Aus Sicht von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist die Zeit für Alexander Lukaschenko (im Bild) als Präsident von Belarus abgelaufen.
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Minsk – Trotz eines Großaufgebots an Militär und Miliz haben in Belarus (Weißrussland) neue Proteste gegen den Machthaber Alexander Lukschenko begonnen. Schon vor Beginn der traditionellen Sonntagsdemonstration gab es zahlreiche Festnahmen, wie mehrere Portale im Nachrichtenkanal Telegram zeigten. Die Metrostationen im Stadtzentrum der Hauptstadt Minsk waren wie an den vergangenen Sonntagen geschlossen, damit möglichst wenige Menschen zu den Protesten gelangen konnten.

Am Palast der Republik bezogen Soldaten Stellung. In den Seitenstraßen standen Gefangenentransporter und Hundertschaften der Miliz bereit.

Wie eine Festung war der Präsidentenpalast gesichert, weil die Behörden befürchten, dass die Protestmenge den Sitz von Lukaschenko stürmen könnte. Die friedlichen Proteste richteten sich diesmal konkret gegen die international kritisierte sechste Amtseinführung von Lukaschenko am vergangenen Mittwoch.

Geheime Inauguration

Der 66-Jährige hatte sich in einem weithin als Geheimoperation kritisierten Staatsakt zum sechsten Mal in Folge als Staatschef vereidigen lassen. Die Demokratiebewegung in Belarus, aber auch die EU erkennen ihn nicht mehr als Präsidenten an. Die Demonstranten sehen die 38-jährige Swetlana Tichanowskaja als die wahre Siegerin Präsidentenwahl am 9. August.

"Sweta ist unsere Präsidentin", skandierten die Menschen in der Stadt. Viele riefen auch: "Lange lebe Belarus!" und "Eto nasch gorod!" ("Das ist unsere Stadt"). Damit sich die Menschen nicht verabreden konnten zu den wechselnden Protestrouten, schalteten die Behörden wie an den vorherigen Sonntagen das mobile Internet ab.

Die Sonntagsdemonstration war – wie schon die Frauenkundgebung am Samstag – Tichanowskaja gewidmet – "als echte Amtseinführung durch das Volk". Die Oppositionsführerin, die auf Druck von Lukaschenkos Machtapparat ins benachbarte EU-Land Litauen geflüchtet war, begrüßte den Mut ihrer Landsleute, die nun schon den 50. Tag in Folge auf die Straße gingen und trotz brutaler Festnahmen keine Angst zeigten.

Macron will Lukaschenko loswerden

Der französische Präsident Emmanuel Macron ist überzeugt davon, dass Weißrussland vor einem Machtwechsel steht. "Es ist klar, dass (Präsident Alexander) Lukaschenko gehen muss", sagte er der Sonntagszeitung "Journal du Dimanche" kurz vor neuerlichen Massenprotesten der Opposition in Minsk. "Was in Belarus passiert, ist eine Krise der Macht, eine autoritäre Macht, die die Logik der Demokratie nicht akzeptieren kann und die sich mit Gewalt an die Macht klammert."

Die EU hat die Wahl von Lukaschenkos zum Präsidenten nicht anerkannt. Macron äußerte sich vor einem Besuch in den baltischen Staaten Lettland und Litauen ab Montag. Lukaschenko hatte sich am Mittwoch nach 26 Jahren an der Macht ohne Vorankündigung zum sechsten Mal im Amt vereidigen lassen. Bei der Abstimmung im August will er mehr als 80 Prozent der Stimmen erreicht haben. Nach der Amtseinführung nahmen die Proteste gegen den als "letzten Diktator Europas" bezeichneten Machthaber in dieser Woche wieder an Fahrt auf.

Enge Beziehung zu Russland

Macron sagte der Zeitung, Russland habe eine sehr enge Beziehung zu Weißrussland (Belarus) und die meisten Demonstranten stellten diese Beziehung nicht infrage. Er habe mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 14. September gesprochen, dem Tag, als dieser Lukaschenko in Sotschi empfing. Er habe Putin gesagt, dass Russland eine Rolle zu spielen habe und diese Rolle könne positiv sein, wenn er Lukaschenko dazu dränge, die Wahrheit der Wahlurnen anzuerkennen und politische Gefangene freizulassen. "Das war vor zwei Wochen, so weit sind wir noch nicht." (red, APA, 27.9.2020)