Zitat des deutschen General der Kavallerie Georg von der Marwitz: "Unsere Truppen haben's ganz schrecklich schwer. Der Lehmpansch nach dem fortgesetzten Regen ist unergründlich, Mann und Ross sind der Nässe ohne jeglichen Schutz preisgegeben. Dörfer oder irgendwelche Unterstände gibt's eben in breiten Strecken nicht." (1918)
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Im Verlauf des Ersten Weltkrieges herrschte in Europa ungewöhnlich häufig schlechtes Wetter. Das Phänomen – Forscher sprechen von einer regelrechten Klimaanomalie, die so allenfalls einmal pro Jahrhundert auftritt – zeichnete sich vor allem durch heftige Niederschläge und tiefe Temperaturen aus. Während die Truppen in den Schützengräben der Westfront mit feuchtem Klima zurecht kommen mussten, das die Grabenanlagen in schlammige Gräber verwandelte, hatten die österreich-ungarischen Soldaten in den Karpaten mit extremen Minusgraden und einer dafür nicht ausgelegten Ausrüstung zu kämpfen.

Insgesamt beeinflussten gut dokumentierte Starkregen und tiefe Temperaturen in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 den Ausgang vieler wichtiger Gefechte an der Westfront. Vor allem in den Schlachten von Verdun und an der Somme, bei denen mehr als eine Million Soldaten getötet oder verwundet wurden, spielte das Wetter eine entscheidende Rolle. Die unangenehmen Witterungsbedingungen könnten laut einer neuen Studie sogar den Verlauf der Spanischen Grippe verschärft haben, der zwischen 1917 und 1919 bis zu bis 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Höhere Sterblichkeit bei Schlechtwetter

In der im Fachjournal "GeoHealth" veröffentlichten Arbeit analysierten Wissenschafter um Alexander More von der Harvard University einen Eiskern, der einem Gletscher in den europäischen Alpen entnommen wurde, um die Klimabedingungen während der Kriegsjahre zu rekonstruieren. Anschließend verglichen sie die gewonnenen Daten mit historischen Aufzeichnungen über Todesfälle während der Kriegsjahre. Dabei stellten fest, dass die Sterblichkeit in Europa während des Krieges drei Höhepunkt erreichte – und diese Spitzen traten während oder kurz nach Perioden mit kalten Temperaturen und starkem Regen auf.

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Insgesamt könnten weltweit etwa 500 Millionen Menschen mit der Spanischen Grippe infiziert worden sein.
Foto: Reuters/LIBRARY OF CONGRESS

Als Ursache der Wetterunbillen identifizierten die Wissenschafter ungewöhnliche Zuströme von Meeresluft aus dem Nordatlantik in den Wintern der Jahre 1915, 1916 und 1918. "Die atmosphärische Zirkulation hat sich verändert und es gab mehrere Jahre lang deutlich mehr Regen und häufiger kaltes Wetter in ganz Europa", sagte More. "Dieser speziellen Fall stellt wohl für dieses Jahrhundert eine einmalige Anomalie dar."

Weiterverbreitung durch daheim gebliebene Enten

Der unaufhörliche Regen und die Kälte wirkten sich nicht nur auf das Kriegsgeschehen aus, auch das Migrationsverhalten der Stockenten, dem tierischen Hauptwirt für H1N1-Grippevirusstämme, wurde davon gelenkt – mit womöglich fatalen Folgen für den Verlauf der Spanischen Grippe. Normalerweise ziehen die Enten West- und Nordeuropas im Herbst nach Nordosten Richtung Russland, doch 1917 und 1918 verzichteten viele wegen des schlechten Wetters auf die Reise. Damit hielten sich die Vögel in ihren angestammten Heimategionen vermutlich mehr als üblich in der Nähe der Soldatenansammungen und Zivilbevölkerung auf. Das könnte es ihnen ermöglicht haben, den besonders virulenten Stamm der H1N1-Influenza auf Umwegen über Gewässer unter den Menschen weiter zu verbreiten.

Durchschnittstemperaturen, Niederschläge und Sterblichkeit zwischen 1914 und 1920.
Foto: GeoHealth/More et al.

Die erste Welle der H1N1-Influenza-Infektion in Europa trat im Frühjahr 1918 auf und stammte laut früheren Untersuchungen höchstwahrscheinlich von alliierten Truppen, die im Herbst und Winter 1917 nach Frankreich kamen. Die neue Studie ergab, dass die tödlichste Welle der Pandemie in Europa im Herbst 1918 begann, unmittelbar nach einer Zeit starker Niederschläge und tiefer Temperaturen. "Ich sage nicht, dass dies die Ursache der Influenza-Pandemie war, aber es trug sicherlich zu Verschärfung bei, ein zusätzlicher Faktor in einer ohnehin bereits explosive Situation", sagte Klimaforscher und Historiker More, der auch als außerordentlicher Professor für Umweltgesundheit an der Long Island University tätig ist.

Plausible Wettertheorie

"Es ist ein interessanter Gedanke, dass starke Regenfälle die Ausbreitung des Virus beschleunigt haben könnten", sagte Philip Landrigan vom Global Public Health Program am Boston College, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war. "Eines der Dinge, die wir bei der Covid-19-Pandemie mittlerweile gelernt haben, ist, dass einige Viren in feuchter Luft länger lebensfähig zu sein scheinen als in trockener Luft. Es klingt also durchaus plausibel, dass die Witterungsbedingungen in Europa in den Jahren des Ersten Weltkriegs die Übertragung des Virus beschleunigt haben könnten." (tberg, 26.9.2020)