Jonas Kaufmann als Don Carlos, Malin Byström als Elisabeth.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wie glücklich doch das Leben der Könige sei, singen die Holzfäller im ersten Akt der Oper Don Carlos. Das sieht der Regisseur nicht so. Der spanische König Philippe II. sei "im Grunde ein armes Schwein, das Opfer eines Systems", sagt Peter Konwitschny im Programmheft zu seiner Inszenierung der rekonstruierten fünfaktigen Urfassung des Werks.

Philippes königliche Residenz ist in Johannes Leiackers räumlicher Deutung denn auch mehr Gefängnis als Palast: Sie erinnert an das Innere eines marmornen Sarkophags, eines Eisblocks. Zu- und Abgänge sind nur geduckt möglich, sogar für den fast allmächtigen Herrscher von Gottes Gnaden.

Bei der Staatsopern-Premiere dieser Inszenierung gab es 2004 einiges an Protestgeschrei. Schon das Autodafé, das Konwitschny in die Pausenfoyers verlegt hatte, kam nicht gut an: Ketzer-Bashing zu Sekt und Schinkenbrötchen, das wird in Wien nicht goutiert. Für die Corona-Zeit wurde die Aktion als Videoeinspielung im Stil einer Opernball-Berichterstattung gezeigt: Blitzlichtartig trifft Leid aus der fernen Operngeschichte auf ein saturiertes Hier und Heute. Einer von zwei brillanten Momenten in Konwitschnys ansonsten eintöniger Arbeit.

Amüsante Bilder

Bei der von Bogdan Rošćić angeregten Wiederaufnahme schieden sich am Sonntagabend die Geister. Vor allem bei den amüsanten Bildern, die der am Berliner Ensemble einer Ruth Berghaus geschulte Regisseur zu einer Ballettmusik im dritten Akt erfunden hatte: In der stummen Episode "Ebolis Traum" zeigt Konwitschny die intrigante Hofdame und den von ihr angebeteten Thronfolger im spießigen 1970er-Jahre-Eheglück, Philippe und dessen Ehefrau Elisabeth sind zum Abendessen eingeladen.

Warum der Protest? Erstens passt Konwitschnys Traumgespinst genau in den Handlungsablauf. Und zweitens stellt diese Episode nicht nur einen komödiantischen Lichtblick in einer fünfstündigen Tragödiendüsternis dar, sondern auch eine Oase der Gegenständlichkeit in einer bühnenbildnerischen Wüste der Abstraktion. Die Reaktionen bei der Premiere veranlassten die FAZ zur Feststellung, das Wiener Abonnementpublikum würde sich eben "gern im Goldglanz der eigenen Gralshüterschaft sonnen". Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren nicht viel geändert.

Die Musik? Ging so

Und die Musik? Ging so. Klar: Jonas Kaufmann war da. Alle lieben ihn – und das zu Recht. Aber oft sang er seinen Don Carlos doch sehr untertourig und versonnen; des Startenors kehlig-gaumige Stimmschattierungen mit der "voix mixte" im Piano boten Anklänge an das Timbre seiner Basskollegen. Obwohl diese eher enttäuschten: ohne Fundament, zu harmlos und profilarm der Philippe von Michele Pertusi, durchschnittlich auch der Großinquisitor von Roberto Scandiuzzi. Igor Golovatenko (Rodrigue) hingegen bewies sich als stürmische Offensivkraft, die eine feine Klinge zu führen weiß: das beeindruckendste der drei Hausdebüts.

Malin Byström gelang es als Elisabeth nicht, die Spitzentöne ihres karamellweichen Soprans von staubigem Belag zu befreien; Eve-Maud Hubeaux machte als Eboli gesanglich alles top, und doch vermisste man eine persönliche Färbung. Kommoder Applaus für einen von Bertrand de Billy routiniert geleiteten Abend. (Stefan Ender, 28.9.2020)