Bild nicht mehr verfügbar.

Der designierte Premier Mustapha Adib sein Mandat zurück.

Foto: Reuters/Mohamed Azakir

Die Hoffnung, dass die Explosionskatastrophe vom 4. August im Hafen von Beirut ein Weckruf für die in ihre Verteilungskämpfe verstrickte politische Elite des Libanon gewesen sein könnte, währte nur kurz. Vor einer Woche lief eine Frist aus, innerhalb derer eine neue unabhängige Technokratenregierung gebildet werden sollte. Nun legte der designierte Premier Mustapha Adib sein Mandat zurück.

Vor dem Abgrund

Der Libanon steht vor dem Abgrund. Der neuen Regierung wäre die Aufgabe zugekommen, wieder Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds aufzunehmen – begleitet von ersten ernstzunehmenden Reformschritten. Sie hätten die internationale Gemeinschaft davon überzeugen sollen, dass sich die Investition in das Überleben des Libanon lohnt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, angetreten mit Zuckerbrot und Peitsche, war bereit, eine neue Geberkonferenz auf die Beine zu stellen.

In Paris schreibt man das Scheitern Adibs einem "kollektiven Verrat" der libanesischen Parteien am Libanon zu. Es war bestürzend zu sehen, wie manche politischen Akteure nicht einmal den Versuch machten, ihre Lippenbekenntnisse zu einer Politikwende mit Leben zu erfüllen. Konkret ging es zuletzt darum, dass die beiden schiitischen Parteien Hisbollah und Amal das Finanzministerium unbedingt mit einem von ihnen nominierten Schiiten besetzt haben wollten.

Befürchtung vor einer politischen Marginalisierung

Der Hintergrund ist die schiitische – und die iranische – Befürchtung vor einer politischen Marginalisierung: Von US-Sanktionen getroffen, wollen sie die Kontrolle der libanesischen Finanzen nicht aus der Hand geben. Ein Einlenken vor den US-Wahlen ist unwahrscheinlich – und auch danach wohl nur im Fall eines Machtwechsels in Washington zu erwarten. Da redet der Iran mit. Die Totengräber des Libanon sitzen nicht nur in Beirut, sondern auch in Teheran. (Gudrun Harrer, 27.9.2020)