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Wien – Niemandem soll während der Corona-Krise Strom, Gas oder Wärme abgedreht werden, auch nicht bei Zahlungsrückständen. Diese Vereinbarung mit der Energiewirtschaft präsentierte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) während des Lockdowns. Im April und Mai wurde auf rund 11.000 Abschaltungen verzichtet, dokumentierte die Regulierungsbehörde E-Control. Ende Juni lief der "Abschaltverzicht" aus, die Zahlungrückstände blieben den Betroffenen aber.

"Das verschiebt das Problem in den Herbst", sagt Sandra Matzinger von der Arbeiterkammer. 8.500 Stundungen wurden im April und Mai laut E-Control gewährt. Sollten sie im Herbst schlagend werden, könnte es vermehrt zu Abschaltungen kommen, so Matzinger. E-Control, Caritas und Rotes Kreuz bestätigen, dass sich die Anrufe wegen Zahlungsschwierigkeiten bereits häufen. Die steigende Arbeitslosigkeit verschärft das Problem. Um wirklich etwas gegen Energiearmut zu tun, brauche es eine langfristige Strategie, sagt Matzinger.

Es braucht eine Anlaufstelle

Manuela Reichert duscht seit drei Wochen kalt. Während des Lockdowns verlor sie ihre geringfügige Anstellung als Yoga-Lehrerin. Plötzlich hatte die 56-Jährige nur noch die 810 Euro vom AMS zur Verfügung. Erst geriet sie beim Stromanbieter in Rückstand, dann kam die Rechnung von den Wiener Netzen. Eine Ratenvereinbarung sollte helfen, doch im August flatterten zusätzlich eine Nachzahlung über 500 Euro und das Kündigungsschreiben vom Stromanbieter ins Haus. "Da habe ich einen Nervenzusammenbruch bekommen", sagt Reichert. Als wäre das noch nicht genug gewesen, ging schließlich auch noch die 30 Jahre alte Therme kaputt. Der Vermieter, ein "Pfennigfuchser", wie Reichert sagt, will nicht für die Reparatur aufkommen.

Hilfe fand sie schließlich bei der Ombudsstelle der Wien Energie. Dort arbeiten vier Sozialarbeiter, die sich um Lösungen bemühen. "Für 70 Prozent der Fälle finden wir die auch", sagt Leiterin Angela Vaverka. Gemeinsam mit der Caritas und der Spontanhilfe des Roten Kreuzes wurden Reicherts Schulden beglichen. Beim Streit um die Therme hilft die Mietervereinigung.

Doch nicht alle Energieversorger haben eine Anlaufstelle wie die Wien Energie, obwohl es das Energieeffizienzgesetz vorschreibt. Oft bleibt nur der Kundendienst. "Doch die sind mit solchen Problemlagen überfordert", sagt Imre Siska vom Roten Kreuz. Oft reiche schon eine Ratenvereinbarung, damit Betroffene aus einem finanziellen Engpass herauskommen. Der Kundendienst kann aber oft nicht auf individuelle Problemlagen eingehen. Betroffenen könne er nur raten, sich bei Problemen so rasch wie möglich Hilfe zu suchen, sagt Siska. Viele würden das nämlich erst tun, wenn der Hut brennt.

Zwei Jahre ohne Heizung und Warmwasser

"Du fühlst dich, als wärst du selbst schuld. Und dafür schämst du dich", sagt Frau B., die zwei Jahre ohne Heizung und Warmwasser gelebt hat. Auch bei ihr kam alles zusammen: eine Krebserkrankung, Jobverlust, eine saftige Nachzahlung, der Sozialhilfeantrag, dann noch eine Nachzahlung – und schließlich, im August 2018, war die Heizung aus.

"Ich habe das vor jedem geheim gehalten, weil es nicht in meine Welt passte", sagt Frau B. Zwei Jahre durfte niemand zu Besuch kommen, nicht einmal der erwachsene Sohn konnte bei der Mama übernachten. Das Wasser zum Duschen wurde am Herd aufgewärmt. "Da wird dir bewusst, was Armut heißt."

Nach über einem Jahr monatlicher Pfändungen empfahl das Inkassobüro Frau B., sich an die Ombudsstelle zu wenden. Und das brachte die Wende. Rotes Kreuz, Caritas und Rotarier übernahmen gemeinsam die Rückstände bei der Fernwärme, und mit dem Inkasso wurden Raten von 100 Euro vereinbart. Dann, an einem Montag vor knapp einem Monat, war die Heizung plötzlich wieder an. "Es ist einfach irre, der absolute Luxus. Du kannst warm duschen, sogar zweimal, wenn du willst."

100 Millionen Euro bis 2022 beschlossen

230.000 Österreicher gaben bei einer EU-Studie 2016 an, ihre Wohnung nicht anständig warm halten zu können. Die meisten davon haben ein niedriges Einkommen und gleichzeitig hohe Energiekosten, weil sie überproportional oft in Wohnungen leben, die nicht energieeffizient, zum Beispiel schlecht isoliert, sind.

Die Anbieter seien sich des Problems bewusst, heißt es von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der E-Wirtschaft. Man sei stets um flexiblen Lösungen bemüht, das zeige auch der freiwillige Abschaltverzicht, der gut funktioniert habe. Tatsächlich gab es beim Gas im Mai statt normalerweise rund 2.900 Abschaltungen (Mittelwert 2017-2019) dieses Jahr nur 60. Dass die Zahlen im Herbst unüblich hoch steigen, glaubt man nicht, da es nur wenige Anfragen nach Stundungen oder Ratenvereinbarungen gebe.

Um dauerhaft etwas an der Energiearmut zu ändern, brauche es aber vor allem Investitionen in Energieeffizienz, meint Sandra Matzinger. Die Arbeiterkammer schlägt einen Fonds vor, aus dem Haushalte mit niedrigen Einkommen dabei unterstützt werden, ihre Wohnungen zu isolieren oder Geräte auszutauschen. Ein ähnliches Modell setzt der Verbund bereits in Kooperation mit der Caritas um.

Und offenbar kommt die Idee auch bei der Regierung gut an. Wenn in diesem Jahr ein neues Energieeffizienzgesetz kommt, soll die Sparverpflichtung der Energieanbieter "um die Möglichkeit einer Ersatzzahlungsleistung in einen Fonds" ergänzt werden, heißt es im Regierungsprogramm. Diese Mittel sollen dann zur Finanzierung von Energieeffizienzmaßnahmen in Haushalten "mit besonderer Berücksichtigung sozialer Härtefälle" verwendet werden. Vergangene Woche beschloss der Nationalrat außerdem, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 50 Millionen Euro für Maßnahmen gegen Energiearmut aufzuwenden. (Johannes Pucher, 3.10.2020)