daten auf und erstellt anhand von diesen einen Risikobefund, der die Situation analysiert und gegebenenfalls einen Früh-Alert an jene internationalen Unternehmen ausgibt, die von der Fabrik als Lieferant abhängig sind. "Neben Demonstrationen und Streiks kann es aber auch um Umweltprobleme, Kinderarbeit, politischen Veränderungen oder Unternehmensschließungen gehen", sagt Smith. "Lieferketten und Nachhaltigkeitsrisiken sollen damit weltweit überblickbar werden."
Auftrieb durch Corona
Kunden des Start-ups sind vor allem Automobilfirmen aus Deutschland, Versicherungen, dazu die Textil- und Pharmaindustrie. Um die Millionen Daten aus aller Welt auszuwerten, braucht Smith nicht mehr als gute Rechner, die in den beiden sonst eher spartanisch eingerichteten hellen Büroräumen direkt am Viktor-Adler-Markt im Süden Wiens stehen. Zwölf Mitarbeiter sitzen normalerweise hier und schauen konzentriert in ihre Computer, während unter ihnen das Marktgeschehen laut tobt, wegen der Corona-Krise und dem damit einhergehenden Homeoffice derzeit nur die Hälfte.
Die globale Gesundheitskrise habe dem Start-up einen gewaltigen Auftrieb verschafft, weil in den vergangenen Monaten Probleme in den Lieferketten durch Infektionen oder Betriebsschließungen vermehrt aufgetreten sind, so Smith.
Zehn Jahre mit Start-up beschäftigt
Auch wenn das Unternehmen jetzt floriert – leicht war der Weg seit der Gründung 2017 für sie und ihren Partner Harald Nitschinger nicht immer: "Die größte Herausforderung war es, aus der Technologie ein Produkt zu machen", sagt Nitschinger. "Wer ein Start-up gründet, dem muss klar sein, dass man längere Zeit weniger verdient – und dass man damit schnell zehn Jahre seines Lebens intensiv beschäftigt ist." (Jakob Pallinger, 6.10.2020)