US-Präsident Donald Trump und die erzkonservative Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett, die er als neue Richterin am Supreme Court vorgeschlagen hat.

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So viele Siege, dass die Menschen des Siegens müde sind? Milliardenschwere Infrastrukturprojekte, eine Krankenversicherung für alle, die "viel besser" ist als das ungeliebte "Obamacare"-Projekt? Eine "große, wunderschöne" Mauer, für die Mexiko zahlt? Natürlich nicht. US-Präsident Donald Trump, das haben die vergangenen Jahre bewiesen, neigt nicht dazu, Versprechen zu erfüllen. Eines aber hat er gehalten. Als er religiös-konservative Wählerinnen und Wähler 2016 mit der Umfärbung der Gerichte köderte – da hat er es auch so gemeint. Ein Viertel aller derzeit an Bundesberufungs- und Bezirksgerichten besetzten Richterposten wurde auf seinen Vorschlag hin gefüllt. Stimmt der Senat nun seinem Vorschlag zu, die konservativ-katholische Topjuristin Amy Coney Barrett zur Höchstrichterin zu machen, wird ein Drittel des Supreme Court zu Trumps juristischem Erbe zählen.

Spuren nach einer Abwahl

Wahrscheinlich wird der Präsident auf die Weise auch nach einer Abwahl mehr Spuren hinterlassen, als es die von ihm auf den Weg gebrachten Gesetze vermögen. Und das – angesichts lebenslanger Bestellungen – auf Jahrzehnte. Das Höchstgericht könnte Präsident und Kongress die Möglichkeiten nehmen, eine staatliche Krankenversicherung beizubehalten – oder sie gar eines Tages auszubauen. Regelungen, die privaten Waffenbesitz einschränken oder dem blindwütigen Einsatz großer Firmenvermögen für Wahlkampffinanzierung einen Riegel vorschieben, wären noch schwerer zu beschließen. Und dass der neue Supreme Court jene Entscheidung von 1973, die Staaten das Erlassen vieler Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen untersagt – Roe vs. Wade –, einkassieren wird, ist wahrscheinlich.

Und genau da hat die Sache für Trump und die Seinen wohl einen Haken. Denn außerhalb der fanatischen Parteibasis sind viele dieser Perspektiven ziemlich unpopulär. Ein ausgedehnter Kampf um Barretts Bestätigung wäre wohl nicht jener Wahlkampfturbo, den die Republikaner sich erhoffen. Es wäre vielmehr ein Tauschgeschäft: juristischer Einfluss gegen politischen. Trump selbst verspricht sich natürlich auch etwas davon: Der Supreme Court solle voll besetzt sein, damit dieser bei einem Streit über den Wahlausgang in seinem Sinne stimme, sagt er. Ein Angriff auf die Demokratie, der aber nur bei knappem Wahlausgang erfolgreich sein kann.

Sensibles Gefüge der US-Gewaltenteilung

Angesichts dieser Ausgangslage ist es kein Wunder, dass die Demokraten darüber diskutieren, das Höchstgericht einfach umzubauen, sollten sie Präsidentschaft und Senat gewinnen. Möglich wäre es, die Zahl der Richterinnen und Richter am Supreme Court zu erhöhen oder die Dauer ihrer Amtszeiten zu beschränken. Beides wäre ein massiver Eingriff in das sensible Gefüge der US-Gewaltenteilung – und ein schlechter Präzedenzfall. Gerade jene Partei, die zunehmend als letzte politische Bastion des US-Rechtsstaats auftritt, sollte dieser Versuchung daher widerstehen. Sie sollte sich besser des Kerngeschäfts politischer Parteien besinnen: Bürgerinnen und Bürger von Ideen zu überzeugen, Mehrheiten zu gewinnen – und die Vorhaben anschließend in Gesetzesform zu gießen. (Manuel Escher, 27.9.2020)