Man kann das unstrukturierte Vorsichhinschimpfen als seine Form transzendentaler Meditation verstehen. Oder als Schutzschild gegen böse Überraschungen.

Illustration: Carlos Vergara

Als wir Studenten waren, gingen wir gern in das Wirtshaus Leupold am Schottentor (nicht weit von der Uni), tranken dort Bier und vertilgten dazu körberlweise die herrlichen Handsemmeln, die es dort gab. Für andere Speisen hatten wir kein Geld. Bis eines Tages der Ober zu uns trat und die Aufforderung an uns richtete: "Saufts eich lieba beim Bäcken an!"

Das war unter den vielen Spielarten des wienerischen "Grants" sozusagen der imperative, gebieterische Grant.

Wien ist Welthauptstadt das Grantelns und Raunzens (zumindest in der Eigenwahrnehmung). Es gibt einige Synonyme (mosern, matschkern, raisonnieren), aber "seinen Grant auslassen" ist angeblich die Hauptbeschäftigung der echten Wiener, die nach Umfragen unter internationalen Expats zwar in einer der lebenswertesten Städte der Welt residieren, dabei aber von singulärer Unfreundlichkeit sind.

Unstrukturiertes Vorsichhinschimpfen kann sogar als eine Art transzendentaler Meditation der Wiener bezeichnet werden, ein Bewusstseinsstrom, der einfach fließen muss und so für Erleichterung sorgt.

a bisserl raunzen

Der Schriftsteller und Philosoph Franz Schuh hat einmal über den verwandten Begriff des "Raunzens" geschrieben, das ein Granteln ist, aber mit weinerlichem, selbstmitleidigem Ton. Es handle sich dabei um einen "dialektischen Masochismus", eine "Konstellation aus Gedanken und Gefühlen, die so aussieht, als quäle man sich selber, während man mit Sicherheit andere quält".

Raunzen sei "immer eine Antwort auf Ohnmacht, und sei es auf eine angemaßte; es ist die Antwort auf eine Impotenz, die man durch Taten nicht beseitigen kann oder besser gar nicht beseitigen möchte, ohne allerdings andererseits in der Lage zu sein, diese Ohnmacht zu ertragen".

Der Raunzer und Grantler ist meist ein Wiener (seltener, aber doch eine Wienerin) in gar nicht so schlechten materiellen Verhältnissen, oft im öffentlichen Dienst oder (früh)pensioniert, Mieter einer Sozialwohnung, also recht gut abgesichert, aber trotzdem diffus unzufrieden. Dieser Unzufriedenheit trug er schon seit längerem politisch Rechnung, indem er rechtspopulistische Politiker und Parteien wählte. Wenn diese sich als fragwürdig herausstellen – wie etwa Frank Stronach oder Haider oder Strache –, ist er erst recht grantig.

Phänomen des politischen Grantelns

Eine Erklärung für das Phänomen des politischen Grantelns, das in den letzten 25 Jahren doch stark zugenommen hat, könnte der Verlustangst-Grant sein: Man hat es nach eher miesen Zeiten und durch eine unbestrittene Aufbauleistung doch zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht – und nun hat man Angst, das wieder zu verlieren. Etwa durch die Weltfinanzkrise, aber vorzugsweise durch "Ausländer", die mittels "Sozialtourismus" die Einheimischen um ihren sozialen Standard bringen wollen.

Aber der Grant ist eine Konstante des Wiener Seelenlebens, auch ganz ohne politischen Anlass, vorzugsweise ausgedrückt im Beziehungsgrant:

Mizzi du gesd ausanand
Hoedd’s zaumm
Mizzi du gesd ausanaund in lezzda zeid
Hoedd’s zaumm scho

Dieser Strindberg’sche Dialog eines (wohl älteren) Paares stellt die Wiener Begriffe "ausanand’ gehn" (dick werden) und "zaumhoeddn" (den Mund halten) antithetisch einander gegenüber. Gerhard Rühm hat ihn in "Gedichte im Wiener Dialekt" (in: hosn rosn baa, Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Gerhard Rühm, 1959) geschaffen.

Armin Berg, Kabarettist der Zwischenkriegszeit (Der Überzieher) brachte das auf die endgültige grantige Formel: "Verwandte haben genügt nicht, man muss auch bös mit ihnen sein."

Etymologie des Grants

"Grant" ist eines der wenigen Wiener Dialektworte, das nicht aus dem Jiddischen kommt (wie z. B. Beisl, Haberer, Schnorrer, Mezzie oder Ramsch). Die Etymologie ist unklar, angeblich stammt es von den sauren Mienen der spanischen Granden am Habsburger Hof , die sich im mitteleuropäischen Winter nicht wohlfühlen. Na ja.

Eine Ableitung des Grants ist der Grantscherm, "hochdeutsch" auch Grantscherben. Im funkelnagelneuen Buch des verehrungswürdigen Arik Brauer (Wienerisch für Fortgeschrittene, Amalthea) wird der Grantscheam nicht so negativ bewertet. "Er raunzt, feut, keppelt und kritisiert alles und jeden", ist aber nicht wirklich böse. Er kann sogar gut und hilfreich sein. Idealtypus: Hans Moser.

Wien und Grant – das hat vor auch schon ein paar Jahrzehnten André Heller in einem Lied (für Helmut Qualtinger) ziemlich zur Deckung gebracht:

Wean, du bist a Taschenfeitel,
Unter an Himmel voll Schädelweh,
A zehnmal kochtes Burenhäutel,
Auf des i nix haas bin und trotzdem steh

Hier sieht man die Ambivalenz des Wieners in seinem Grant: "nix haas sein auf etwas" (keinen Wert darauf legen) und trotzdem "darauf stehen". Der Vers enthält übrigens zwei Begriffe, die schon fast nicht mehr zum Wiener Sprachgebrauch gehören: "Taschenfeitel" für ein einfaches Taschenmesser, das jeder Bub bei sich hatte, und "Burenhäutel" für die Burenwurst, die mehr und mehr vom Döner und Kebab verdrängt wird.

An diesem Punkt ist ein Exkurs fällig: Wie klingt Grant mit Migrationshintergrund? Wir leben in einer Stadt, deren Bevölkerung zu 40 Prozent Migrationshintergrund hat. Wie klingt Grant auf Türk-Deutsch? Auf Ex-Jugoslawisch?

Grantige Sehnsucht

Aber es gibt noch genug autochthone Grant-Produzenten, die notfalls den Originaltonfall produzieren können, so wie es Anton Kuh in einer Etüde über das Oaschlecken aufgezeichnet hat:

Solostimme (Bariton) tritt vor und spricht:

"Wer soll Ihna in Oarsch lecken? I soll Ihna in Oarsch lecken? I leck Ihna net in Oarsch … I bin ka Oarschlecker … Und wenn I aner wär, Se san der letzte, den was I leck … Do kennt der Kaiser kommen, leck I net … Lecken S’ Ihna selber in Oarsch, wenn S’ an Oarschlecker brauchen … So schen kann Ihna Oarsch gar net sein, dass i ’n leck … Weil i nemmlich ka Oarschlecker bin …" (gekürzt).

Das ist sozusagen der selbstbewusste Grant vom Grund. Aber es gibt auch einen, wo die Verzweiflung durchschimmert. Kaum jemand erinnert sich noch an den Volksdichter Ferdinand Sauter, der Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in der Blauen Flasche in Neulerchenfeld residierte. Sein Lebensresümee ist getragen vom Grant über sich selbst:

Immer lustig lebt der Sauter,
Treu ist sein Gemüt und lauter,
Tausend Hirngespinste baut er,
Und sich selber nicht vertraut er,
Alles was er hat, verhaut er,
Schöne Mädchen gerne schaut er,
Wie ein Kater, dann miaut er,
Leider aber schon ergraut er,
Immer mehr und mehr – versaut er.

Verzweiflung über das Selbst und das eigene Schreiben gibt es auch auf Literaturnobelpreisniveau: Als Elfriede Jelinek den Preis bekam und gefragt wurde, wovon ihre Rede handeln werde, machte sie ihrer Ratlosigkeit Luft: "Mich selbst liebe ich nicht, Österreich liebe ich nicht. Worüber also schreiben?"

Sie schrieb über die Sprache: "Wie soll der Dichter die Wirklichkeit kennen, wenn sie es ist, die in ihn fährt und ihn davonreißt, immer ins Abseits."

Immer ins Abseits. In die selbstgewählte Isolation, die man dennoch so gern durchbrechen möchte. Sehnsüchtiger Grant.

Höflichkeit als Tarnung

Der auch schon fast vergessene Jörg Mauthe, der sich aber große Verdienste um die geistige Öffnung Wiens erworben hatte (damals war ein Erhard Busek ÖVP-Chef), beschrieb die Wiener Höflichkeit (die auch nur noch in Rudimenten vorhanden ist), als Tarnung für den darunterliegenden aggressiven Grant: "Ausländer, vielleicht aber auch schon Westösterreicher, betrachten gewisse Erscheinungsformen der Wiener Höflichkeit mit Misstrauen und halten sie bisweilen für pure Heuchelei. Das ist sie aber nicht; ihre bisweilen übertrieben anmutenden Formeln und Anwendungsweisen erfüllen viel mehr den nützlichen Zweck, das aggressive Misstrauen, das den Wiener – als den Bewohner einer seit je wirklich oder gleichsam belagerten Stadt – stärker beherrscht als anderen Österreicher, einigermaßen im Zaum zu halten."

Immer passiert was

Der Einleitungssatz, mit dem Wolf Haas seine Brenner-Romane begann – "Jetzt ist schon wieder was passiert" –, drückt die habituelle Erwartungshaltung des grantigen Wieners aus, dass immer "etwas passiert", dass da nichts Gutes zu erwarten und dass alles ein schlechtes Ende nehmen wird.

Der Grant ist so auch ein Schutzschild gegen Enttäuschungen, böse Überraschungen, erwartbare Missgeschicke. Bevor man sich über etwas freut, ist man sicherheitshalber gleich grantig.

Man weiß eh, wie das alles enden wird mit einem. Aber manche, wie H. C. Artmann in seinem wauns a so weida geht mit mia, ergeben sich einem sanften elegischen Grant:

wauns a so weida geht mit mia
daun wia r e boed
auf ana gschdetn fola kamün
und hanslschlieffa schloffm –
auf ana gschdetn draustn*)

*) gschdetn: verwilderter Platz; kamün: Kamillenblumen; hanslschlieffa: Mauergerste

(Hans Rauscher, Leben in Wien, 9.10.2020)