Die Black-Lives-Matter-Proteste wurden im Frühsommer auch in Wien groß. Aus den erwarteten 3.000 wurden 50.000 Teilnehmer*innen.

Foto: Heribert CORN

Noomi Anyanwu streckt ihre Faust in die Luft, "Black Voices" steht auf den Fahnen, die ihre Kolleg*innen schwenken. Bei einer Pressekonferenz am Wiener Brunnenmarkt gab die Initiative den Startschuss für ein antirassistisches Volksbegehren, unterstützt wird das junge Team von der Wiener SPÖ-Politikerin Mireille Ngosso und der grünen Nationalratsabgeordneten Faika El-Nagashi. Ngosso, Vize-Bezirksvorsteherin in der Inneren Stadt, ist als schwarze Frau in der österreichischen Politik immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Im Juni hatte die Ärztin die Black-Lives-Matter-Demo mitorganisiert, die alle Erwartungen der Initiator*innen übertraf. Rund 50.000 Menschen schlossen sich der internationalen Protestbewegung an und demonstrierten in Wien gegen Rassismus und Polizeigewalt – gerade einmal 3.000 Personen hatten die Organisator*innen angemeldet.

Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus

"Dieser Zulauf war überwältigend. Uns war klar, dass wir dieses Momentum nutzen müssen, daraus entstand die Idee eines Volksbegehrens", sagt Noomi Anyanwu. Die 20-jährige Studentin, die schon als Schüler*innenvertreterin aktiv war, ist eine der Sprecher*innen des Black-Voices-Volksbegehrens. Nicht nur das Organisationsteam des Volksbegehrens besteht aus jungen Menschen, auch im Hintergrund seien es überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, die sich einbringen, erzählt Noomi Anyanwu im STANDARD-Gespräch. "Ich glaube, dass meine Generation sich mehr informiert und ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus hat, es wird auch die Generation sein, die das Thema vorantreibt", formuliert es die Studentin selbstbewusst.

Als übergeordnetes Ziel nennt das Volksbegehren die Einführung eines nationalen Aktionsplans gegen Rassismus, es ist die "große Vision" der Initiative. Die geforderten antirassistischen Maßnahmen zielen auf die Bereiche Repräsentation und Öffentlichkeit, Polizei, Flucht und Migration, Gesundheit, Bildung und Arbeitsmarkt. Auch für ein neues Wahlrecht kämpft das Volksbegehren: Alle, die seit mindestens fünf Jahren in Österreich leben, sollen an den Wahlurnen mitbestimmen und auch kandidieren dürfen. Ganze dreißig Prozent der Wiener*innen dürfen bei der kommenden Landtagswahl ihre Stimme nicht abgeben, da sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen – darunter 72.000 Jugendliche.

Strukturell diskriminiert

Black Voices hat den institutionellen und strukturellen Rassismus im Blick – also jenen Rassismus, der als historisch gewachsenes Machtverhältnis alle Bereiche der Gesellschaft durchzieht. "Rassismus zieht sich durch alle Lebensbereiche", sagt Dilber Dikme, Leiterin der Beratungsstellen beim Verein Zara – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit. "Man bekommt vielleicht bei der Job- oder Wohnungssuche lauter Absagen und weiß manchmal gar nicht, was eigentlich dahintersteckt", so Dikme. Jährlich veröffentlicht Zara einen Report, der rassistische Vorfälle in Österreich dokumentiert. Insgesamt 1.950 waren es im Jahr 2019 – eine Zunahme im Vergleich zum Vorjahr. Drei von fünf Meldungen betrafen das Internet, seit Jahren steigt der dokumentierte Hass im Netz rasant. Die Dunkelziffer sei wesentlich höher, betont Dikme, so würden die meisten Fälle gar nicht erst gemeldet.

Ein besorgniserregendes Bild zeichnet auch die Studie "Being Black in the EU" der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, die 2018 veröffentlicht wurde. Fast jede dritte Person der 6.000 Befragten gab an, in den letzten fünf Jahren rassistische Belästigung erfahren zu haben. Besonders schlecht schneidet Österreich etwa beim Thema Racial Profiling ab. Zwei Drittel der Befragten berichteten davon, in den vergangenen fünf Jahren von der Polizei angehalten worden zu sein, 37 Prozent erlebten das als Racial Profiling. Das Black-Voices-Volksbegehren fordert daher eine unabhängige Kontroll- und Beschwerdestelle gegen polizeiliches Fehlverhalten, die außerhalb des Bundesministeriums für Inneres angesiedelt sein solle. Auch ein psychosozialer Dienst soll eingerichtet werden, an den Betroffene sich wenden können.

Feministisch antirassistisch

Auch wenn das Volksbegehren aus der Black-Lives-Matter-Bewegung entstanden ist, versteht es sich nicht ausschließlich als Initiative gegen Rassismus gegenüber Schwarzen. "Das Volksbegehren ist der Ort für alle Leute, denen immer gesagt wurde, hier gehörst du nicht her, und für alle, die gegen diese Ungerechtigkeiten ankämpfen wollen", sagt Sprecherin Noomi Anyanwu.

Dass das Black-Voices-Team überwiegend aus Frauen besteht, ist kein Zufall. Die Initiative soll insbesondere jungen Frauen of Color eine Stimme geben. Eine feministische Perspektive ist auch Sprecherin Asma Aiad ein wichtiges Anliegen. "Rassismus und Sexismus verschränken sich, muslimische Frauen bekommen zum Beispiel wegen eines Kleidungsstücks einen Job nicht oder werden gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch eingeladen", sagt die Künstlerin und Aktivistin im STANDARD-Gespräch. Dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, am Arbeitsmarkt diskriminiert werden, belegt unter anderem eine Studie der Universität Linz aus dem Jahr 2016. Die Forscherin verschickte dafür idente Lebensläufe, die abgebildete Bewerberin hieß fallweise Sandra Bauer oder Meryem Öztürk und trug im dritten Fall zusätzlich ein Kopftuch. Während Bauer in 18,8 Prozent der Fälle zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, erhielt Öztürk, die mit Kopftuch abgebildet war, nur in 4,2 Prozent der Fälle eine positive Antwort aus der Personalabteilung.

Geschichte schreiben

Asma Aiad, die sich auch in der Jugendarbeit engagiert, kämpft seit vielen Jahren gegen antimuslimischen Rassismus. Ihr Aktivismus sei "wie bei so vielen" aus der eigenen Betroffenheit erwachsen – aus Erfahrungen von Diskriminierung und Abwertung. "Gerade jetzt im Wien-Wahlkampf kann man als Muslimin nicht vor die Tür gehen, ohne sich auf Plakaten als Gefahr für Österreich dargestellt zu sehen", sagt Aiad. Obwohl das 2018 abgehaltene Frauenvolksbegehren 2.0 von der Regierung kaum Beachtung fand und somit auch seine Forderungen politisch nicht durchsetzen konnte, ist es für Aiad ein Erfolgsprojekt. "Es hat für ein neues Bewusstsein in der Bevölkerung gesorgt, und das hat auch die Politik sehr wohl wahrgenommen, auch wenn noch viel passieren muss. Auch wir schreiben gerade Geschichte." Wer gegen Rassismus und für Menschenrechte kämpft, schaffe letztendlich bessere Lebensbedingungen für alle, ist Aiad überzeugt.

Als Anti-Rassismus-Initiative unterstützt auch Zara das Volksbegehren. "Es ist enorm wichtig, dass es dieses Volksbegehren gibt. Nehmen wir es als Anlass, um über strukturellen Rassismus zu sprechen – wir dürfen ihn nicht länger totschweigen", sagt Dilber Dikme. (Brigitte Theißl, 27.9.2020)