Grrrrr...oßartig!

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die "Eingreiftruppe" trifft sich im 120er, erklärt der Generalsekretär und weist die Richtung zu einem der Prunkräume im Bildungsministerium am Wiener Minoritenplatz. Zeitig in der Früh, es ist erst 7.30 Uhr, versammeln sich hier etwa 25 Frauen und Männer zur Lagebesprechung – na gut, nicht ganz: zur Einschulung für das, was an diesem Vormittag ihre Hauptbeschäftigung sein wird: gurgeln. Genauer gesagt sollen sie Kindern und Jugendlichen sowie deren Lehrkräften beim Gurgeln assistieren, ihre Proben dokumentieren – und schlussendlich alles rundherum wieder desinfizieren.

Auch Mut-Zusprechen ist Teil des Jobs. Im Pausenhof des ersten Einsatzortes versucht Alexandra Schmidt-Trost den zum "Gurgeltest" angestellten Volksschulkindern die Aufregung zu nehmen: "Egal, was du machst, es ist alles richtig. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, machen wir es einfach noch einmal", sagt die erfahrene Kinderärztin. Und tatsächlich: "Super", "Bravo", "Perfekt" – das Einsatzteam, bestehend aus Medizinerin Schmid-Trost, Studentin Marlene Schmidt (nicht verwandt), Student Julius Mayrgündter und Fahrer Hansi Falther, ist begeistert von der allerersten Testperson. Das kleine Mädchen besucht die erste Klasse, die Mama ist ihr schnell zum Händchenhalten zur Seite gesprungen. "Kann ich da noch spielen?", fragt die Tochter, als sie fertig ist, und zeigt auf die gelbe Rutsche auf dem Schulgrund. Leider nein, jetzt ist Quarantäne angesagt – zehn Tage, egal ob das Ergebnis positiv oder negativ ist.

Grrrrrr...oßartig

Um 8.14 Uhr hat das Einsatztelefon, einer von vier Apparaten auf dem Schreibtisch von Magdalena Tanzler, im Bildungsministerium an diesem Donnerstag zum Besuch an der Wiener Volksschule geläutet. Um 8.28 Uhr sitzt das Viererteam in einem der blankgeputzten Dienst-Audis des Ministeriums, etwa eine Viertelstunde später ist man vor Ort. Schutzausrüstung überziehen, Eprouvetten, Probebehälter und Stoppuhr bereitstellen, der Laptop wartet auf Datenfutter. Die Direktorin ist froh, dass alles so schnell gegangen ist: "Das hat so gutgetan", sagt sie sichtlich erleichtert. Damit nicht wieder 100 Elternanfragen auf den Einsatz folgen, will sie für diesen Artikel trotzdem lieber anonym bleiben. Ausgelöst hat den Einsatz der Gurgeltester hier der positive Covid-19-Befund eines Kindes, dessen Eltern ebenfalls mit dem Coronavirus infiziert sind. Ein weiteres Kind aus derselben Klasse ist mit Halsweh und Fieber erst gar nicht in die Schule gekommen.

"Grrrrrr", "grrrrr". Jetzt ist Jakob dran. Er gurgelt wild drauf los. Am Ende bleibt trotzdem etwas zu wenig "Gurgelat" übrig – so wird das, was dann nach einer Minute Rachengymnastik im durchsichtigen Plastikbehälter landet, nämlich genannt. Macht nichts, Frau Doktor Schmidt-Trost hängt einfach noch eine Gurgelrunde mit der Zucker-Salz-Lösung dran. Wie das genau funktioniert? Was den "Gurgeltest" von anderen Corona-Tests unterscheidet, ist vor allem die unkomplizierte Art und Weise, wie man dabei zu Probematerial kommt – nämlich, genau, via Gurgeln. Wer das noch nie gemacht hat, oder wen es bereits beim bloßen Gedanken daran reckt – das Ganze dauert nur eine Minute, es darf zwischendurch pausiert und Luft geschnappt werden. Die Volksschulkinder haben das an diesem Vormittag allesamt problemlos hinbekommen. Der eigentliche Test bleibt, wie beim Abstrich auch, ein PCR-Test.

Wenn bei Frau Tanzler im Bildungsressort das Einsatztelefon läutet, ist am anderen Ende die zuständige Magistratsabteilung der Stadt Wien. Die Informationskette hat sich auch mit den mobilen Testteams nicht geändert: Die Schulleitung informiert die Gesundheitsbehörde, die Gesundheitsbehörde alarmiert das Ministerium. Weil die Leitungen in letzter Zeit oft überlastet waren, wird auch über E-Mail kommuniziert. Der Kreis schließt sich mit einem Gespräch zwischen Ministerium und Schule. Ruhe vermitteln ist jetzt angesagt – und konkrete Anweisungen geben, bevor sich das Testteam auf den Weg macht. Dass die Schülerinnen und Schüler ab jetzt nichts mehr essen sollen, ist ein so ein Hinweis. Dass die Excellisten mit den Daten aller Testpersonen vorbereitet werden, dass ein passender Ort mit Tischen vorbereitet wird (vorzugsweise draußen), dass die Einverständniserklärungen aller Eltern zur Hand sind.

"Wer ist der Nächste?", fragt Hansi Falther kurz darauf im schattigen Schulhof. Seit 27 Jahren schon chauffiert er diverse Sektionschefs durch die Gegend, da ist die neue Aufgabe als Teilzeitsprechstundenhilfe eine nette Abwechslung. Nebenbei hilft der Fahrer beim Schleppen aller Materialien, er baut die eigens mitgebrachte Mülltonne auf und ab, führt die Kassette mit den gesammelten Proben ins Vienna Biocenter – die rosa geblümten Kühltaschen hat das Ministerium dafür eigens angeschafft –, wo sie anschließend ausgewertet werden.

Alles, was vor elf Uhr vormittags im Labor im dritten Bezirk eintrifft, wird noch am selben Tag befundet. Alles danach wird den Schülerinnen und Schülern am Tag danach übermittelt. Außer es ist Wochenende; da stehen die Labore der Med-Uni Wien vor demselben Problem wie die Mehrzahl der privaten Konkurrenz: Sonntag ist Ruhetag, da passiert genau gar nichts mit den Proben. Wer Freitagnachmittag Symptome zeigt, für den gibt es erst am Montag oder Dienstag ein Ergebnis. Sollte es positiv ausfallen, liegt es an der Gesundheitsbehörde, die Betroffenen zu informieren. Bei falschem Alarm ist es die Schulleitung, die den Familien Entwarnung gibt.

Marlene Schmidt ist nach 15 Drittklässlern schon routiniert wie eine Supermarktkassierin. "Biep" – den Scanner für die Zuordnung der Proberöhrchen in der Hand, die dazugehörigen Datenblätter eingeklemmt unter dem Computer. Die junge Frau verliert auch nicht den Überblick, wenn es bei all dem Andrang ein wenig stressig wird. Über die ÖH hat sie gehört, dass man mit Gurgeltests das studentische Budget aufbessern kann – "und es hat mich interessiert". Kollege Julian Mayrgündter, er ist an diesem Vormittag zuständig für das Umfüllen der Gurgelate in die Teströhrchen, hat es hinter seiner Schutzbrille etwas ruhiger. Wenige Handgriffe reichen, um alles sauber abzuwickeln, dazwischen liegen zusätzlich zu den 60 Sekunden, die das Prozedere selbst benötigt, auch immer einige Minuten, bis alles bereitsteht für die nächste Testperson.

Auf zum Distance-Learning

Nachdem alle Kinder brav gegurgelt haben, kommen die beiden Klassenlehrerinnen und die Religionslehrerin dran. "Fürs Lehrpersonal gibt’s keinen Gurgeltest", motiviert Fahrer Falther und scherzt: "Bei Ihnen müssen wir’s mit dem Staberl machen!" Stimmt natürlich nicht. Alle drei Pädagoginnen dürfen ob der Salzlösung das Gesicht verziehen, alle müssen als K1-Personen, also Kontaktpersonen erster Rangordnung, für zehn Tage in Quarantäne – unabhängig von ihrem Testergebnis. Für die Klasse bedeutet das ab jetzt Distance-Learning. Die Direktorin nimmt es trotzdem halbwegs gelassen: "Jetzt geht das noch mit Umschichten. Aber wenn das jetzt ein zweites oder drittes Mal vorkommt, dann wird das zum Problem", sagt sie.

Um 10.41 Uhr ist die erste Tour absolviert. Das Einsatzteam stärkt sich bei Kaffee und Zimtschnecken im 120er des Ministeriums. Zumindest kurz. Denn schon bald öffnet sich die große Flügeltür des Saals und Frau Tanzler aus der Zentrale verkündet: "Wir hätten da wieder einen Einsatz."

Diesmal ist ein Lehrer an einer HTL erkrankt. Drei Klassen und der gesamte Lehrkörper wollen getestet werden. (Karin Riss, 26.9.2020)