Ekaterina Degot eröffnete den dritten von ihr gestalteten Steirischen Herbst.

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Der deutsche Nachkriegsschlager hat 1971 eine beinahe revolutionäre Hymne auf den Markt gezaubert: das Ohrenschmalz Schön ist es auf der Welt zu sein, kredenzt von Roy Black mit Anita Hegerland, das ab und zu neu entdeckt wird. Zuletzt von dem slowenischen Regisseur Janez Janša (56), der ursprünglich Emil Hrvatin hieß, sich 2007 aber auf den Namen des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten seines Heimatlandes umtaufen ließ. Nicht aus Begeisterung, sondern aus Protest. Und nicht allein, sondern im Team mit zwei weiteren Namenswechslern.

Die drei neuen Janšas lieferten einen Beweis dafür, wie wirkungslos aktivistische Kunst sein kann: Der Politiker wurde vergangenen März zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt. Aber man darf einfach keine Angst vorm Scheitern haben. Das ist ein inhaltlicher Bauteil der Hörspielperformance Das Finale von Janša (vm. Hrvatin), mit der Ekaterina Degot den dritten von ihr gestalteten Steirischen Herbst eröffnete.

Intendantin als Performerin

Steirischer Herbst? Falsch. Wahrheitsgemäß muss es diesmal "Paranoia TV" heißen. Denn nach der pandemiebedingten Absage des ursprünglichen Festivals hat Degot beschlossen, das Ruder nicht wie etliche andere loszulassen, sondern es herumzureißen und ihr Festival in ein "Medienkonglomerat" zu verwandeln. Das ist riskant, aber auch die resche Moskauer Intendantin fürchtet das Scheitern nicht – im Gegenteil. Zum Einstand ihres medialen Experiments versuchte sie sogar, ihr Talent als Performerin zu beweisen.

In der bildenden Kunst sind bekanntlich jene, die etwas zu kuratieren haben, an den Kosmos des Denkens angeschlossen, durchdrungen von intimen Kenntnissen der Politikwissenschaften und außerdem theoriegebeizt bis in die Knochen, mögen diese nun linguistische Konstrukte oder biologische Körperteile sein. Da macht Ekaterina Degot keine Ausnahme. Für die breite Allgemeinheit am Donnerstag hatte sie eine Eröffnungsansprache aufgenommen, die im Netz und auf rund hundert Bildschirmen im Stadtgebiet gesendet wurde. Doch es gab auch eine zweite Rede.

Hoch vom Balkon des Orpheums auf die locker versammelte Grazer plus auswärtige Kulturelite herabpredigend – und so an die Kanzelreden des zeitweiligen Wahl-Grazers Abraham a Sancta Clara erinnernd –, las sie derselben, wohl auch sich selbst, die Leviten. Zu Recht natürlich. Etwas eigenwillig schien nur die Begeisterung der Medienexpertin Degot über ihre doppelte – reale und digitale – Präsenz. Sicher, der entsprechende Diskurs ist erst dreißig Jahre alt, aber heute in den Social Media immerhin täglich präsent.

Corona, Lockdown-Porno, Taxihörspiel

Bis zum 18. Oktober gibt es reichlich Programm beim steirischen Paranoia-Fernsehen für kunstfreundliche Erwachsene und alle, die das noch werden wollen. Es zahlt sich aus, dieses Kunst-Patschenkino auszuprobieren oder auch einmal bei der TV-Zentrale im früheren Humanic, Herrengasse 26, vorbeizuschauen. Dort zeigt ein rührender Sigmund-Freud-Avatar, wie eine künstliche Intelligenz nicht funktioniert und wie ein exemplarisch schlechtes Mediendesign aussieht.

Ebenfalls in der Zentrale zu sehen ist die Installation Cuddle Porn ("Kuschelporno") von Igor Samolet über die Moskauer Lockdown-Zeit. Paranoiagerecht steht also das Corona-Thema im Vordergrund. Auf dem Burgring befinden sich zwei Straßenlaternen, die wie im Dialog miteinander über tausend Namen von fiktiven Orten aus der Weltliteratur aufsagen und dabei blinken. So unterwandert der Künstler Vadim Fishkin die leidigen Reisebeschränkungen.

Dazu passend wurde das Publikum für Janez Janšas Hörspiel in rund hundert Grazer Taxis gesetzt und durch die Gegend gefahren. Man konnte einer fiktiven Fußballübertragung lauschen: Schweden gegen Deutschland. Beide Teams schießen je zwei Eigentore, und am Ende sangen Roy und Anita: "Das Schönste im Leben ist die Freiheit / Denn dann sagen wir hurra." (Helmut Ploebst, 26.9.2020)