Die Verhinderung des Mercosur-Abkommens soll regionale Produkte stärken. Für Konsumenten bedeutet dies jedoch eine Erhöhung der schon während der Covid-19-Krise gestiegenen Fleischpreise.

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Die Verweigerung des Mercosur-Freihandelsabkommens durch die Regierung folgt einer ähnlichen Logik wie Trumps "America first": Es geht darum, die heimische Landwirtschaftsproduktion zu stärken. Die Kosten dieser Politik hat die Allgemeinheit zu tragen – mit Preissteigerungen ist zu rechnen.

Vor drei Jahren wurde das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada provisorisch teilweise in Kraft gesetzt. Das Abkommen ist weitreichend und war dementsprechend umstritten. Die Kritik richtete sich vor allem gegen den Investitionsschutz, einem Regelwerk, das ausländischen Investoren einen Anspruch auf Schadenersatz gewährt, sollten sie diskriminiert werden. Bis heute haben erst 15 von 30 Vertragsparteien Ceta ratifiziert. Das Provisorium droht damit zur Dauerlösung zu werden, und die davon nicht erfassten Teile des Abkommens könnten auf der Müllhalde der Handelspolitik landen.

Heute, drei Jahre später, steht ein neues Handelsabkommen zur Diskussion, diesmal zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Und wieder ist das Abkommen umstritten. Die Hauptkritikpunkte richten sich jedoch nicht gegen den Investitionsschutz, der in diesem Abkommen gar nicht vorgesehen ist, sondern gegen die teilweise Öffnung der EU für Agrarimporte und gegen rechtlich nicht vollständig durchsetzbare Vorgaben zum Umweltschutz. Für die österreichische Regierung wiegen die Kritikpunkte offenbar so schwer, dass sie den Vertrag ablehnen und dessen Inkrafttreten verhindern möchte. Historisch betrachtet, befand sich die offizielle österreichische Politik dagegen zumeist auf der Seite der Freihandelsbefürworter. Woher nun der Sinneswandel?

Covid-19 und Handelspolitik

Die österreichische Regierung hat spätestens mit der Covid-19-Pandemie ihre Handelspolitik verändert. Neben der Ablehnung von Mercosur soll ein Investitionskontrollgesetz für Direktinvestitionen aus dem Nicht-EU-Ausland geschaffen, landwirtschaftliche Importe sollen durch regionale Produkte ersetzt und die auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähige Zuckerproduktion durch staatliche Interventionen im Land gehalten werden. Letzteres einmal für die nächsten drei Jahre. Begründet werden diese Maßnahmen mit der Notwendigkeit, die Versorgungssicherheit im Land zu garantieren.

Interessanterweise stiegen die österreichischen Exporte von landwirtschaftlichen Produkten laut Statistik Austria während des ersten Halbjahrs 2020 um 4,3 Prozent. Eine Mangelwirtschaft in Zeiten von Covid-19 sähe anders aus.

Die wirtschaftspolitische Orientierung der Regierung erinnert teilweise an jene von US-Präsident Donald Trump: Freihandel einschränken und die heimische Produktion stärken. Die Folgen sind laut einer Studie der US-amerikanischen Ökonomen Mary Amiti, Stephen Redding und David Weinstein Preissteigerungen für Zwischengüter und Konsumgüter, eine Reduktion der verfügbaren Produktvielfalt und ein Realeinkommensverlust in der Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar pro Monat für die US-amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten.

Für kleine

Gleichzeitig wurde die US-amerikanische Landwirtschaft stark durch die Gegenmaßnahmen Chinas getroffen. Ein Zwölf-Milliarden-US-Dollar-Paket musste von Donald Trump geschnürt werden, um Nothilfe leisten zu können. In den USA hat diese Strategie also hohe ökonomische Kosten verursacht. Kann sie in einer kleinen, offenen Volkswirtschaft wie Österreich ökonomisch erfolgreicher sein? Die Antwort lautet: wohl kaum. Für die Rettung der letzten österreichischen Zuckerproduktion greift die Politik direkt in den Steuertopf. Die Kosten werden der Allgemeinheit aufgebürdet. Die Konsumentinnen und Konsumenten trifft die Beschränkung des Freihandels auch direkt.

Stiegen die Fleischpreise bedingt durch Covid-19 laut Statistik Austria im Juni im Vergleich zum Vorjahr bereits um 6,1 Prozent, so sind weitere Steigerungen zu erwarten, sollte der internationale Handel mit Agrarprodukten eingeschränkt werden. Die Ausdehnung der regionalen Produktion auf Kosten von Importen wird die Auswahl schmälern und zulasten der Konsumentinnen und Konsumenten gehen, auch weil sie des Preisvorteils günstiger Importe verlustig gehen. Darunter leiden vor allem Haushalte mit geringem Einkommen.

Industrie auch betroffen

Die Verhinderung von Mercosur kennt aber noch weitere Verlierer. Die österreichische Industrie ist stark exportabhängig. In Zeiten von Covid-19 stellt sich das internationale Marktumfeld als äußerst schwierig dar. Der angekündigte massive Stellenabbau in der Industrie liefert hierfür einen ersten Indikator. Verhindert man nun auch noch Mercosur, zerstört man zukünftige Marktchancen der heimischen Industrie. Dies wird mit einem dauerhaften Rückgang der Industriebeschäftigung einhergehen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Industriearbeitsplätze überdurchschnittlich hoch bezahlt sind und so neben den guten Einkommen für die Beschäftigten auch einen wichtigen Beitrag zum Lohnsteueraufkommen und den Sozialabgaben leisten.

Zu guter Letzt nimmt eine Verhinderung des Mercosur-Abkommens auch den Menschen in Südamerika ökonomisches Aufholpotenzial, da ihnen Markt- und damit Entwicklungschancen vorenthalten werden. Die globale Wirtschaftsentwicklung kann durch freien Handel gefördert und die weltweite Ungleichheit damit effektiv reduziert werden.

Wer eine Politik des "Austria first" verfolgt, wird mittelfristig den Wohlstand Österreichs als kleiner und vom Ausland abhängiger Volkswirtschaft reduzieren und gleichzeitig dazu beitragen, auf der globalen Ebene bestehende Ungleichheiten zu verfestigen.

Dies ist eine Politik, die man verfolgen kann, wenn andere Ziele wichtiger sind. Man muss sich allerdings der Konsequenzen bewusst sein. (Harald Badinger, Harald Oberhofer, 29.9.2020)