Sumpfschwalben brüten immer früher. Die unsicheren Wetterlagen so bald im Jahr führen häufig zum Verlust der Nachkommen.
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Die Pribilof-Inseln in der Beringsee, knapp 400 Kilometer nördlich der Aleuten, waren 2016 Schauplatz eines Massensterbens. Tausende Gelbschopflunde und Schopfalken erlagen offenbar dem Hungertod, die ausgemergelten Kadaver trugen deutliche Anzeichen von Unterernährung. Die beiden Mitglieder der Alkenvögel-Familie kommen ausschließlich auf der Nordhemisphäre vor und haben normalerweise keine Schwierigkeiten, sich und den Nachwuchs durch Tauchgänge im arktischen Meer zu verköstigen. Gelbschopflunde, die über 80 Prozent der verendeten Tiere ausmachten, leben als Erwachsene größtenteils von Zooplankton, ihre Jungen füttern sie mit Fisch.

Als ein Team von der University of Washington das Phänomen über mehrere Monate hinweg dokumentierte, entdeckte es Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Erderwärmung: Die meisten Vögel befanden sich zum Todeszeitpunkt im Gefiederwechsel, was ihren Nährstoffbedarf üblicherweise erhöht. Unmittelbar bevor das große Sterben begonnen hatte, waren aber die Wassertemperaturen gestiegen, was zu Veränderungen des Planktons und der Verteilung von Fischen im östlichen Beringmeer geführt hatte. Diese – für sich genommen wenig auffällige – Verschiebung des Nahrungsangebots während der Mauser könnte den Vögeln zum Verhängnis geworden sein.

Fatales Timing

Die Natur ist durchaus flexibel, kommt der Wandel aber zu schnell daher, dann wird die Anpassung an die neuen Verhältnisse zu einem Überlebenskampf. Das zeigt sich mittlerweile nicht mehr nur in den Ökosystemen der Polregionen so deutlich, auch in unseren Breiten sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vogelwelt nicht mehr zu übersehen: Eine Gruppe um Ryan Shipley, Wissenschafter am Max-Planck-Institut für Tierverhalten, beobachtete am Beispiel der nordamerikanischen Sumpfschwalben (Tachycineta bicolor), dass das Brutverhalten vieler Vögel mittlerweile nicht mehr mit den rasanten jahreszeitlichen Veränderungen mithalten kann.

Sumpfschwalben orientieren sich bei ihrer Brutzeit (so wie übrigens die meisten anderen Vogelarten) an den steigenden Temperaturen. Die idealen Bedingungen für die Eiablage finden sie vom frühen Mai bis Mitte Juni. Gut zwei Wochen später schlüpfen die Küken, zu einer Zeit also, wenn das Angebot an Fluginsekten den Hunger der vier bis sechs Jungen zu stillen vermag – zumindest war das einmal so.

Riskante Vorverlegung

Wie das Team um Shipley im Fachjournal "Pnas" berichtet, haben die Sumpfschwalben ihre Brutzeit mittlerweile jedoch deutlich vorverlegt, alle zehn Jahre um drei Tage, um genau zu sein. Diese Anpassung an den Klimawandel hat fatale Folgen für den Nachwuchs: Ein früherer Beginn der Brutzeit geht mit häufigeren ungünstigen Wetterverhältnissen einher – und das wiederum hat zur Folge, dass die Eltern weniger Beute machen. "Für Vögel, die sich von Fluginsekten ernähren, wird an einem Tag geschlemmt, am nächsten gehungert", meint Shipley. "Vogeleltern vertrauen also in einem ungewöhnlich warmen Frühling darauf, dass die Bedingungen für eine frühere Eiablage auf ähnlich gute Bedingungen für die Aufzucht der Jungtiere in der Zukunft hindeuten."

Dass diese Hoffnung aufgeht, ist so früh im Jahr freilich deutlich unwahrscheinlicher, was sich auch am vergleichsweise schnellen Schwund der fluginsektenfressenden Vögel wie Schwalben, Mauersegler, Fliegenschnäpper und Ziegenmelker in weiten Teilen Nordamerikas und Europas ablesen lässt. Die Ergebnisse decken damit auch eine bisher kaum bedachte Bedrohung für Vögel mit diesem Beuteschema auf. "Der weit verbreitete Rückgang der Insektenpopulationen könnte diese Arten besonders hart treffen. Aber es gibt darüber hinaus noch einen Wandel, der gar keine Veränderung des Insektenreichtums erfordert – nur eine Änderung der Verfügbarkeit über eine kurze Zeit." (Thomas Bergmayr, 29.9.2020)