Alle warten auf Medikamente, die gegen schwere Verlaufsformen von Covid-19 helfen – doch die Hürden für eine Medikamentenzulassung bleiben hoch.

Foto: Getty Images/iStockphoto

In misslichen Situationen spielen Hoffnungen immer eine große Rolle. Derzeit gibt es viele, und sie sehen sehr unterschiedlich aus. Die meisten Menschen rund um den Erdball hoffen, dass sie sich nicht mit dem neuen Coronavirus anstecken, zu unvorhersehbar ist der Verlauf. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass eine Infektion einerseits komplett unbemerkt, also ohne jegliche Symptome, andererseits aber auch tödlich enden kann. Wer genau wie vom Virus betroffen ist, ist noch unklar.

"Das eine Wundermittel, also eine 'magic bullet' gegen das Virus, wird es nicht geben", sagte Thomas Cueni, Generaldirektor der Internationalen Föderation der pharmazeutischen Hersteller (IFPMA) bei einer Web-Konferenz, zu der er die Chefs von fünf großen Pharmakonzernen eingeladen hatte. Alle waren sich einig: "Es wird unterschiedliche Behandlungen für unterschiedliche Patientengruppen in unterschiedlichen Stadien der Corona-Infektion geben."

Viren hemmen

Daran, dass aus Hypothesen eine Hoffnung für Schwerkranke wird, arbeiten seit sechs Monaten Legionen von Wissenschaftern. Sie alle verstehen sich als Vertreter der evidenzbasierten Medizin (EbM): Ein strenges Regelwerk aus Daten sorgt dafür, dass Nebenwirkungen und Wirksamkeit erkannt werden. Damit ist die EbM ein Instrument zur objektiven Betrachtung einer medizinischen Behandlung.

Diesen Wirknachweis hat das kalifornische Unternehmen Gilead bereits erbracht. Sein Medikament Remdesivir, ein Wirkstoff, der die Virenvermehrung hemmt und ursprünglich gegen das Ebolavirus entwickelt worden war, erwies sich auf Covid-Stationen als wirksam. Daniel O'Day, Geschäftsführer von Gilead, gab Einblick, wie dieser schnelle Wirknachweis erbracht werden konnte.

Als das Genom von Sars-CoV-2 veröffentlicht wurde, konnten die Gilead-Forscher das Potenzial des ursprünglich gegen das Ebolavirus entwickelten Medikaments bereits erkennen. Beide Viren verwenden zur Vermehrung einen Mechanismus, der durch Remdesivir, ein Nucleosid-Analogon, gestört wird. An Remdesivir wird seit der Ebola-Krise in Westafrika 2015 gearbeitet, es hatte also wichtige Sicherheitsprüfungen bereits hinter sich und konnte deshalb schon im März in einer klinischen Phase-III-Studie eingesetzt werden.

Die Studienergebnisse zeigten: Es profitieren Patienten mit schweren Verlaufsformen, allerdings nur dann, wenn es nicht bereits zu einer generalisierten Entzündungsreaktion im Körper gekommen ist. Ist das der Fall, kann auch Remdesivir nichts mehr ausrichten, weil das Medikament nicht auf das Immunsystem, sondern auf das Virus wirkt.

Lange Produktionszeiten

Die Herausforderung für Gilead-Geschäftsführer O'Day: "Die Herstellung von Remdesivir dauerte zwölf Monate und ist ein biotechnologisches Verfahren, das aus 36 teilweise parallel durchzuführenden Einzelschritten besteht", erklärt er. Gilead hatte Medikamentenmengen für 5.000 Behandlungen, die Nachfrage war 40-mal höher.

"Unser Rivale ist das Virus und nicht der Mitbewerb", sagte Albert Bourla, Geschäftsführer von Pfizer, und kann berichten, dass er Gilead schon im Frühjahr Unterstützung angeboten hat, etwa die Nutzung von Produktions-, Beschaffungs- und Logistikkapazitäten. Die Koordination von 36 Produktionsschritten unter höchsten Sicherheits- und Qualitätsanforderungen ist für alle ein Megaprojekt, denn in der Arzneimittelherstellung herrschen auch extrem strenge Vorgaben, was die Produktionsanlagen und -prozesse betrifft. Gute Herstellungspraxis, Good Manufacturing Practice, ist in der Medikamentenentwicklung eine zentrale Anforderung.

Die Zusammenarbeit von Pharmafirmen, die einander Einblicke in Betriebsgeheimnisse ermöglichen, gab es noch nie, und man sieht es den Chefs der großen Firmen an, dass sie eigentlich selbst von dieser Vereinigung der Kräfte noch überrascht sind.

Produktion auf Verdacht

Auch die Risikos, die dabei eingegangen werden, gab es noch niemals zuvor in der Geschichte der Branche. So produzierte man Remdesivir nicht nur gemeinsam, sondern auch ohne zu wissen, ob es sich in den Studien tatsächlich bewähren würde. Zum Glück war das der Fall. Am 3. Juli 2020 bekam das Medikament die Zulassung von der Europäischen Kommission, und weil es Gilead parallel dazu gelungen war, die Produktionszeit von zwölf auf sechs Monate zu reduzieren, rechnet Dan O'Day damit, dass man mit Ende September den realen Bedarf, der weltweit für dieses Medikament besteht, auch erfüllen wird können. "Wir werden es weit unter dem Preis verkaufen", sagte O'Day – und man habe Remdesivir auch bereits für weniger reiche Länder lizensiert.

"Produktion auf Verdacht" ist auch bei den Impfherstellern ein gängiges Konzept in der Pandemie, vor allem bei der Herstellung von genetischen Impfstoffen. "Es passieren derzeit viele Dinge gleichzeitig, anders könnten wir die Impfungen ja nicht zu den Leuten bringen", sagte Pfizer-Chef Bourla, nicht ohne zu betonen, dass nur ein sicherer und wirkungsvoller Impfstoff auf den Markt kommen wird. "Ich leite ein Unternehmen, das eben sein 170-jähriges Bestehen gefeiert hat und dessen Ruf ich nicht riskieren werde, indem ich einen schlechten Impfstoff auf den Markt bringe", sagte er und betonte, dass "Sicherheit das Number-one-Prinzip" sei.

Neue Kooperationsbereitschaft

So wie die meisten anderen Impfstoffhersteller auch, haben viele große, global tätige Pharmafirmen mit kleineren Biotechnologie-Unternehmen Kooperationen geschlossen, um Forschung, Zulassungsverfahren und die Produktion mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schneller voranzutreiben. Das erklärt auch, warum die ansonsten sehr langwierige Entwicklung von Wirkstoffen derzeit schneller geht.

Pfizer kooperiert mit dem deutschen Biotechnologie-Unternehmen Bio-N-Tech, nach einem ähnlichen Prinzip agiert Astra Zeneca mit der Universität Oxford, die beide klinische Studien in der Phase III haben und noch im Herbst Ergebnisse erwarten. Getestet wird dort, wo das Virus aktiv ist, in den USA und Lateinamerika. Aber auch Hersteller wie Astra Zeneca gehen hohe Risikos ein und produzieren, ohne die Zulassungen für ihre Impfstoffe in der Tasche zu haben. Im ungünstigsten Fall müssten sie Millionen produzierter Impfstoffdosen vernichten.

Auch Rückschläge

Zu den strengen klinischen Studien, die Wirk- und Sicherheitsnachweise bringen, sehen sämtlich CEOs der großen Pharmakonzerne keine Alternative, auch dann nicht, wenn sie ungünstig ausfallen. Auch das ist in den vergangenen Monaten passiert. Bei schweren Verlaufsformen von Covid-19 entsteht im ganzen Körper eine Entzündungsreaktion, die das Immunsystem zusammenbrechen lässt. Diese Überreaktion ist in der Medizin bekannt und wird auch als Zytokinsturm bezeichnet. Das antientzündliche Medikament Tocilizumab vom Schweizer Pharmakonzern Roche ist ein biotechnologisch gefertigtes Medikament, das dieser lebensgefährlichen Situation entgegenwirkt. So jedenfalls lauteten zu Beginn der Corona-Pandemie Berichte italienischer Ärzte, die Tocilizumab in der Not einsetzten.

Roche, Hersteller des Medikaments, initiierte eine klinische Studie, um die Wirkung auch statistisch zu belegen. "Doch leider zeigte sich, dass unser Medikament weit weniger wirkungsvoll war, als wir dachten", sagte Severin Schwan, Geschäftsführer der Schweizer Pharmafirma, und das habe man hinnehmen müssen. Man arbeite an neuen Hypothesen – "zum Beispiel an der Kombination verschiedener Wirkstoffe", sagte er. So könnte Tocilizumab eventuell mit antiviralen Antikörpern des Pharmaherstellers Regeneron einen günstigen Effekt haben. Auch für diese Behandlungsoption laufen Studien, deren Ergebnisse abzuwarten sind. "Es gibt einfach keine Möglichkeit, diese hohen Standards zum Beweis einer Wirksamkeit zu senken", sagte Schwan. Es gebe eben auch Studien, deren Hoffnungen sich nicht erfüllen.

Prophylaxe als Option

Auch der US-Pharmariese Eli Lilly arbeitet an Antikörpern, die Risikogruppen schützen sollen und damit auch prophylaktisch verabreicht werden könnten, "in Pflegeheimen zum Beispiel, um das Ansteckungsrisiko drastisch zu senken", sagte Eli-Lilly-Chef David Ricks, der die Geschwindigkeit, mit der derzeit Medikamente entwickelt werden, auch auf die extrem effiziente Zusammenarbeit mit den Behörden zurückführt. "Derzeit gibt es kaum Wartezeiten zwischen den einzelnen Entwicklungsschritten, es wäre schön, wenn dieses Tempo auch in Zukunft beibehalten werden könnte", sagte er. Dem kann Kenneth Frazier, Chef des Pharma-Unternehmens Merck, ebenfalls zustimmen. Bei Merck arbeitet man an Wirkstoffen gegen mildere Verlaufsformen einer Corona-Infektion, die zukünftig Hospitalisierungen vermeiden sollen.

Die pharmazeutische Industrie will einen Beitrag für eine bessere Bewältigung der Corona-Krise leisten und damit auch das schlechte Image loswerden, an dem die Branche seit Jahrzehnten leidet. Auf der Suche nach Strategien gegen das Coronavirus sind die Unternehmen zu echten Hoffnungsträgern geworden. Und das ist eigentlich auch wirklich neu. (Karin Pollack, 27.9.2020)