Geschieht auch nicht alle Tage, dass Mercedes eine internationale Fahrpräsentation in Österreich ausrichtet, und wer weiß, ob bei der Rückkehr nicht alle in die Quarantäne müssen. Jedenfalls: Wien, Wachau, Krems und retour – eine Route von 220 Kilometern Länge hatte man sich einfallen lassen (optional eine anschließende Extrarunde Seestadt), reichlich über Land und Autobahn, und bevor es auf die offizielle Tour ging, trieb sich der STANDARD-Emissär noch hier und da rund um Start/Ziel, Nähe Hauptbahnhof, herum. Zehn Kilometer reiner Stadtverkehr zum individuellen Auftakt und Kennenlernen.

Glaubt man der Heilsbotschaft der Elektromobilität, so kann man sich abseits der Bahn kaum sauberer zu sechst oder acht durch die Lande bewegen – mit allen bekannten Vorzügen der individuellen Mobilität.
Foto: Mercedes-Benz

Der Kontrollblick bei der Rückkunft ergab eine Restreichweite von etwas über 50 Kilometer. Berücksichtigt man Stockerauer und Westautobahn bei Tempomat auf den dort gängigen 140 km/h, inklusive zwischendurch testhalber 150 km/h, da der Hersteller die optionale Höchstgeschwindigkeit mit 160 angibt (in Serie sind’s 140), berücksichtigt man also, wie energiezehrend so was für ein E-Auto ist, steht schon einmal fest: Die knapp 350 Kilometer behördlich ermittelte WLTP-Reichweite wird man im echten EQV-Leben ganz gut erreichen können. Das wäre etwa ein Drittel des Aktionsradius der V-Klasse mit Diesel-Motorisierung.

Gesamtgewicht von 3.500 Kilogramm

Diesem Ausgangsmodell gegenüber wiegt der EQV rund eine halbe Tonne mehr, es schlägt vor allem die 100-kWh-Batterie (90 kWh nutzbar; Zulieferer ist CATL aus China) auf die Masse, und aufgrund von 2.750 Kilogramm leer hob Mercedes das Gesamtgewicht auf 3.500 Kilogramm an, damit bei Bedarf nicht nur acht Soletti mit Schultern mitkommen können, sondern ausgewachsene Manns- und Weibsbilder inklusive Gepäck.

In der Reichweite schafft der EQV etwa ein Drittel der V-Klasse mit Dieselmotor, wiegt aber deutlich mehr.
Foto: Mercedes-Benz

Der unterflur angebrachte Akku verleiht dem EQV einen tieferen Schwerpunkt, und um eine Bodenfreiheit wie die V-Klasse zu erreichen – man hat wohl mit dem Elektro-SUV EQC unangenehme Erfahrungen gemacht –, wurde das Fahrzeug um 21 Millimeter angehoben. Die (wiederum optionale, aber sehr empfehlenswerte) Luftfederung gleicht das auf der Autobahn durch Absenken wieder ein wenig aus, da ist schließlich die geringstmögliche Stirnfläche Gebot der Stunde, bei 1,90 Meter Höhe zählt jeder Zentimeter.

Mercedes preist den gemeinsam mit der V-Klasse im baskischen Vitoria gebauten EQV, in dem etwa drei Jahre Entwicklungsarbeit stecken, als "erste elektrisch angetriebene Großraumlimousine" an. Und wenn schon das große V als Maßstab in der Klasse zu werten sei – die Volkswagen-Leute mit ihrem T6 werden womöglich Einspruch erheben –, dann der EQV erst recht, der nebenbei gesagt tatsächlich konkurrenzlos dasteht.

Neben dem 5,14 Meter langen Grundmodell (zum Vergleich das Basismodell neue S-Klasse: 5,13) streckt sich das extralange auf 5,37, in beiden Fällen finden sechs bis acht Insassen nobel Unterschlupf, wobei der Kofferraum 1.030 Liter beträgt, in der Extralulatschversion 1.410.
Foto: Mercedes-Benz

Noble Unterkunft

Neben dem 5,14 Meter langen Grundmodell (zum Vergleich das Basismodell neue S-Klasse: 5,13) streckt sich das extralange auf 5,37, in beiden Fällen finden sechs bis acht Insassen nobel Unterschlupf, wobei der Kofferraum 1.030 Liter beträgt, in der Extralulatschversion 1.410.

Die andere Seite am doppelsinnig genutzten Attribut Ladekompetenz betrifft die an der Steckdose. Die Frage, ob sich ein 100-kWh-Brocken überhaupt in halbwegs vertretbarer Zeit in Saft und Kraft setzen lässt, beantwortet Mercedes mit einem klaren und selbstsicheren Ja.

Grafik: Der Standard

Wobei, von der normalen Steckdose daheim würden wir abraten, da werden Sie alt. Mit Wechselstrom an der Wallbox oder einer öffentlichen Ladestation (bis 11 kW) muss man knapp zehn Stunden in der Kaffeetasse umrühren (und kann sich danach zu jedem Schönheitswettbewerb anmelden). Schnellladen geht mit bis zu 110 kW und dann aber zügig, in 45 Minuten ist man wieder marschbereit, da stehen dann statt der 348 knapp 280 Kilometer in der Reichweitenanzeige, sprich: 80 Prozent.

Angetrieben wird an der Front, Allrad ist nicht verfügbar. Dazu hätte es massiver Eingriffe in das Gesamtpaket bedurft, zum Nachteil der gewohnten Flexibilität, erläuterte Mercedes in Wien.

Die Elektromaschine leistet 150 kW, im Dauerbetrieb nimmt sie sich auf 70 kW zurück, und über die Wippen am Lenkrad lassen sich vier Rekuperationsstufen anwählen, vom Segeln bis zum Einpedaleffekt – eine fünfte wäre D Auto, eine wahre Intelligenzbestie hinsichtlich optimaler Rückgewinnung schon verlorengeglaubter Energie.

Wie es bei Mercedes elektrisch weitergeht? Zügig. Ende des Jahres kommt der EQA, es folgen der EQB und die elektrische S-Klasse EQS. (Andreas Stockinger, 2.10.2020)