Warum macht es so glücklich, vierblättrigen Klee zu finden? Ist es wegen der Symbolik? Gar weil ein vierblättriges Kleeblatt die vier Evangelien repräsentiert? Haha, nein. Weil es Glück verheißt und man Rauchfangkehrern und -kehrerinnen nicht auf den Geist gehen soll? Schon eher.

Brauchen kann man es natürlich immer, das Glück, den Zufall. Aber das Glück, das ein Kleeblatt verspricht, ist von einer anderen Art: Man kann es nämlich selbst herbeiführen, bekommt es nicht von höherer Stelle (und an die müsste man ja überhaupt erst mal glauben) zugewiesen. Und man kann es – besonders wichtig, in der schlichten Metaphorik, zu der Glücksverheißungen unweigerlich verleiten – nicht kaufen (den vierblättrigen Klee im Topf zum Jahreswechsel jetzt einmal großzügig ignorierend). Also ist es auf seine Weise unbezahlbar.

KLEE SUCHEN, das ist fast ein wenig wie eine Zen-Übung, findet unsere Autorin – die demnach tiefenentspannt sein müsste.
Foto: Julia Pühringer

Einmal geschaut, Glück da

"Es ist ein Skandal, wie viele vierblättrige Kleeblätter du findest! Nie gelingt mir das! Du musst mir einen Kurs geben", sagte letztens eine Freundin vorwurfsvoll. Ich besuchte sie gerade bei schönstem Wetter an einem absurd idyllischen See im Salzkammergut. Wie sie wandert? Im Eiltempo. Mit dem Stock in der Hand, rasch einmal um den See, mit ihrer Körpergröße von über 180.

Foto: Julia Pühringer

Ganz ehrlich, so kann man keinen Klee finden. Denn die wichtigste Voraussetzung fürs Finden ist immer noch: suchen. Ein Auge für vierblättrigen Klee zu haben ist tatsächlich keine Sache höhere Fügung oder besonderer Talente, sondern schlicht eine Frage der Übung. Und des Tempos. Und weil der hübsche Klee nicht von selbst winkt und von unten ruft (und wenn, dann nur sehr leise), muss man tatsächlich lange und ausführlich vor sich ins sogenannte Narrenkastl starren.

Das ist eine der Nebenwirkungen dieses Hobbys: Nicht selten gehe ich mitspazierender Mitmenschen verlustig, weil ich mehr mäandere als wandere. Sehe die Gegend vor lauter Klee nicht. In der Stadt beäugen mich wildfremde Leute misstrauisch, wenn ich völlig hundelos neben für das menschliche Auge uninteressanten Grünflächen nachdenklich ins Grünzeug starre. Hat sie was verloren? Oder einen Schatz gefunden? Ist sie wirren Geistes? Stimmt vermutlich alles, auf eine Art.

Über den grünen Klee

Also auf in den Grundkurs. Den Anfang haben wir schon gemacht: Stufe eins, schau genau. Aber auf welche Sorte Klee von den zahllosen, die es gibt? Und ist "Schmetterlingsblütler" nicht ein schönes Wort? Wir widmen uns dem einfachsten und häufigsten Klee: dem Weißklee mit seinen weißen Blüten, das ist derjenige, vor dem man früher, lang vor dem Bienensterben, als Kind gewarnt wurde beim Barfuß-durch-die-Wiese-Laufen.

Jedes Blättchen hat eine zarte Zeichnung, wie mit weißem Stift liebevoll draufgestrichelt, auf dem leuchtenden Grün zwei helle Schwünge in Form eines Zwiebelturms. Richtiger Klee gefunden? Gut. Je mehr, desto besser stehen die Chancen. Angeblich hat jedes fünftausendste Kleeblatt mehr als drei Blättchen, aber mit der Genetik dahinter halten wir uns nicht auf, wir suchen schließlich das Glück.

Foto: Julia Pühringer

Jedes Fünftausendste? Das ist viel bei einem Gewächs, das auf jeder Verkehrsinsel und in jeder Wiese zu finden ist. Es sollte jedenfalls für alle reichen. Aber eins ist bei der Größenordnung auch klar: Mit Zählen kommen wir hier nicht weiter. Und wer will schon 4999 Klees anschauen? Im Detail? Und wer verspricht uns, dass es dann der 5000. ist?

Das Geheimnis liegt in der Kontur. Das wissen alle, die "den Blick haben", egal ob bei Schwammerln oder Walderdbeeren. Ist das ein Birkenblatt oder ein Eierschwammerl? Eine Walderdbeere oder ihre fade Verwandte, die Scheinerdbeere? Kennerinnen und Kenner sehen es auf einen Blick, am Wuchs und an der Örtlichkeit. "Lasse ich mein Auge auf den Konturen meines Zimmers ruhen, finde ich die entlegensten Gegenstände wieder, auch solche, die ich gesucht hatte", schreibt Friederike Mayröcker in ihrem jüngsten Buch da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete (Suhrkamp, 2020, es ist ein Traum).

Unbändige Freude

Wir suchen also nicht den Gegenstand, sondern seine Form. Versenken Sie den Blick, bis Sie keine einzelnen Blätter mehr wahrnehmen, sondern nur mehr die Ausnahme, nicht das Muster, sondern die Unregelmäßigkeit darin. Vier statt drei. Wo einer ist, sind oft mehrere. Kann man also das Glück erzwingen? Ein bisschen. Mit Ausdauer. Und je mehr man findet, desto mehr findet man, so blöd das klingt. Inzwischen sehe ich vierblättrigen Klee sogar im Vorbeiradeln (beinah vom Rad stolpern wegen Kleeticks ist wohl noch so eine Nebenerscheinung). Und tatsächlich: Mehr ist es nicht. Probieren Sie es aus. Warum ich so dran hänge? Wegen dieses kurzen Moments unbändiger Freude und, ja, tatsächlich, so etwas wie Stolz, wenn man das vierblättrige Kleeblatt gefunden hat, zuerst nur im Augenwinkel zu erkennen vermeint, und es dann ist es tatsächlich eines. Wenn man es am Stiel unten auszupft und in der Hand hält und sich für diesen einen kurzen Moment über nichts sonst Gedanken macht, außer übers Glück im Glück.

Denn ihre Sammlung an vierblättrigen Kleeblättern überschreitet die 100.
Foto: Julia Pühringer

Was passiert mit dem Klee? Er landet auf den hinteren Seiten von Büchern, die ich gerade lese, wo er mir – oft genau dann, wenn es am spannendsten ist – getrocknet dunkelgrün entgegenfällt. Gelegentlich wird er verschenkt. Manchmal, wenn es ein besonders schönes Exemplar ist, landet er in einem Glas mit Wasser, wo er abends treulich seine Blätter zusammenlegt, wie um schlafen zu gehen. Doch niemals ist er schöner als im Moment des Findens. Das kurze Herzklopfen vor Aufregung.

Vier gewinnt

Und weil wie anfangs angedeutet eine Anleitung zum Klee finden nicht ohne schiefe Metaphorik übers Leben an sich vollständig sein kann: Herumstehen und konzentriert schauen ist wie eine Zen-Übung. Ich kann mit Meditation nichts anfangen, aber vielleicht ist die Kleeblattsuche tatsächlich eine. "Prokrastinieren" haben wir viel zu oft gesagt zu Zeiten des Leerlaufs, dabei sind sie unabdingbar fürs klare Denken.

Klee suchen schärft den Blick, erfordert ein leeres Gehirn in lauten, chaotischen Zeiten, man stiehlt sich höchst eigennützig ein paar Minuten auch in größter Eile, einen Moment hochkonzentrierter Stille und Freude. Und mit Glück, da ist es schon wieder, wird er vierblättrig. (Julia Pühringer, 26.9.2020)