Kampagne für die EU während des jüngsten Wahlkampfes in Skopje. Nun will Bulgarien die Beitrittsgespräche blockieren.

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Die Nachbarn kann man sich bekanntlich nicht aussuchen und im Fall von Nordmazedonien scheint das wieder einmal zu einem Fluch zu werden. Nachdem Griechenland jahrzehntelang die Aufnahme in die Nato und in die EU verhindert hat, stellt sich nun der östliche Nachbar Bulgarien quer. Konkret geht es darum, dass Skopje die erste Konferenz zwischen der EU und Nordmazedonien, geplant im Dezember, blockieren will, den ersten Schritt in den Beitrittsverhandlungen, die in den vergangenen Jahren auch noch von Frankreich verzögert wurden. Bereits im Frühjahr waren entsprechende Aussagen in Sofia zu hören.

Nun geht es wohl auch um ein Ablenkungsmanöver der bulgarischen Regierung, die selbst unter enormem Druck steht, weil seit Juli die Demonstrationen wegen der fehlenden Rechtsstaatlichkeit im eigenen Lande nicht abreißen. In Umfragen werden die bulgarischen Protestierenden mit ihren Aufrufen zu Neuwahlen von fast 60 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Die Regierung von Boiko Borissow setzt jetzt offensichtlich auf die nationale Karte und will ein Thema aufbauen, das nicht mit dem EU-Beitritt zu tun hat: Sprache und Identität.

Historikerkommission

Nach einem – von einer extrem nationalistischen Natur getragenen – bulgarischen Narrativ, sind Mazedonier eigentlich Bulgaren, die Bulgarisch sprechen – also eine "künstlich geschaffene" Nation. Die Vorstellung, dass die Nachbarn eigentlich zur eigenen Gruppe gehören würden, dies aber einfach nicht erkennen würden oder verblendet seien, ist auf dem gesamten Balkan stark verbreitet. Ziel dieses Nationalismus ist es, die eigene Gruppe und die eigene historische Bedeutung aufzuwerten und die andere Gruppe abzuwerten.

Bereits im Jahr 2017 haben Bulgarien und der damals noch Mazedonien genannte Staat ein Freundschaftsabkommen abgeschlossen, in dem sie vereinbarten, dass etwaige historisch verschiedene Auffassungen von einer Historikerkommission bearbeitet werden sollten.

"Gemeinsam" statt "geteilt"

Diese Historikerkommission arbeitet aber seit einigen Monaten nicht, weil in Nordmazedonien vor den Wahlen eine Übergangsregierung aktiv war. Das nahm Bulgarien nun zum Anlass mit Blockade zu drohen: "Auf die anfänglich begrenzten Fortschritte bei der Arbeit der Kommission folgte eine Verlangsamung und schließlich eine Blockade. Die Vertreter der Republik Nordmazedonien haben das einvernehmlich festgelegte Konzept der gemeinsamen Geschichte in Frage gestellt, indem sie versucht haben, es durch die alternativen Begriffe "geteilte" oder "miteinander verflochtene" Geschichte zu ersetzen", heißt es in einem Memorandum der bulgarischen Regierung, in der auch rechtsradikale Nationalisten sitzen.

Auf Anfrage des STANDARD antwortet das bulgarische Außenministerium: "Wir bedauern, dass die Republik Nordmazedonien im Gegensatz zu diesen greifbaren guten Gesten die Umsetzung des Vertrags immer noch verzögert und es vermeidet, die ungelösten Probleme anzugehen." In Sofia behauptet man zudem, dass es bei den jüngsten Parlamentswahlen in Nordmazedonien "beispiellose Fälle von Hassreden gegen Bulgarien" gegeben habe, ohne diese konkret zu benennen. "Diese Manifestationen einer Ideologie und einer Praxis anti-bulgarischer Natur stehen im Widerspruch zu den europäischen Werten und sollten nicht über den EU-Beitritt legitimiert werden."

Weigerung, sich selbst abzuschaffen

Der mazedonische Vizepremier Nikola Dimitrov stellte indessen klar: "Sprache unterliegt keiner Anerkennung oder Nichtanerkennung, da im 21. Jahrhundert, insbesondere in Europa, das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstdarstellung nicht geleugnet werden kann." Kritik an dem Vorgehen Bulgariens gibt es aber auch in Bulgarien selbst. Der Soziologe Ivaljo Dičev schrieb etwa für die Deutsche welle, dass Bulgarien eigentlich den Vorwurf erhebe, dass "Nordmazedonien überhaupt existiert". Weiters meinte er: "Und wenn diese neue Nation sich beharrlich weigert, sich selbst abzuschaffen, betrachtet Bulgarien dies als einen Akt der Aggression."

Wie sehr eigentlich die bulgarische Regierung unter Druck steht, offenbar auch eine weitere Begründung für die Blockade gegenüber dem Nachbarstaat. Sofia spricht auch von einer "breiten Medienkampagne" und Versuchen, "Bulgarien innerhalb der EU-Institutionen und in den EU-Hauptstädten zu diskreditieren". Tatsächlich war Bulgarien in den vergangenen Wochen medial präsenter als zuvor, was allerdings nichts mit Nordmazedonien, sondern mit den Skandalen im eigenen Land und den Demonstrationen für mehr Rechtsstaatlichkeit zu tun hat.

"Konkrete Ergebnisse"

In Sofia argumentiert man nun, man wolle sich vor historischen und sprachlichen Ansprüchen aus dem Nachbarstaat "schützen". Solche Ansprüche werden freilich von Nordmazedonien gar nicht gestellt. Sofia verlangt nun auch, dass es nicht nur um eine Wiederaufnahme der Sitzungen der Historikerkommission gehen müsse – die "voraussichtlich nächsten Monat stattfinden werden" – sondern dass auch konkrete Ergebnisse erzielt werden müssen. Welche dies sein müssen, wurde allerdings nicht benannt. Man könne die Beitrittsverhandlungen "fördern", "sobald die Umsetzung des Freundschaftsvertrags eine bestimmte Erfolgsbilanz und ein gewisses Maß an Irreversibilität erreicht", so das Außenministerium in Bulgarien zum STANDARD.

Nordmazedonien gilt in Südosteuropa seit einigen Jahren als Modellstaat, weil es zumindest Versuche gab, Rechtsstaatlichkeit einzuführen und die sozialdemokratisch geführte Regierung unter Zoran Zaev dem Nationalismus gegenüber den Nachbarn abgeschworen hat und auch im eigenen Land die Zusammenarbeit aller Mazedonier – seien sie nun slawischsprachig oder Albaner – fördert. Dieses Modell, das auf dem Balkan einzigartig ist, ist aber bei den von Nationalisten geführten Regierungen in den Nachbarstaaten nicht nur beliebt. Denn sie sehen es durchaus als Konkurrenz, vor allem im Hinblick darauf, dass jene beiden Staaten, die seit einigen Jahren bereits EU-Verhandlungen führen – Montenegro und Serbien – keine erkenntlichen Fortschritte machen.

Mangelnde Unterstützung für nicht EVP-geführte Staaten

Innerhalb der EU fehlt es allerdings dem Modellland Nordmazedonien an Unterstützung, einerseits wegen der grassierenden Gleichgültigkeit gegenüber Südosteuropa in den meisten EU-Staaten, andererseits aber auch weil die Koalition in Skopje nicht zum Kreis der von der Europäischen Volkspartei (EVP) dominierten Regierungen gehört. Würde Zaev zur überaus mächtigen EVP gehören, wäre die Solidarität mit dem kleinen Staat mit zwei Millionen Einwohnern wohl eine viel größere. (Adelheid Wölfl, 27.9.2020)