Geht es um Corona, geht Strache den Mittelweg. Mit einem "Corona zum Gruß" wehrt er Handschläge ab, Anhängern reicht er die Faust zum Fistbump, wenn's offiziell sein soll, kommt der Ellbogen.

Foto: Robert Newald

Wochenlang haben STANDARD-Reporter die Wahlkämpfer beobachtet und Bemerkenswertes aufgeschrieben. Lesen Sie hier unsere Langzeit-Beobachtungen der Kandidaten vor der Wien-Wahl am 11. Oktober.

Es sieht fast so aus, als würde Heinz-Christian Strache tanzen, wenn er auf der Bühne steht. Dann reißt er die Hände in die Höhe, dreht seinen Oberkörper hin und her. Da ist Strache in seinem Element, da schreit er, um dann wieder zu flüstern, und da spielt er mit der Geschwindigkeit: erst schnell, im Stakkato, dann mit Pausen, so lang, dass sie fast unangenehm sind. Das hat er gelernt. Fünfzehn Jahre lang, wie er nicht müde wird zu betonen. Und doch ist sein Wahlkampf heuer ein anderer als die vielen, die er schon geschlagen hat. Klar, da gibt es dieses Virus. Aber auch seine Rolle ist heute anders, die seiner Gegner ebenso.

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Das beginnt schon bei der Abgrenzung von der FPÖ, seiner Heimatpartei. Die ist unmöglich, die Inhalte sind identisch. Darum gehen die beiden sich aus dem Weg. Bisher gab es nur eine TV-Elefantenrunde, in der die Spitzenkandidaten aufeinandertrafen. Strache war da irgendwie außen vor. Ganz am Rand stand er, manchmal hob er die Hand, als wolle er etwas sagen, sagte dann aber doch nichts. Wozu auch, ÖVP und FPÖ hatten längst seine Themen okkupiert.

Wenn Strache auf der Bühne steht, dann tanzt er fast. Dann wippt sein Körper, seine Füße sind nie still.
Foto: Robert Newald

Nur am Beginn gelang ihm ein Manöver: Als der Moderator in der Eingangsrunde auf den blauen Nepp vergaß, bat Strache, seinen Kontrahenten doch auch zu Wort kommen zu lassen. Das saß. Aber die großen Hiebe blieben aus. Zu viel haben die beiden gegeneinander in der Hand, um mit Dreck zu werfen, sagen Politbeobachter.

Doch dahinter steckt mehr. Zumindest der Wiener FPÖ hat Strache innerlich noch nicht den Rücken gekehrt. Fragt man ihn, während er im Klubhaus des Teams HC Strache sitzt – ein Bild aus FPÖ-Zeiten an der Wand, das FPÖ-Büro nur fünf Stockwerke über ihm –, danach, ob eine Fusion realistisch ist, spricht er vom Verzeihen und Versöhnen und davon, dass viele in der Wiener FPÖ sich ihn als Chef wünschen würden. Er würde ihnen den Wunsch nur zu gern erfüllen, bekommt man den Eindruck.

Strache stellt seine Bürgerbewegung als multikulturelle, bunte Truppe dar.
Foto: Robert Newald

Von Beisl zu Beisl

Straches Wahlkampf ist wenig glamourös. Er geht zum Heurigen im Zwölften, ins Café im 14., zum Kirtag in Jedlersdorf und ins Wirtshaus im 23. Man holt mit wenig Geld dort Stimmen, wo sie zu holen sind. Die Partei flyert am Floridsdorfer Bahnhof, rattert von Gemeindebau zu Gemeindebau und bespielt Social-Media-Kanäle mit Videos von Reden und Fotos. Auf Bildern wird Strache betont lässig, hemdsärmelig und mit geschultertem Sakko dargestellt.

Seit die FPÖ Strache seinen Facebook-Account weggenommen hat, ist er auch auf Twitter, knapp 7000 Follower hat er dort. Sein ehemaliger Facebook-Auftritt hatte 786.000 Fans, der aktuelle 17.000.

Eine Großveranstaltung, die das fulminante Finale der Comebacktour hätte sein sollen, sagte die Partei kurzfristig ab – aus Corona-Gründen. Strache tauchte trotzdem dort auf und hielt eine Rede. Spontan, hieß es, nachdem man gehört hatte, wie viele Anhänger sich dort trotz Absage versammelt hätten. Wer Strache eine Weile im Wahlkampf begleitet, weiß, dass nichts in Straches Terminkalender spontan ist.

Viktor Erdest ist HC-Kandidat im Sechsten und bei der Burschenschaft Olympia.
Foto: Robert Newald

Auch nicht in seinen Reden. Das zeigt exemplarisch ein Blick ins Gasthaus Koci in Liesing, wo er diese Woche auftrat.

An die 100 Leute sitzen in dem niedrigen Raum, das Licht ist dumper, es riecht nach Zwiebeln. Fast zwei Stunden haben sie auf ihren H.-C. gewartet, als er kommt, legt er los, wie er immer loslegt: ernste Miene, Coronavirus. Wenn Strache spricht, dann steht er nie still. Dann wippt er hin und her, macht kleine Schritte vor und zurück, hebt das Bein ein wenig an, lehnt seinen Körper zurück. "Das ist unverantwortlich", sagt er über die Politik der Regierung und pickt zu jedem einzelnen Wort mit dem Kopf.

Geht es um die Coronavirus-Krise, schlägt Strache einen bemerkenswerten Mittelweg ein. Klar, die Fotos in enger Umarmung gibt es, klar, das Livemusik-Duo motiviert zum Schunkeln. Aber trifft man Strache, dann federt er Händeschütteln mit dem halbpatscherten Sager "Corona zum Gruß" ab, Anhängern reicht er seine Faust zum Fistbump – bei kleineren Veranstaltungen jedem Gast einzeln –, wenn es offizieller sein soll, reicht er den Ellbogen.

Dennoch wettert er gegen den Corona-Wahnsinn und zitiert Ärzte, deren Namen er nicht nennen will, deren Zahlen aber zeigen sollen, dass vom Virus kaum Gefahr ausgeht. Seine zwei Angestellten, er hat ein PR- und Consulting-Unternehmen mit Sitz in Weidling, habe er während der Pandemie in Kurzarbeit geschickt, sagt Strache zum STANDARD. Die Zahlungsfähigkeit mancher Kunden habe aufgrund des Corona-Lockdowns nachgelassen, das Geschäft sei ins Stocken geraten.

Nach seiner Rede setzt sich Strache zu den Gästen im Café Häferl.
Foto: Robert Newald

Smalltalk kann er

Wenn Strache vor Publikum spricht, vor allem, wenn er ernst ist, dann sieht man fast nur seinen Unterkiefer, die oberen Schneidezähne lugen nur ein wenig unter den schmalen Lippen hervor. Pausen macht er gezielt. Er schimpft, dann ist er plötzlich still, presst die Lippen aufeinander und blickt starr geradeaus. Hat das Publikum den Ernst der Lage verstanden, richtet er seine Brille und poltert weiter.

Es dauert nicht lang, und er ist beim Ibiza-Video. Frontal in die Konfrontation, scheint da seine Devise – es ist kein Zufall, dass er just zum Jubiläum der Videoveröffentlichung endgültig auf die politische Bühne zurückkehrte. Das Wording ist heute noch dasselbe wie vor 16 Monaten, bei seinem Rücktritt. Von "kriminellen Netzwerken" redet er dann, von einem "Anschlag" auf ihn und natürlich davon, dass all das auf einem rein privaten Treffen vorgefallen sei.

Und es funktioniert: Seine Rehabilitierung ist in vollem Gange. Er wird zu TV-Duellen eingeladen, gibt eine Pressekonferenz nach der anderen, schenkt für die Kronen Zeitung einen Tag im Wirtshaus aus. Dafür, dass er einst sagte, "Journalisten sind die größten Huren auf dem Planeten", und die Krone verkaufen wollte, ist er erstaunlich gut mit ihr. Generell: In Gesprächen mit Journalistinnen und Journalisten gibt er sich entspannt, Smalltalk kann er, zitierfähig sprechen sowieso. Er ist eine dankbare Figur in der Wiener Politlandschaft, immer für einen Aufreger gut und damit für die entsprechenden Klicks.

Wo Strache ist, da sind Kameras.
Foto: Robert Newald

Strache sieht sich durch jeden Fetzen des Ibiza-Videos, der an die Öffentlichkeit kommt, bestätigt. 120-mal habe er gesagt, dass mit ihm nichts Illegales laufen würde, sagt er, wann immer er danach gefragt wird. Irgendwann im Laufe der letzten Monate begann man beinahe, ihm das zu glauben. Und vergaß dabei den Kern der Sache: Strache war nicht nur offen für die, sondern sogar begeistert von der Möglichkeit, verdeckte Spenden am Rechnungshof vorbeizuschleusen. Er wollte ein Mediensystem nach Vorbild Viktor Orbáns aufbauen. Daher verhandelte er mehrere Stunden darüber, wie eine angebliche Russin eine angebliche Viertelmilliarde Euro so in Österreich anlegen könnte, dass die FPÖ davon profitiert.

Bunte Bürgerbewegung

Zurück ins Gasthaus, wo hinter ihm das Licht von Grün auf Pink und wieder zurück wechselt und ihm eine ungesunde Farbe gibt. Straches Reden leben von der Wiederholung und von Stehsätzen, die sich in Gehirne einbrennen. Wenn er sagt "meine Freunde", dann klingelt es im Ohr, weil man diese Art, das Wort "Freunde" auszusprechen einfach kennt. Wenn er über Ibiza spricht, dann weiß man, dass er "Ibisa" sagen wird, und wenn er über Corona spricht, dann ist garantiert von der "Ausfallshaftung nach dem Epidemiegesetz aus 1950" die Rede – ein Wortmonster, das Strache herunterrattert, schneller als seine Anhänger einen Schluck Bier trinken können.

Im Erdgeschoss sitzt der Klub des Teams HC, im fünften Stock der FPÖ-Klub.
Foto: Robert Newald

Wäre die Erinnerung an diesen Abend ein Video, dann wäre nun der Moment, um auf Pause zu drücken, sich eine Minute Zeit zu nehmen, um jene zu betrachten, die sonst noch da sind. Das sind die Anhänger, mittelalt, meist männlich, kurzärmelige Hemden, laute Stimme.

Und ganz vorn ist die Parteiriege. Am linken Tisch, da sitzt zum Beispiel Christina "Kiki" Kohl, eine junge, quirlige Frau, die erst kürzlich ihren Job bei der AUA verloren hat, weil sie bei einer Demo schrie "Soros muss weg, Rockefeller muss weg, Rothschild muss weg". Wenig später war sie, so zeigen Aufnahmen, auf einer Demo, auf der auch der verurteilte Holocaustleugner Gottfried Küssel war.

Derselbe Küssel sagte letztes Jahr in einem Interview, er kenne Strache, seit dieser 14 sei, und: "Da gab es einige lustige Auftritte, über die will ich jetzt aber nicht reden, vielleicht brauchen wir das nochmal." Angesprochen darauf, ob er besorgt ist, was Küssel da noch im Talon haben könnte, sagte Strache kürzlich schlicht: "Nein, ich finde es belustigend".

Neben Kohl sitzt Viktor Erdesz, ein junger Herr mit Schmiss im Gesicht und Burschenschafter in der Olympia. Laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ist er Mitbegründer der Gruppierung "Die Stimme", diese sei "an der Grenze zum Neonazismus angesiedelt". Erdesz ist außerdem Kandidat des Teams HC Strache in Mariahilf.

Und am Tisch rechts, abseits von den jungen Leuten in schicken Anzügen, sitzt der Polizeiamtsarzt und Landtagskandidat Serge Paukovics. Er hat etwa ein Vorwort zum Buch Grippewelle durch Chemtrails verfasst und wetterte gegen die "Impfmafia".

Die Menge jubelt bei Sagern wie "Corona-Rache mit HC Strache"
Foto: Robert Newald

Strache ist in seiner Rede mittlerweile beim Thema Sicherheit angekommen. Wie kam er da noch einmal hin? Egal, die Menge hängt an seinen Lippen. Mit der Sicherheit kommen die Ausländer, und Strache poltert starr dahin. "Werte an- und übernehmen", schreit er und schlägt mit flacher Hand bei jeder Silbe in die Luft. Die harten Sager lässt er mittlerweile aus. "Koran statt Corona", wie es von FPÖ-Chef Norbert Hofer kam, hört man von Strache nicht. Oder hat man sich mittlerweile schlicht daran gewöhnt, wenn er den rechtsextremen Begriff des Bevölkerungsaustauschs verwendet?

Der Papagei und das Model

Für seine politischen Gegner hat er eine Reihe mehr oder minder scharfzüngige Beleidigungen parat, eingebaut in seine Reden, wie Schmähs in ein Kabarett. Da sind der "Ludwig im Schlafwagen", der "leblose Blümel", der besser Model sein sollte, und "Papagei Nepp". Als er von Nepp spricht, da grinst er. Ehrlich diesmal, so, dass man auch die oberen Schneidezähne sieht.

Am Ende jeder Rede kommt der obligatorische Wahlkampfaufruf. Unterbewertet sei die Partei, nein, die Bürgerbewegung, in Umfragen, das sei er gewöhnt, sagt Strache dann. Er rechne locker mit der Zweistelligkeit und freue sich darauf, die letzten Wochen noch Wähler zu mobilisieren, sagt er und lächelt sein Lächeln, das ein bisschen schief ist, im Fernsehen aber nie so wirkt.

Warum tut er sich das eigentlich noch an? Dass selbst der begeistertste Wahlkämpfer manchmal Ruhe braucht, merkt man nur in seltenen Momenten. Etwa an diesem einen Nachmittag in Döbling. Nur zwei Dutzend Leute waren da, der Smalltalk schnell erledigt. Zurück am Parteitisch versank Strache in seinem Handy, hörte nichts, sah nichts. Auch nicht den Fan, der ihn minutenlang anstarrte, um nach einem Foto zu fragen. Aus der Parteiriege traute sich niemand, den Chef anzustoßen. Als Strache den Kopf schließlich hob und bemerkte, dass da etwas Eigenartiges in der Luft lag, gluckste er verlegen. Und stellte prompt das Selfie-Lächeln an.

Warum das Ganze?

Fragt man Strache, warum er noch im Geschäft ist, ist die Antwort stets dieselbe: Er musste wieder aufstehen, hatte keine Wahl. Fragt man ehemalige Weggefährten, dann ist die Antwort einhellig: Geld. Für Anwaltskosten, für einen hohen Lebensstandard. Und das sei in der Beratungsbranche nun einmal nicht zu holen. "Welche Firma würde zugeben, dass sie sich von H.-C. beraten lässt?", fragt ein ehemaliger Vertrauter. Andere sagen auch, er könne schlicht nicht anders. Zu politisch sei er und süchtig nach der Bühne: "Die gibt ihm Energie und Kraft", sagt einer, der Strache kennt.

Auf der Bühne im Koci setzt Strache zum Schlusswort an. Er wisse, dass viele die Faust in der Hosentasche geballt hätten und sie am 11. Oktober rausziehen würden, um das Kreuz an der richtigen Stelle zu setzen, schreit er. Tosender Applaus. Die Leute stehen auf, schreien "H.-C., H.-C., H.-C." und schwenken kleine Fahnen. Doch Strache hat genug für heute. Er nimmt einen Schluck vom Bier, setzt die Maske auf und geht hinaus aus dem Saal. Heute ohne Fistbumps für alle. (Gabriele Scherndl, 27.9.2020)