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Mehr Fahrgäste in Öffis könnten in Bezug auf Corona unvorteilhaftes Gedränge in Bus und Bahn verursachen.

Foto: dpa / Andreas Arnold

Wien – Vor der großen Verhandlungsrunde mit den Verkehrslandesräten der Bundesländer zum 1-2-3-Ticket am Freitag versuchte das Klimaschutz- und Verkehrsministerium, gute Stimmung zu verbreiten: "Den Ländern entstehen keine Kosten", die Finanzierung des 1-2-3-Tickets sei mit den budgetierten 240 Millionen Euro zur Gänze gesichert. Alle Einnahmenverluste werden abgegolten.

So lautet die zentrale Botschaft von Umwelt-, Verkehrs- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne), mit der die besonders widerspenstigen Länder Niederösterreich, Burgenland, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark und Kärnten auf Kurs gebracht werden sollen.

Abwanderung

Die Finanzierungsgarantie gilt freilich nur für die bundesweite 3er-Stufe des 1-2-3-Tickets, die im ersten Halbjahr 2021 auf Schiene gebracht werden soll. 95 Millionen stehen für nächstes Jahr zur Bedeckung zur Verfügung, im Jahr darauf sind es 150 Millionen Euro. Da sollte das Jahresticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich um drei Euro pro Tag dann ins Laufen gekommen sein und neue Fahrgäste zum Umstieg auf Bahn und Bus bewegen. Der Bund werde die durch Abwanderung zum österreichweiten Jahresticket bei Stadtwerken und Verkehrsbetrieben der Kommunen entstehenden Einnahmenverluste ebenso ersetzen wie Verkehrsverbünden und der ÖBB, so das Versprechen.

Bedeckt gibt man sich hingegen bei den Zielen: Wie viele Fahrgäste im ersten vollen Tarifjahr mit der 3er-Fahrkarte unterwegs sein sollen, sei seriös nicht abzuschätzen, sagte der zuständige Projektleiter im Verkehrsministerium, Jakob Lambert. Grob geschätzt rechne man pro Jahr mit rund hundert Millionen Euro an Einnahmen allein aus der Stufe 3. Da derzeit mindestens 100.000 Fahrgäste pro Jahr mehr als 1095 Euro für ihre Pendlerfahrkarten ausgäben, liege nahe, dass diese in den neuen Tarif wechseln könnten.

Mitnahmeeffekte

Damit ist absehbar, dass die österreichweite Stufe des 1-2-3-Tickets insbesondere jenen Personen zugutekommen wird, die bereits jetzt den öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr nutzen und/oder bereits die Österreich-Card der ÖBB. Dieser Mitnahmeeffekt wird in der von Eco Austria, Wifo und IHS vorgenommenen "Ökonomischen Bewertung der in der Regierungsklausur am 16. Juni 2020 vorgestellten Maßnahmen" mit 70 Prozent angenommen, der Investitions-Förderungs-Hebel mit drei. Beides deutet auf überschaubare Effekte dieser Ökologisierungsinvestitionen hin.

Die Flatrate für die Öffi-Kunden gilt übrigens nicht nur bei Einmalzahlung, sondern auch bei monatlicher Abbuchung vom Konto.

Forderungsliste der Landesräte

Ob sich mittels Finanzierungszusicherungen die teils aufgebrachten Verkehrslandesräte rund um den niederösterreichischen Ludwig Schleritzko (ÖVP) befrieden lassen, bleibt abzuwarten. Sie äußern teils tiefgehende Kritik an dem nach der AUA-Rettung überfallsartigen Vorpreschen mit der 3er-Stufe des Wahlkampfschlagers 1-2-3-Ticket. "Es scheint unabdingbar, nicht allein das österreichweite Ticket (3er-Ticket) voranzutreiben", appellieren sie in ihrem Antrag an die freitägliche Konferenz, "sondern immer die Kombination mit anderen Netzkarten (,1er- und 2er-Ticket‘) gemeinsam zu entwickeln, die Auswirkungen aller Fahrkartenarten auf die Partner zu berücksichtigen und diese vor Inkrafttreten des 3er-Tickets vertraglich festzulegen."

Nachgeschoben wird darüber hinaus, dass Pendler unterschiedlicher Bundesländer gleich behandelt werden müssten – ein Seitenhieb weil die Burgenländer vom 3er-Ticket zwar profitieren können, aber auf der Fahrt nach Wien nicht vom geplanten 2er-Ticket. Denn dabei ist der Transit durch Niederösterreich notwendig. Dass sie trotzdem profitieren, weil das Dreierticket billiger sein wird als die aktuellen Zeitkarten, besänftigt Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) nicht, er sieht Burgenländer diskriminiert. Im Verkehrsministerium teilt man diese Befürchtung nicht, vom Dreierticket würden alle Fahrgäste profitieren.

Dicke Bretter

Als dicke Bretter stellen sich die weiteren Bedingungen und Kritikpunkte der Länder- und Verkehrsverbund-Vertreter dar:

  • Angebotsausweitung Für den Erfolg der Öffi-Offensive – Ende der Legislaturperiode, also 2024 sollen alle Bundesländer in allen drei Stufen des 1-2-3-Tickets an Bord sein – unabdingbar ist die Angebotsausweitung. Sie sei durch Bahnausbauprogramm und Verkehrsdienstverträge auf Schiene, versichert der für Infrastrukturfinanzierung und -ausbau zuständige Sektionschef Herbert Kasser. Das dazugehörige Wagenmaterial sei, wie mit den Ländern vereinbart, in Beschaffung.
  • Ticketvertrieb Ein Dorn im Auge ist den Verkehrsverbünden der gemeinsame Ticketshop von Bund und ÖBB, in den das System des ÖBB-Personenverkehr eingebracht wird. Der Ticketvertrieb müsse "von Beginn an für alle Öffi-Betreiber diskriminierungsfrei, gleichberechtigt und serviceorientiert gewährleistet sein", fordern die Länder, die sich vom größten staatlichen Mobilitätsdienstleister ausgebremst sehen. Sie fürchten, auf ihren Investitionen in Billingsysteme sitzen zu bleiben und damit nur mehr ihre Spezialtickets verkaufen zu können. Auch die Angst vorm Verlust von Kundenkontakten geht um – allein bei den Wiener Linien geht es um 870.000 Jahreskarten-Abonnenten.

Ein weiteres Problem stellen insbesondere die erwarteten oder befürchteten Einnahmenausfälle bei Stufe 2 und 1 dar. Die Länder gehen aufs Ganze, sie fordern die Kompensation sämtlicher wirtschaftlicher Ausfälle und "eine konsensuale Indexierung der Tickets", worunter wohl Vorsorge zu verstehen ist, dass es nicht zu einer Versteinerung der Tarife auf 365 bzw. 730 und 1095 Euro pro Jahr (je nach Zone) kommt. Beides dürfte wohl eher ein Wunsch ans Christkind sein, denn gerade in der Flatrate sieht die Verkehrsministerin die Revolution des Öffi-Verkehrs. Für Stufe 1 und 2 brauche es sowieso ein eigenes Finanzierungsmodell, beschwichtigt man im Ministerium. Jetzt gehe es aber nur um die Stufe 3. (Luise Ungerboeck, 25.9.2020)