Im Jelinek sieht man die Zettelwirtschaft kritisch.

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Allzu groß ist der Ansturm nicht auf so manches Kaffee- und Gasthaus an diesem verregneten Montag in Wien. Ob es am Wetter liegt, dass so viele Tische leer bleiben? Oder hat es einen anderen Grund? Eine gewichtige Neuerung gibt es seit Wochenbeginn in der Bundeshauptstadt: Die Gäste müssen sich beim Lokalbesuch registrieren, damit sie im Falle einer Corona-Infektion rasch verständigt werden können.

Das sorgt schon in den Morgenstunden für ein anderes Bild: "Normalerweise ist das Lokal um diese Zeit voll", meint Robert vom Café Jelinek im sechsten Bezirk. Am Montag laden hingegen reichlich leere Tische und Sessel zu Frühstück und Melange ein. Der Oberkellner bringt das Formular, auf dem Name, Telefonnummer, Uhrzeit und E-Mail-Adresse einzutragen sind, und steckt es nach dem Servieren des kleinen Braunen in ein Kuvert.

Probleme mit Datenschutz

Die schlechte Auslastung bringt er direkt mit der Registrierungspflicht in Zusammenhang und holt gleich weiter aus: "Jetzt haben wir uns gerade erst vom Lockdown erholt, da wird schon wieder Panik verbreitet. Das versetzt vielen Wirten den Todesstoß", klagt Robert. Bei den Besuchern ist das Bild gemischt. Ein jüngerer Herr meint, er habe sein ganzes Leben auf Corona-Prävention ausgerichtet, halte Abstand. Daher sieht er die Registrierungspflicht nicht als den großen Schritt.

Die Registrierungspflicht wird nicht überall gleich aufgenommen.
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Auch Ingrid überrascht das Formular nicht, ist sie doch regelmäßig in Deutschland, wo die Identität bereits preisgegeben werden muss oder soll – es wird ja nicht kontrolliert, ob die Angaben stimmen. Sie macht sich aber etwas Sorgen um den Datenschutz: Dass die Zettel 28 Tage aufbewahrt werden, findet sie angesichts der üblichen Infektionszeiten zu lange – und befürchtet weitere Eingriffe.

"Das ist schon frech"

Vor wenigen Tagen wurde ihr in Magdeburg ein Formular vorgelegt, auf dem das Einverständnis eingeholt wurde, dass die Daten an andere Behörden weitergegeben werden können. "Das ist schon frech", findet Ingrid. Dass derartige Bedenken nicht ganz aus der Luft gegriffen sind, zeigt sich in einem anderen Lokal unweit vom Jelinek.

Auf die Frage, ob die Leute bereitwillig ihre Daten hergeben, reagiert die Kellnerin auskunftsfreudig – zu auskunftsfreudig. Sie legt Zettel für Zettel samt den persönlichen Angaben der Gäste bereitwillig vor, um zu dokumentieren, wie artig ihre Kundschaft ist. Tatsächlich sind die Wirte zu höchster Sorgfalt angehalten, wollen sie sich nicht strafbar machen.

In Deutschland ergaben Stichproben, dass ein Drittel bis die Hälfte der Lokale den Datenschutz nicht gewährleistet. Sei es wegen frei zugänglicher Kontaktlisten im Eingangsbereich – oder weil die Daten nicht nur an die Gesundheitsbehörde herausgegeben wurden. Selbst der Polizei darf man die Listen nicht aushändigen, wenn sie etwa eine Identität zur Aufklärung einer Straftat erheben will.

Streng geregelt

"Selbst wenn die Polizei im Auftrag der Gesundheitsbehörde tätig ist, darf sie die Daten nicht für andere Verwaltungsstrafen verwenden. Das wäre eine klare Zweckentfremdung", meint der Datenschutzexperte Christof Tschohl vom Research Institute. Man dürfe den Listen auch keinen Anfangsverdacht für eine Straftat entnehmen.

So könnte – rein theoretisch – ein Formular auch ausgefüllt werden.

Zur Mittagszeit füllen sich dann die meisten Wirtshäuser, und in Verbindung mit dem regulären Arbeitsaufwand sorgt die neue Zettelwirtschaft dann doch für Stress. In einem Bierlokal im zwölften Bezirk beklagt eine Kellnerin, dass sie einmal öfter zu jedem Tisch laufen muss. "Sonst könnten die Gäste ja erst bestellen und später das Ausfüllen der Formulare verweigern."

Doch derartige Fälle sind beim Lokalaugenschein nicht vorzufinden. "Vielleicht gewinnt man ja was, wenn man richtig ausfüllt", scherzt ein Gast und erheitert damit die Runde. Im Gasthaus Zur Gruabn in Wien-Landstraße ist man über die Registrierungspflicht not amused. Aber dass Gäste dadurch abgehalten würden, ins Gasthaus essen zu kommen, das sieht man nicht.

Nicht zu kontrollieren

Der Montag sei grundsätzlich ein schwacher Tag – entsprechend spärlich gefüllt ist das Lokal. Da aufgrund des Regens niemand draußen sitzen kann, sei die Frequenz noch schlechter, sagt die Dame am Empfang, während sie Zustelldiensten laufend transportfähig verpackte Menüs aushändigt. Was die Gäste in die Tabellen auf den Zetteln schreiben, sei ohnehin nicht zu kontrollieren, sagt sie achselzuckend.

Im Peti Pari sieht man kein Problem der Gäste mit der Zettelwirtschaft.
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Die Gäste des Stadtwirts, ebenfalls nahe Wien-Mitte, nehmen die Registrierungspflicht gelassen. Man fühle sich sicherer, weil die Maßnahme die Kontaktverfolgung erleichtere. Das Restaurant ist für Montagmittag relativ gut gefüllt, die Eintrudelnden warten geduldig, bis ihnen Plätze zugewiesen werden. Die Registrierungszetteln sind feinsäuberlich auf Pappkartons befestigt, die vor der Verwendung desinfiziert und an die Tische gebracht werden.

Heikle Adressen

Überaus diszipliniert sind die Kunden der Konditorei Oberlaa im dritten Bezirk. Das mag auch am Alter liegen, denn die Dichte an Pensionisten, die hier ein Menü essen oder sich zum Kaffeekränzchen treffen, ist hoch. Wohl auch deshalb stößt die behördliche Vorsichtsmaßnahme vielfach auf Verständnis. Kommen deshalb weniger Gäste? "Das glaub ich nicht", sagt die Dame hinter dem Tresen. Es sei ja zur Sicherheit der Gäste.

Auch im leeren Peti Pari gibt es keine Beschwerden, versichert Verkäuferin Anna. "Wir haben nur nette Gäste", von denen aber keiner zu sehen ist. Eine Einschränkung gibt es freilich, wie die Bedienstete in der Patisserie in der Otte-Bauer-Gasse meint: "Die Leute wollen keine Adresse angeben." (ung, bpf, as, 28.9.2020)