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In Cleveland laufen die letzten Vorbereitungen für das Fernsehduell.

Foto: Reuters/Bryan Snyder

Eigentlich waren die Karten ganz anders gemischt: Dienstagabend, 29. September, die erste TV-Debatte zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden steht auf dem Programm. In den USA wird das Duell seit Wochen mit Spannung erwartet, die Themen waren scheinbar gesetzt: Corona – klar. Black Lives Matter, also die Protestwelle gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner. Vielleicht noch Klima.

Viel wurde außerdem gemunkelt von der "October surprise" – sind es die Durchbrüche im Nahen Osten mit Bahrain und den Emiraten, die dem Wahlkampf den Überraschungsspin verleihen? Oder doch die umstrittene Nachbesetzung der verstorbenen Verfassungshöchstrichterin Ruth Bader Ginsburg? Der Senat will ja Mitte Oktober mit den Anhörungen von Trumps Kandidatin Amy Coney Barrett beginnen, um sie noch Ende Oktober, also eine Woche vor der Präsidentschaftswahl, als Höchstrichterin zu bestätigen.

Doch Sonntagnacht ließ die "New York Times" die Bombe platzen. Ein Reporterteam der Prestigezeitung hatte sich Zugang zu Steuererklärugen von Trump verschafft. Seit Jahren hält der Präsident diese gut verschlossen – und das, obwohl es seit Richard Nixon (1969–1974) zum guten amerikanischen Präsidententon gehört, die Steuern offenzulegen.

Dass Trump das so partout nicht tun wollte, machte seine Steuermachenschaften schon lange verdächtig. Warum zeigt er die Dokumente nicht her? Am Sonntag stellte sich schließlich heraus, dass Trump in den vergangenen Jahren kaum Einkommensteuer an den Bund gezahlt hat, im Jahr 2017 zum Beispiel nur 750 Dollar.

Für Herausforderer Joe Biden sind diese Enthüllungen, so knapp vor der ersten TV-Debatte, ein gefundenes Fressen. Innerhalb weniger Stunden produzierte sein Team ein neues Sujet für seine Wahlkampfwerbung, das aufzeigt, wie viel Durchschnittsamerikaner an derartigen Steuern zahlen: Lehrer 7.239 Dollar, Feuerwehrmänner 5.283 oder Krankenpfleger 10.216.

Sein Wahlkampfteam begann auch Sticker zu verkaufen mit der Aufschrift: "Ich habe mehr Einkommensteuer gezahlt als Donald Trump." Per Twitter bittet Biden um weitere Spenden, "egal ob 7,50, 75 oder 750 Dollar".

Aber mehr noch: Abgesehen von den moralischen Fragen, die die Causa aufwirft, kann Biden Trump genau dort angreifen, wo es ihm wohl am meisten wehtut: Das über Jahre penibel aufgebaute Bild des erfolgreichen Wirtschaftsmoguls scheint durch die Enthüllungen angekratzt. Seit Jahren schreiben viele seiner Unternehmen laut Steuererklärung horrende Verluste, er bürgt laut "New York Times" persönlich für Kredite in der Höhe von 421 Millionen Dollar. Davon laufen 300 Millionen in den nächsten vier Jahren aus, sprich während einer möglichen zweiten Präsidentschaft.

Trump will einen Drogentest von "Sleepy Joe"

Trump, der nicht dafür bekannt ist, um verbale Untergriffe verlegen zu sein, könnte bei der TV-Debatte am Dienstag also heftig zurückschlagen. Schon in den vergangenen Tagen ließ der 74-Jährige eine Reihe von Tweets los, die annehmen lassen, dass er sauer ist.

Seit Wochen behauptet er ja immer wieder, "Sleepy Joe", wie er seinen 77-jährigen Herausforderer nennt, würde Drogen nehmen. Vor der Debatte forderte er Biden abermals auf, einen Drogentest zu machen.

Bidens Wahlkampfmanagerin reagierte gegenüber der Zeitung "Politico" scharf: Biden habe vor, "seine Debattenantworten in Worten zu geben. Wenn der Präsident denkt, seine größten Siegeschancen lägen im Urin, dann kann er es haben." Sie legte noch nach, indem sie sein Covid-Krisenmanagement kritisierte: Trump habe die Chance verspielt ("pissed away"), das Leben von 200.000 Amerikanern zu beschützen.

Die US-Regierung war in den vergangenen Monaten stark unter Druck geraten, weil das Land die Corona-Pandemie nur schwer in den Griff bekommt. Am Montag kündigte Trump an, die Testkapazitäten deutlich auszubauen. In den kommenden Wochen werde seine Regierung 150 Millionen Corona-Schnelltests verteilen, die binnen 15 Minuten ein Ergebnis liefern.

Fauci: Corona-Taskforce-Chef verbreite Falschinformationen

Am Montag warf der renommierte Immunologe Anthony Fauci dem Chef der Corona-Taskforce, Scott Atlas, allerdings vor, falsche Informationen über das Virus zu verbreiten. Er sei besorgt darüber, dass die Informationen des neuen Beraters "entweder aus dem Zusammenhang gerissen oder tatsächlich falsch" seien, sagte der Leiter des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten.

Auch an einer anderen Front musste Trump am Montagabend einen Schlag hinnehmen: Sein Erlass gegen die Video-App Tiktok wurde von einem Richter in Washington als unzulässig bewertet. Trump hatte für Montag einen Download-Stopp der App angeordnet gehabt – dagegen gibt es nun eine richterliche Verfügung. Trump bezeichnet die App ja als Sicherheitsrisiko, weil chinesische Behörden über sie an Daten von US-Bürgern kommen könnten.

Trumps Ex-Wahlkampfchef festgenommen

Knapp vor Beginn der ersten TV-Debatte kann Biden also aus einer Palette an Angriffspunkten gegen Trump auswählen. Etwa auch, dass am Sonntag der Ex-Wahlkampfchef des Präsidenten, Brad Parscale, von der Polizei festgenommen und in die Psychiatrie gebracht wurde. Seine Ehefrau Candice Parscale hatte die Beamten gerufen, weil sie einen Suizidversuch ihres unter Alkoholeinfluss stehenden Mannes befürchtet habe. Parscale war Mitte Juli von Trump durch dessen Stellvertreter Bill Stepien ersetzt worden.

Doch der Präsident wird das Feld seinem Gegner nicht kampflos überlassen. Die Debatte verspricht hitzig zu werden. (saw, 29.9.2020)