PV-Anlagen müssten laut Experten noch auf viel mehr Dächern und Flächen angebracht werden, um die Ziele von hundert Prozent Erneuerbarem Strom bis 2030 erreichen zu können.

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Ohne genaue Adresse würde man seine Solaranlage schwer finden: 21 Module – angebracht auf dem Dach seines Hauses am Ende einer kleinen Wohnsiedlung in Fischamend in Niederösterreich. Für Manfred Brustmann ist sie ein Herzensprojekt. "Es gibt noch viele Irrmeinungen zur Photovoltaik", meint er. Etwa dass sich eine Anlage nicht rentiere oder oft gewartet werden müsse. Seit zehn Jahren versorgt die Anlage die Familie Brustmann mit Sonnenstrom. Rund 33 Kilowattstunden Strom produziert sie an sonnigen Tagen, den überschüssigem Strom verkauft Brustmann weiter – direkt an Kunden in der Region.

Brustmann ist damit Prosumer – gleichzeitig Produzent und Konsument von Strom. Die Plattform, über die er sich mit seinen Kunden vernetzt, nennt sich Ourpower, ein Onlinemarktplatz, der Stromproduzenten, Käufer und Anlagenbauer zusammenbringen soll. Die Energiegenossenschaft ist eine von rund 390 in Österreich. Die Idee dahinter: eine dezentrale Stromversorgung aufzubauen, in der sich Menschen gegenseitig und regional mit Strom versorgen. Die kleinen Gemeinschaften liegen im Trend – und sollen schon bald stärker gefördert werden. Wird das sogenannte Energy-Sharing bald zum großen Trend in der Energieerzeugung?

Manfred Brustmann bei seiner Solaranlage in Fischamend. Der 58-Jährige will andere von den Vorteilen einer eigenen Photovoltaikanlage überzeugen.
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Marktplatz für den Strom

Vorstellen könne man sich die Energiegemeinschaften wie einen Lebensmittelmarkt, meint Ursula Seethaler von Ourpower. Nur dass statt mit Lebensmitteln eben mit Strom gehandelt wird. Fragt man bei den Gründern nach den Beweggründen hinter dem Konzept, wird meist auf einen kleinen Ort in Oberösterreich verwiesen. Spörbichl, 150 Einwohner, nahe Freistadt in Oberösterreich mit einem gleichnamigen Windpark mit zwei Windrädern auf einer wiesenbewachsenen Anhöhe.

"Wir haben 13 Jahre lang eine Förderung für den Windpark bekommen. Als diese weggefallen ist, haben wir gesehen, dass wir nicht zu den Marktpreisen bestehen können", sagt Johann Moser, Betreiber des Windparks. Vor zwei Jahren beschloss er, den Strom der Anlage direkt an die beteiligten Bürger in der Region zu einem Fixpreis zu verkaufen, was ihm einen höheren Verkaufspreis pro Kilowattstunde Strom eingebracht habe. Die Anlage konnte daraufhin weiterlaufen. "Wirtschaftlich hätte es sich sonst sicher nicht mehr rentiert", meint Moser. "Jetzt müssen wir hoffen, dass keine zu großen Reparaturen mehr anstehen."

Dezentrale Energieversorgung

Die Idee einer dezentralen Stromerzeugung – das heißt, Strom lokal zu erzeugen und zu verbrauchen – ist nicht neu. In Deutschland sind nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz in den letzten 20 Jahren Millionen an kleinen Solaranlagen in Betrieb gegangen.

Während das Modell von Umweltministerium, NGOs und EU-Kommission als Erfolg für den Klimaschutz gelobt wurde, kritisierten es andere immer wieder als ineffizient und unwirtschaftlich, weil die Förderkosten die Stromerzeugung überstiegen hätten.

"In Österreich war das Thema Energiegemeinschaften im Vergleich zu Deutschland immer weniger präsent", sagt Dietmar Rößl, Experte für Genossenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, "auch deshalb, weil mit der Wasserkraft bei uns schon seit langem ein großer Teil des Stroms erneuerbar ist." Das Interesse, sich in Energiegemeinschaften zusammenzuschließen, sei in den letzten Jahren aber deutlich gestiegen. "Erste erfolgreiche Beispiele werden auch Schule machen", so Rößl. Wird in einem Ort eine Energiegemeinschaft gegründet, erzeuge das für die Bewohner eine hohe Sichtbarkeit. So würden auch schnell wieder andere Gründungen in Nachbarorten entstehen.

In solchen Energiegemeinschaften treffen nicht selten unterschiedliche Interessen aufeinander: Menschen, die die Welt verbessern wollen, Produzenten, die sich mehr Geld für ihren Strom erhoffen, Investoren, die sich eine Verzinsung versprechen, Unternehmen, die über das Thema ökologische Nachhaltigkeit ihr Image verbessen wollen, und Gemeinden, die sich zu Klimavorreitern mausern wollen. Dabei kommt laut Rößl die Genossenschaft ins Spiel: Da in der Genossenschaft das Renditeziel nicht dominant ist, könne sie die unterschiedlichen Interessen in der internen Kommunikation zwischen den einzelnen Akteursgruppen berücksichtigen und ausgleichen.

Bürgerbeteiligung

"Für die Energiewende braucht es die Beteiligung der Bürger", meint Peter Molna, Mitgründer des Ourpower-Onlinemarktplatzes. Menschen sollen selbst Energie erzeugen, speichern, weitergeben und erhalten, aus regionalen Kleinanlagen mit Energie aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse. Außerdem sollen sich Bürger an Anlagen beteiligen und sich als eine Art Dividende den Strom von der Anlage gratis nach Hause liefern lassen können.

Die Vorteile der Energiegemeinschaften und der Bürgerbeteiligung kann Molna rasch aufzählen: mehr Wertschöpfung in der Region, eine demokratische Energieerzeugung, schnellere Finanzierung und schnellerer Aufbau neuer Anlagen und höhere Akzeptanz in der Bevölkerung.

Keinen Reichtum erwarten

Andere sind da skeptischer. Vor allem kleine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften würden sich wirtschaftlich nicht rechnen, meint Thomas Nacht, Wissenschafter am Institut 4ward Energy Research. "Wer einfach nur mit seinem Nachbar Energie handeln will, wird rasch feststellen, dass dafür der bürokratische Aufwand zu hoch ist." Etwas größere Gemeinschaften – etwa im Zusammenspiel mit der Gemeinde – könnten in Zukunft aber durchaus stärker angenommen werden.

Einige Gemeinden, wie etwa Freistadt oder Eferding, haben bereits mit den Energiegemeinschaften experimentiert – und als sogenannte Klima- und Energiemodellregionen (KEM) satte Förderungen von Bund und Land eingefahren. "Wir haben begonnen, Photovoltaikanlagen auf Schulen, Bauernhöfen und Sporthallen zu bauen", sagt Norbert Miesenberger, Manager der KEM Freistadt. Finanziert habe man die Anlagen mittels Bürgerbeteiligung, rund 500 Dächer seien bisher als PV-Flächen genutzt worden.

Riesige Gewinne seien mit den Energiegemeinschaften laut Seethaler nicht zu erwarten – auch weil es bei den Projekten eher um kleine Investitionen geht. "Mit einer PV-Anlage auf dem Dach ist noch keiner reich geworden", meint sie. Es gehe bei dem Konzept mehr darum, dass sich Produzenten und Konsumenten in der Region besser vernetzen und kennenlernen können. "Es ist eine Sache der Community, du lernst Leute kennen und triffst Gleichgesinnte", meint PV-Betreiber Manfred Brustmann aus Fischamend.

Stärkere Rolle für Energiegemeinschaften

Fest steht: In Zukunft sollen Energiegemeinschaften einen größeren Beitrag zur Energiewende leisten. Die Regierung will sie ab kommendem Jahr etwa durch Investitionszuschüsse und niedrigere Netztarife stärker fördern. Sie sind Teil des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes, wonach bis 2030 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen soll. Aufholbedarf gibt es viel: Die jährliche Stromerzeugung aus Photovoltaik müsste von derzeit einer Terrawattstunde (TWh) im Jahr auf elf TWh anwachsen, jene von Windkraft von sieben TWh auf zehn TWh. Photovoltaik macht derzeit lediglich ein Prozent der gesamten Stromerzeugung im Land aus.

"Wenn es gutgeht, können wir mit den PV-Kleinanlagen rund 40 Prozent der geplanten Stromleistung aus Sonnenenergie bis 2030 abdecken", meint Peter Molna. Das Problem sei, dass es in Zukunft immer schwerer werde, Flächen für PV-Anlagen zu finden. Mit Dachflächen allein sei der Ausbau nicht zu erreichen. "Wir müssen beginnen, größere Dächer für die Anlagen zu nutzen, Parkplätze mit Modulen überdachen und landwirtschaftliche Flächen nutzen. In Zukunft kann auch drei Meter über der Hühnerwiese das PV-Dach stehen."

Mit den Energiegenossenschaften allein wird es nicht gelingen, die Klimaziele zu erreichen, so Rößl. Einen substanziellen Beitrag könnten sie aber allemal leisten. Laut Thomas Nacht bräuchte es dafür künftig bessere Möglichkeiten, den Strom vor Ort zu speichern. "Flächen für PV-Anlagen gäbe es jedenfalls genug", meint Nacht. "Wo ein Wille, da ein Weg." (Jakob Pallinger, 19.10.2020)