Foto: Blake Little

"Anger is an energy", sang Rabiatperle John Lydon. Ein paar Jahre zuvor schon ergaben sich Hüsker Dü derselben Erkenntnis. Das US-Trio überantwortete in den 1980ern ihren adoleszenten Weltschmerz der Kernschmelze des Punks und ließ den Deckel hochgehen. Der Mann, der die Gitarre spielte und die schlechte Laune ausspie, war Bob Mould. Hüsker Dü wurden zu den wesentlichen Wegbereitern des späteren Alternative Rock. "I owe you", hat Dave Grohl von Nirvana und den Foo Fighters Jahre später zu Mould gesagt. "I know", hat der geantwortet.

Mould gilt als Elder Statesman des Fachs. Nach Abstechern in die Clubmusik und die Elektronik beackert er mit seiner Kunst wieder sein angestammtes Gebiet: hochenergetische Rockmusik in Trio-Besetzung. Zuletzt gab er sich auf seinem im Vorjahr erschienenen Album Sunshine Rock nachgerade fröhlich. Doch als Zeitzeuge der Reagan-Ära suchten ihn in den letzten Monaten zu viele Déjà-vu-Erlebnisse heim. Der Magen wurde sauer, die Stimmung brach, und Mould ging ins Studio. Was sich darin abgespielt hat, liegt seit heute vor: das Album Blue Hearts.

Wut und Ohnmacht

Es ist ein wütendes Werk, und solche fallen bei Mould meist besser aus, als wenn er bloß Selbstzerfleischung betreibt. Das zentrale Lied heißt American Crisis und eröffnet mit einem Schrei, einem Yin und Yang aus Wut und Ohnmachtsgefühl. Es handelt davon, dass er viel von dem Bullshit überwunden geglaubt hat, den Trump und Co nun erneut über die Welt bringen. Vom Rassismus bis zu der ihn selbst betreffenden Schwulenfeindlichkeit, der Marginalisierung von Minderheiten, dem Reaktionären, dem religiös Fundamentalistischen. Da wird sein Herz schwer, der Hals dick.

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Mould wird in drei Wochen 60 Jahre alt und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Der Blick auf die USA von außen mag da noch klarer geworden sein, zumindest klingt das Album danach.

Klingelnde Ohrwaschln

Sein Verdienst mit Hüsker Dü war es, dreckigen Hardcore mit Melodien zu kreuzen. Was heute Mainstream ist, hat er mit ermöglicht. Und in manchen Songs lässt sich diese Gratwanderung noch heraushören. Mit Jason Narducy am Bass und Jon Wurster (von Superchunk und The Mountain Goats) am Schlagzeug deutet er die Zeichen der Zeit.

Gleichzeitig wohnt Songs wie Racing To The End oder Siberian Butterfly die Botschaft inne, nicht aufzugeben. Ein Furor mit Botschaft. Nicht die Schlechten gewinnen lassen, lautet diese. Die Wettervorhersage mag Regen ankündigen, in dem stehen gelassen zu werden, darf nicht passieren.

Dem Nihilismus der frühen Tage ist natürlich längst die Einsicht gefolgt, dass der abzuschütteln ist, wenn man überleben will. Mit 14 Songs, die einem die Ohrwascheln zum Klingeln bringen, erinnert Mould uns daran. Die andere notwendige Verpflichtung dieser Tage hat er längst erledigt: die Stimmabgabe per Briefwahl. (Karl Fluch, 25.9.2020)