"Ich würde vehement gegen großflächige Schulschließungen ankämpfen", sagt Bildungsminister Faßmann.

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Lernen mit Sicherheitsabstand: Nicht nur für Schüler sind Schulampel, Gurgeltests und Distanzregeln herausfordernd.

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Zu spät, zu chaotisch, zu widersprüchlich: Bildungsminister Heinz Faßmann musste sich in den vergangenen Tagen viel Kritik von Eltern, Schulleitern und Lehrern zu den Corona-Maßnahmen für den Schulbereich anhören. Faßmann sieht im Interview keine Versäumnisse seines Ministeriums – jedoch Verbesserungsbedarf in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Von Lehrern und Schulleitern wünscht er sich, dass sie ihre Verantwortung selbstständiger wahrnehmen.

STANDARD: Seit Mittwoch tingeln in Wien Gurgeltest-Teams durch die Schulen. Wie sind die ersten Reaktionen?

Faßmann: Ich verspüre eine Erleichterung an den Schulen, weil sich nun eine Institution darum kümmert, dass es schnelle Klarheit bei Verdachtsfällen gibt. Der Weg über die Hotline 1450 hat in den letzten Wochen zu viel Frustration geführt, und weil es dort so lange gedauert hat, kam es an den Schulen manchmal zu überschießenden Maßnahmen. Da wurden etwa ganze Klassen nach dem Prinzip "Sicherheit zuerst" nach Hause geschickt. Mit den Gurgeltests soll das nicht mehr passieren.

STANDARD: Sie haben das Gurgelprogramm gemeinsam mit dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker vorangetrieben. War das Ihre Idee oder seine?

Faßmann: In meinem Ministerium haben wir schon länger gesagt, dass die Überlagerung von Infektionen im Herbst ein Problem wird und die Eltern nicht alleingelassen werden dürfen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es schon seit Schulbeginn die Gurgeltests überall gegeben. Aber ich kann mich auch nicht in gesundheitsrechtliche Kompetenzen einmischen. Peter Hacker war dann der Erste, der anrief und sagte: Wir machen das. Mittlerweile haben sich auch die Landesräte aus der Steiermark und Tirol gemeldet.

STANDARD: Beim Gurgeltest, aber auch generell hat man den Eindruck, dass die Umsetzung von Corona-Maßnahmen an den Schulen sehr lange dauert. Warum?

Faßmann: Ich stimme zu, dass das alles sehr bürokratisch abläuft. Ich würde mir auch wünschen, dass Innovationen und neue Forschungsergebnisse schneller in die politischen Maßnahmen einfließen. Selbst beim Gurgeln wurde lange diskutiert, ob der Kochsalzgehalt der Lösung nicht womöglich zu hoch ist. Andererseits sehe ich natürlich, dass gerade der Gesundheitsbereich besonders sensibel ist.

STANDARD: Sie haben im Sommer immer gesagt, die Schulen sollten im Normalbetrieb starten. Haben Sie die Schulen auf einen Anstieg der Infektionszahlen zu wenig vorbereitet?

Faßmann: Diesen Vorwurf würde ich bestreiten. Wir haben seit dem Beginn der Sommerferien das Wintersemester geplant, weil wir wussten, wie schwierig diese Zeit wird. Auch für mich gab es keinen Sommerurlaub. Zum Beispiel habe ich eine Verlängerung des Schulstornofonds bis Ende des Winters herausverhandelt. Das Bildungssystem insgesamt ist allerdings ein riesiger Tanker, bei dem man die Pinne nicht so leicht umlegen kann wie bei einer kleinen Jolle.

STANDARD: Von Schulleitern hört man Kritik, dass sie sich im Stich gelassen fühlen.

Faßmann: Sich im Stich gelassen zu fühlen bedeutet oft, dass man alles genau vorgegeben haben will.

STANDARD: Sie wünschen sich von Direktoren mehr Mut zu Entscheidungen vor Ort?

Faßmann: Ja, es braucht schlichtweg einen Spielraum für den Einzelfall, man kann nicht alles vom Minoritenplatz aus regeln.

STANDARD: Warum hat man nicht schon im Vorhinein leerstehende Räume für Schulen angemietet oder Studenten zum Einspringen für infizierte Lehrer rekrutiert?

Faßmann: Das Anmieten von Flächen ist immer die Aufgabe des Schulerhalters, bei Pflichtschulen sind das die Gemeinden. Viele Bürgermeister nutzen ihre Reserveflächen ja auch. Und wir haben durchaus ein Reservepersonal von Lehramtsstudierenden, die in Phasen hohen Bedarfs eingesetzt werden können.

STANDARD: Die Wiener Bildungsdirektion hat kürzlich in einem Schreiben angeregt, dass Lehrer trotz Quarantäne freiwillig an ihren Arbeitsplatz in die Schule gehen können. Was halten Sie davon?

Faßmann: Dieses Schreiben war sicherlich unglücklich in der Art, wie es herausgegeben wurde. Der Hintergedanke, dass sich Schlüsselarbeitskräfte aus der Quarantäne "heraustesten" können, ist nicht prinzipiell abwegig, aber es ist jedenfalls keine allgemeine Empfehlung und hat leider zu Verwirrung geführt.

STANDARD: Sprechen wir über die Corona-Ampel: In einigen Regionen Österreichs steht sie schon auf Orange, trotzdem haben Sie gesagt, dass die Ampel für Schulen auf Gelb steht. Was muss passieren, damit diese Schulampel auch auf Orange schaltet?

Faßmann: Zunächst einmal gibt es nur eine Ampel und keine eigene Schulampel.

STANDARD: Na ja, schon ...

Faßmann: Was ich sagen will: Ich habe ja nicht aus freien Stücken heraus gesagt, die Schulen sind gelb. Sondern die Corona-Kommission hat für Bildungseinrichtungen keine verschärften Maßnahmen empfohlen, und ich bin diesem Rat der Experten gefolgt. Wenn die Kommission zu dem Ergebnis käme, dass sich das Infektionsgeschehen an den Schulen verschlimmert hat und schärfere Maßnahmen nötig sind, dann werde ich auch diese Empfehlung übernehmen und die Farbe ändern.

STANDARD: Beim Lockdown im Frühling wurden die Kinder gleich als Erstes nach Hause geschickt. Jetzt gilt als Devise, die Schulen möglichst offen zu halten. Wie beurteilen Sie diesen Wandel – auch in der Regierung?

Faßmann: Ich bin stolz, dass es meinem Ministerium hier gelungen ist, zu einem politischen Meinungsumschwung beizutragen. Auch viele Eltern und Lehrervertreter waren vor ein paar Monaten noch der Auffassung, man solle vor den Sommerferien besser gar nicht mehr öffnen. Mittlerweile bekennen sich alle zur Schule als einem sozialen System, das man nicht so einfach abdrehen kann. Ich bin froh, hier standhaft geblieben zu sein.

STANDARD: Schließen Sie aus, dass es wieder zu großflächigen Schulschließungen kommt?

Faßmann: Garantien fallen in einer Pandemie schwer. Aber ich würde vehement dagegen ankämpfen, selbst wenn es nicht direkt in meine Kompetenz fällt.

STANDARD: Anfang Oktober beginnen auch die Unis wieder. Gerade in der Altersgruppe der Studierenden gibt es momentan allerdings besonders viele Infizierte. Sollte man deshalb mit möglichst wenig Präsenzlehre anfangen?

Faßmann: Ja, tatsächlich ist diese Altersgruppe stark betroffen, und es ist Vorsicht geboten. Daher ist etwa mit den Unis vereinbart, dass die Lesesäle geschlossen bleiben, wenn die Infektionszahlen steigen. Zudem wird bei Höhersemestrigen der Fokus auf Distance-Learning liegen. Studienanfänger müssen allerdings schon die Möglichkeit bekommen, ihre Universität aus nächster Nähe kennenzulernen, wobei auch hier die Hörsäle höchstens zur Hälfte ihrer Sitzplätze ausgelastet sein sollen. Bei künstlerischen und naturwissenschaftlichen Übungen ist körperliche Anwesenheit ebenso sinnvoll und vorgesehen.

STANDARD: Zum Schluss: Was war bisher Ihre wichtigste Erkenntnis im Zuge der Krise? Was sollte man am System ändern?

Faßmann: Im Großen und Ganzen hat es bisher gut funktioniert, auch wenn wir keinen Masterplan in der Schublade hatten. Aber das Zusammenspiel von Schulbehörden und Gesundheitsbehörden ist sicherlich verbesserungswürdig. Die je nach Bezirk unterschiedlichen Vorgaben der Gesundheitsbehörden beim Umgang mit Kontaktpersonen tragen nicht unbedingt zum Verständnis der Bevölkerung bei. (Theo Anders, Petra Stuiber, 25.9.2020)