Missliebige Wortmeldungen und Einträge kehren auch nach ihrer Löschung wieder: Facebook bleibt die Erregungsmaschine in den modernen Medien.

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Das Krebsübel der Bürokratie ist ebenso eines der Message-Control. In beiden Tätigkeitsfeldern soll der "gute" Zweck alle Mittel heiligen. Um zum Beispiel mit dem Problem viel zu vieler Gremien fertig zu werden, schafft die bürokratische Verwaltung ein neues Gremium, um dem Übelstand abzuhelfen. Die Wiener ÖVP hat soeben ein vergleichbares Husarenstück geliefert.

Mit der Löschung einer Antwort von Autor Robert Menasse auf ein Facebook-Posting Gernot Blümels, seines Zeichens Spitzenkandidat der ÖVP im Gemeinderatswahlkampf, scheint den Stadt-Türkisen die Kontrolle über Kritik im Netz entglitten. Der Entrüstungssturm ("Zensur!") nahm sofort Fahrt auf und an Stärke orkanartig zu. Unzählige User richteten Menasses Text vom vergangenen Mittwoch neuerlich an die empfangsunwilligen türkisen Adressaten.

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Menasses Eingriff in den Gemeinderatswahlkampf – der Wiener Autor und Prophet einer geeinten EU sitzt laut eigenem Bekunden an der Abfassung eines neuen Romans – entsprang einer Zorneswallung biblischen Ausmaßes. Blümels Video-Ankündigung, Wien "wieder nach vorne" bringen zu wollen, schien Menasse strikte aufklärungsbedürftig. Welche Himmelsrichtung Blümel denn bemühe, wenn er "vorne" meine? Ob er, Blümel, die Zeit "VOR dem roten Wien" anspreche, "als die Stadt einen antisemitischen Bürgermeister hatte, von dem Hitler lernte"?

Schwarzer Widerstand

Alles, "was Wien heute so lebenswert macht" und international allseits bewundert werde, hätte es weder unter den Christdemokraten noch unter der ÖVP gegeben: keine Fußgängerzonen, keine U-Bahn, keine Donauinsel, keine UNO-City und so weiter. Jede Innovation sei auf den geharnischten Widerstand der Stadt-Schwarzen gestoßen. Wo für Blümel offenbar "vorne" ist, dort sei nach seiner, Menasses, Erfahrung eher das Mittelalter beheimatet, jedenfalls kein "Platz für die Bedürfnisse der Zeitgenossen".

Mit einem Hinweis auf die vergessenen sechs Nullen des Finanzministers und der Empfehlung, besser "zu schweigen", schloss Menasse seine Philippika. Der unter dem Post des Blümel-Videos kein langes Leben beschieden war. Worauf nun viele andere User den Wortlaut neuerlich unter das Video setzten. Somit ist Menasses Kritik das alttestamentarische Schicksal eines Menetekels beschieden.

Von "unsichtbarer" User-Hand an die Facebook-Wand geschrieben, nötigt es den König Belšazar unserer Tage, Finanzminister Gernot Blümel, zu unausgesetzter Relektüre. Sein Wiener Wahl-Slogan wurde, in solcher Lesart, auf der Waage gewogen und von Menasse für zu leicht befunden. Auch unliebsame Manifestationen des Unwillens können nicht mehr ohne weiteres aus der betont flüchtigen Social-Media-Welt geschafft werden.

Blümel ließ gestern verlauten, auf Menasses eher unfreundliche Empfehlungen nicht eingehen zu wollen. Da war der Schaden ohnehin schon angerichtet. Die ÖVP-Message-Control erwies sich als Bumerang.

Vergleichsweise harmlos erscheinen heute Fotoretuschen, die den Bundeskanzler vor Jahren beim geselligen Treiben im Ländle zeigten (gemeinsam mit dem Vorarlberger Landeshauptmann): Ihm wurde ein neuer Hintergrund mit Fleckvieh verpasst. Eine genussvoll paffende Frau schien dem Kanzler als Bildkulisse eher nicht zuträglich. Die Vorspiegelung ungetrübter Harmonie stößt dann rasch an ihre Grenzen, wenn die Verlautbarungen potenzieller türkiser Sympathieträger ihrerseits den atembenehmenden Duft der Polemik verströmen.

Dem Zugriff entglitten

Wahlkämpfe, somit Zeiten "fokussierter Unintelligenz" (Michael Häupl), entgleiten dem Zugriff jeder auch noch so beherzten Message-Control. In deren Licht wird Politik zum Anhängsel jener Bürokratie, die sie mit ihren Direktiven anzuleiten vorgibt.

Nicht weniger als 59 Öffentlichkeitsmitarbeiter wollten politische Mitbewerber in Sebastian Kurz‘ Bundeskanzleramt heuer im April gezählt haben – säuberlich verteilt in allen Abteilungen. Die Undurchschaubarkeit, die man der Verwaltung nachsagt, wurde zur Ultima Ratio "moderner" türkiser Medienpolitik.

In der Soziologie heißt man die Vergröberung einer Spur, die man eigentlich löschen wollte, den "Streisand-Effekt". Sängerin Barbara Streisand hatte 2003 einen Fotografen auf viele Millionen US-Dollar Schadenersatz geklagt, weil dieser auf einem Foto voller Küstenerosionen zufällig auch ihr Haus abgebildet hatte. Prompt wurde das an sich unwichtige Bild lawinenartig im Netz verbreitet.

Die Neue Wiener ÖVP rang sich in der Causa zu folgender Stellungnahme durch: "Wir freuen uns über konstruktive und sachliche Beiträge und Kommentare auf unseren Seiten. Beleidigende, verleumderische, rassistische und extremistische Kommentare werden umgehend gelöscht." Und so weiter. Ob selbst Übelwollende Menasses Polemik als verleumderisch oder gar extremistisch aufzufassen imstande sind, scheint fraglich. Menasse ließ seinerseits ausrichten, seiner Auslassung nichts hinzufügen zu wollen. (Ronald Pohl, 25.9.2020)