Kevin Rowland 1999: Erfährt sein damals erschienenes Album "My Beauty" endlich Gerechtigkeit?

Foto: Marie-Thérèse / Cherry Red

Das erste Lied ist ein Manifest: "No matter what they say about me / They can’t take my personal dignity", singt er. Angesichts des Coverbilds herrschte in der Fangemeinde allerdings Skepsis, ob sich das mit der besungenen Würde ausgehen würde. Als Kevin Rowland im Herbst 1999 mit My Beauty nach elf Jahren Pause ein Album veröffentlichte, kratzten sich viele hinterm Ohr: What t' fuck?

Rowland war damals Ende 40 und sah keinen Tag jünger aus. Eine Dekade lang hatte er sich an Drogen verschwendet. Als er wiederkehrte, war er gealtert, das Haar dünner geworden – und er inszenierte sich auf dem Cover von My Beauty in Schminke und Frauenkleidern. Er trug Strümpfe und hob sein großes Schwarzes auf Höhe des Nabels, damit alle sehen konnten, was er darunter trug. Im Traum soll ihm dieses Outfit erschienen sein.

Kevin Rowland 1999.
Foto: Marie-Thérèse / Cherry Red

Rowlands Album wurde vornehmlich wegen seines Covers ein Thema. Immerhin war es ein Nationalheld, der da plötzlich in Drag daherkam. Die Briten konnten damit nichts anfangen. Es hieß, My Beauty sei das am schlechtesten verkaufte Album des berühmten Creation-Labels gewesen, von nur knapp tausend verkauften Stück war die Rede. Tatsächlich waren es über 20.000 Kopien, doch auf der folgenden Tour im Königreich wurde er ausgebuht und mit Flaschen beworfen.

21 Jahre später wurde dieses verkannte Meisterwerk nun neu aufgelegt: erstmals auch als Schallplatte – unbeugsam in rosa Vinyl.

Katholische Pädagogik

Zum Helden wurde Rowland Ende der 1970er mit den Dexys Midnight Runners. Die Band machte mit Songs wie Come On Eileen oder Geno Weltkarriere. Ihr Sänger galt als Sturschädel mit einer Vergangenheit, die ihn nach den Stockhieben der katholischen Pädagogik und Konflikten mit dem Gesetz in die Kriminalität geführt hätte – hätte ihn nicht die Musik gerettet. Dem sich als hässlich empfindenden Mann eröffnete sie eine Welt, die Schönheit versprach. Doch mit dem Erfolg konnte er nicht umgehen, mit Erfolglosigkeit noch weniger.

Das einzige Video, das 1999 gedreht wurde, um "My Beauty" zu promoten,
brutegr

Beides verstärkte seine unschönen Wesenszüge. Rowland war bekannt dafür, dass er andere Bands hasste, seine Mitmusiker betrachtete er als ein notwendiges Übel. Als das letzte Dexys-Album 1985 floppte, verlor er sich in Drogen. Es folgte ein erfolgloses erstes Soloalbum, dann der Abstieg, der eher ein freier Fall war. Er schlug in der Verlorenheit auf, in Armut und Abhängigkeit. Es folgten Therapien und Gottessuche – das volle Programm.

Tränen während den Aufnahmen

Dann, 1996, unterzeichnete er bei Creation einen Vertrag für ein Album, an das selbst dort niemand geglaubt haben soll. Drei Jahre später aber kam er mit einer Sammlung von Coverversionen daher: My Beauty, einem Dokument persönlicher Katharsis.

Ein nachträglich entstandener Clip zu "Reflections of My Life".
Cherry Red Records

In den Liner-Notes schreibt Rowland, dass es diese Songs waren, die wieder Schönheit in sein Leben brachten, während er dabei war, sich zu vernichten. "These songs showed me my definition of beauty, my beauty." Bei den Aufnahmen soll er immer wieder in Tränen ausgebrochen sein, ohne sie deshalb zu unterbrechen.

Kranke Chöre

Seine Kompromisslosigkeit schlug sich nicht nur äußerlich nieder. Er veränderte Texte in Richtung seiner Biografie und schmetterte sie in einer Inbrunst der Welt entgegen, wie man sie aus den hymnischen Momenten der Dexys Midnight Runners kannte. Rag Doll stammt von der aus New Jersey kommenden Band Frankie Valli and the Four Seasons. Das im Original gerade zwei Minuten dauernde Lied ufert bei ihm ins Neunminütige aus. Mit einem krank klingenden Damenchor im Rücken entsteht so eine Liebeserklärung an den Song selbst.

"Rag Doll" – ein zwei Dekaden später gedrehter Clip zu Rowlands Version.
Cherry Red Records

Ein anderer Künstler aus New Jersey konnte mit Rowlands Aneignungen weniger anfangen. Bruce Springsteen untersagte ihm die Adaption von Thunder Road – auf der Neuauflage ist es nun enthalten. Wobei es Besseres gibt: etwa Concrete and Clay, ein Cover der Boygroup Unit 4 + 2, die damit 1965 einen Hit hatte.

Der Gang ins Epische

Viele Lieder klingen wie Liebeserklärungen an sich selbst. So als müsste er sich Mut machen, wieder an sich zu glauben. Sein Long And Winding Road mag autobiografisch gerechtfertigt sein, zählt aber eher zu den Füllern. Großes gelingt ihm, wenn er ins Epische geht, sich von Chor und Streichern in Richtung Klimax tragen lässt.

Der Rest sind Grenzgänge zwischen Herz und Schmerz mit der Dramatik alter Hollywood-Schinken. Rücksicht hat er keine genommen. Nicht auf sich, nicht auf seinen Ruf, nicht auf sein Publikum, dem schon die Luft wegblieb, als es die Eröffnungsnummer hörte: Whitney Houstons The Greatest Love of All.

Zarte Rehabilitierung

Nach einer Dekade, die geprägt war von Britpop und Clubmusik, konnte das Publikum mit der seltsamen Wiederkehr dieses gefallenen Engels nichts anfangen. Doch über die Jahre erfuhr es eine zarte Rehabilitierung, tauchte in Listen der besten Coverversionen-Alben auf. Doch währen die meisten Coverversionen aus Bewunderung für das Original entstehen, was legitim ist, wirkt diese Platte wie ein Versuch, sich anhand positiver Erinnerungen am eigenen Schopf aus dem Wasser zu ziehen.

Zumindest die Hälfte dieses Werks ist reines Gold, zumindest für jenes Publikum, das ihm offenen Herzens begegnet und seine Schönheit, "his beauty", erkennt. (Karl Fluch, 29.9.2020)