Choreograph Tino Sehgal lädt zum vokalen Tanz im KHM: Wie sich Beethovens "Elise" flüchtig, aber wirkungsvoll verlebendigen lässt.

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Der Saal IV des Kunsthistorischen Museums (KHM) ist den "italienischen Schulen" gewidmet. Ob er sich auch für Zeit-Raum-Experimente eignet, hat gerade der deutsche Künstler und Choreograf Tino Sehgal (44) in einer Performance getestet, die von Impulstanz im Zusammenhang mit der KHM-Ausstellung Beethoven bewegt lanciert wurde.

Für Sehgals Arbeit This Joy durften die im Saal IV üblicherweise hängenden Gemälde vorübergehend an einen anderen Ort übersiedeln. Die Wände sind bis auf eine dunkelgrüne Stoffbespannung leer. Vier Tänzerinnen positionieren sich im Raum: junge, individuell gekleidete Frauen, aufgeladen mit Ludwig van Beethovens Klangwelten. Sie führen einen vor allem vokalen Tanz auf, der einigermaßen vertraut erscheint. Man kennt ihn von Dirigenten, wenn sie ihren Musikern Teile ihrer Dirigate stimmlich nahebringen. Die portugiesische Regisseurin Mónica Calle hat dieses Singen in ihr Stück Ensaio para uma Cartografia (2019 bei den Festwochen) eingebaut. Und der französische Choreograf Jérôme Bel ließ einst seine Tänzer Igor Strawinskys Le sacre du printemps singen.

Wie bei Bel und Calle ist es offenbar auch in Sehgals This Joy wichtig, dass der Gesang möglichst roh aus den Körpern tanzt: nicht von geschulten Vokalistinnen, sondern ungefähr so, wie "du und ich" die Melodie von Für Elise nachsingen würden. Das Publikum konnte This Joy in vierVarianten sehen. Eine davon beginnt mit der Ouvertüre von Egmont (die Uraufführung dieser Schauspielmusik fand 1810 in Wien statt). Es folgen die ersten Sätze der 5. und der 6. Symphonie, bevor die Tänzerinnen mit ihren Stimmen, Bewegungen und Gesten Elise lebendig werden lassen. So wird Beethovens Kunst im Ausdruck ihres Nachempfindens lebendig.

Das Fotografierverbot

Tino Sehgal bevorzugt Museen gegenüber Theaterräumen, verschränkt Choreografie mit bildender Kunst. Das KHM erfüllt dafür alle Voraussetzungen. Außerdem dürfen Sehgals Arbeiten weder aufgezeichnet noch fotografiert werden. Und wie es das Glück will, hängt in einem dem Saal IV benachbarten Kabinett der Gemäldegalerie das dazu passende Bild eines anonymen florentinischen Meisters: Darauf tanzt, auf ihrem Rad reitend, eine geflügelte Fortuna. Die realitätsnahe römische Schicksalsgöttin verkörpert das Ephemere, den Zustand unablässiger Bewegung, der vieles gibt und alles wieder nimmt. (Helmut Ploebst, 28.9.2020)