Nadja Zerunian schwärmt von Zeiten, als ein Bett und ein Fauteuil die einzigen Möbel in ihrer Wohnung waren.

Foto: Katharina Gossow

An der Rückseite des Stephansdoms, sozusagen an seinem Hinterteil, liegt ein beschauliches Plätzchen. Der Strom an Passanten ist ein ruhiger, überschaubarer. Aufgefädelt liegen hier eine Buchhandlung, ein Teehaus, eine alte Lotto-Annahmestelle, eine Trafik und ein Blumengeschäft, das auch in Paris sein könnte.

Zwischen Olivenbäumchen und Rosensträußen werden zurzeit Seerosen feilgeboten. Zwei Verkäuferinnen schnippeln an den Stengeln frisch gelieferter Wiesenblumen herum. Gegenüber, im Schatten eines Götterbaumes, der im Schutz des Doms gedeiht, halten zwei Straßenkehrer vor einem Grabstein aus dem 17. Jahrhundert ein Schwätzchen.

Ein paar Meter weiter befindet sich das Haus, in dem die Designerin Nadja Zerunian daheim ist. Es ist ein altes Haus, dessen Kern auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Es wurde seinerzeit vom Domkapitel für 13 Priester errichtet.

"Biedermeier meets seventies" in Form eines grünen Sessels von Vico Magistretti.
Foto: Katharina Gossow

Priester wohnen auch heute noch hier, die klösterliche Struktur ist erhalten geblieben, auch wenn sich allerlei weltliche Bewohner dazwischengeschmuggelt haben. "Ich bin längst aus der Kirche ausgetreten und wundere mich manchmal immer noch, dass ich die Wohnung bekommen habe", erzählt Zerunian. Seit acht Jahren wohnt sie hier gemeinsam mit ihrem Mann Nick.

Nach einer Zeit in der Schweiz und 16 Jahren in Washington und New York, in denen Zerunian unter anderem in den Diensten von Calvin Klein stand, kam sie wieder in ihre Heimatstadt zurück.

"Das war schon etwas Besonderes, als ich wieder zurückkam, schließlich bin ich ein echtes Wiener Bastardl, und Wien hatte sich verändert. Als ich hier aufwuchs, war alles leer und grau, man konnte den Eisernen Vorhang fast riechen. Der Spruch, dass in den 70er-Jahren abends die Gehsteige hochgeklappt wurden, stimmt", erzählt die Designerin, die die Wohnung mietete, ohne sie zuvor besichtigt zu haben. Lediglich der Grundriss war ihr bekannt.

Stilvolles Sammelsurium

Die Wohnung von Nadja Zerunian und ihrem Mann entspricht einem lebendigen Mix. Das merkt der Besucher schon im Eingangsbereich.
Foto: Katharina Gossow

"Ich mag dieses Haus, es hat nicht diese elitäre Ausstrahlung wie viele andere Häuser im 1. Bezirk. Also hier wohnen definitiv keine Oligarchen", sagt Zerunian in ihrer Küche, die mit ihrem Marmor und den Spiegeln eher an ein Badezimmer erinnert. Keine Gewürzdosen, kein Packerl Nudeln, auch Topf und Deckel sucht man lange.

Der Rest der Wohnung sieht anders aus, man könnte von einem stilvollen Sammelsurium sprechen, das erkundet werden will. Dabei bestückten anfangs lediglich ein Bett und ein Fauteuil die 200 Quadratmeter der Mietwohnung. Nach diesem Zustand sehnt sich Zerunian immer noch.

"Es hat einfach nicht funktioniert, diese Leere durchzuhalten. Aber das ist in meinem Falle wohl auch ein Ding der Unmöglichkeit, denn bei aller Sehnsucht nach Reduktion bin ich unterm Strich doch eine Horterin, eine hamsternde Sammlerin und Jägerin."

Neben dem Badezimmer ist die Küche gestalterisch wohl der kühlste Raum in der ganzen Wohnung.
Foto: Katharina Gossow

"Wahrscheinlich", so erklärt sie die Wurzeln dieser Sammelleidenschaft, "hat das damit zu tun, dass beide Elternteile Antiquitätenhändler waren." Der Flüchtlingshintergrund ihrer Familie trage den Rest dazu bei. "Angst vor Verlust ist bei mir sicher ein ausgeprägtes Thema." Aber das ist eine andere Geschichte.

Atmosphäre eines Salons

Fast ist man versucht, Zerunians Zuhause als Schmuckkästchen zu beschreiben, aber ein Schmuckkästchen mit einer Raumhöhe von 4,5 Metern? Gut, dann halt Schmuckkasten! Dieser verteilt sich über einen großzügigen, L-förmigen Grundriss.

Die Räume wirken wie aufgefädelt: Da wäre Zerunians grau gepinseltes Büro, ein Badezimmer mit schwarzem Marmorboden, ein verspiegeltes Ankleidezimmer, ein Eingangsbereich mit schwarz gestrichenen Wänden, der die Atmosphäre eines Salons ausstrahlt und von einem kronenförmigen Leuchter aus den 50er-Jahren erhellt wird.

Das Riesen-Glasauge wurde im Wiener Dorotheum erworben und gehört zum großen Sammelsurium der Wohnung.
Foto: Katharina Gossow

Weiter geht es in ein Wohnzimmer samt Bibliothek und einen weiteren Raum, in dem hin und wieder Gäste bewirtet werden und der ansonsten flexibel benützt wird.

Den Abschluss des "L" bildet ein kleines Schlafzimmer, das im Verhältnis zu den anderen voluminösen Räumen wie eine Koje wirkt. Die Wände der Koje sind rosa gestrichen. An der Wand über dem Bett hängt eine Lichtskulptur.

Blickt man von hier aus dem Fenster, fällt der Blick auf jenes Haus in der Wiener Domgasse, in dem Mozart unter anderem seinen Figaro komponiert hat. Es heißt, er verlebte hier seine besten Zeiten. Mit ein bisschen Fantasie sieht man ihn mit seinem Hund Gauckerl um die Ecke kommen.

Grätzelbekanntschaften

Mit dem 1. Bezirk sei das so eine Sache. "Anfangs fand ich es sehr charmant, mittlerweile finde ich es schade, wie hier unter normalen Umständen die Horden durchtrampeln und alles nur noch auf Sisi- und Fiakerkitsch reduziert wird. Ich meine, Wien hat doch so viel mehr zu bieten." Ganz zu schweigen von der Pein durch Kirtage, Weihnachtsmärkte, Kundgebungen und Demonstrationen, durch die sich die 56-jährige Mutter zweier Töchter immer wieder vor ihrem Haus drängeln muss.

Aber sie weiß, dass ein Mosern über diese Wohnlage für viele Zeitgenossen einen bitteren Beigeschmack hat und durchaus als Jammern auf hohem Niveau durchgeht. Vieles schätzt sie auch nach wie vor an ihrem Wohnsitz. "Den Sonntag liebe ich am meisten, da kann man manchmal noch allein sein. Neulich bin ich sehr spätnachts spazieren gegangen und habe den Organisten des Doms beim Üben gehört. Dazu die Silhouette des mächtigen Doms", schwärmt sie also doch.

In diesem Zimmer werden dann und wann Gäste bewirtet. Zerunian ist es wichtig, dass es auch für andere Zwecke einsetzbar ist. Nichts soll in der Wohnung starr sein. An der Wand hängt ein japanischer Paravent, obwohl die Hausherrin hier lieber ein Schüttbild von Hermann Nitsch hätte.
Foto: Katharina Gossow

Auch die Grätzelbekanntschaften vom "Augustin"-Verkäufer bis hin zur Blumenverkäuferin möchte sie nicht missen. "Unterm Strich macht man sich die Stadt so klein, wie man sie haben will", ergänzt Zerunian, die auch als Kreativdirektorin bei Georg Jensen und der Swatch Group arbeitete.

Viel zu entdecken

Die Wohnung, in der es erstaunlich ruhig ist, stellt einen gelungenen, äußerst stilvollen Mix dar. Es gibt viel zu schauen und zu entdecken, ohne dass man sich eingeengt wie in einem Setzkasten fühlt. Hier ein froschgrüner Magistretti-Sessel aus den 70er-Jahren, dort eine Biedermeier-Kommode.

Neben einem mannshohen, reichlich verzierten Spiegel aus Syrien eine Maske aus Neuguinea. Zu sehen ist ein weißer organisch geformter Tisch von Stardesigner Marc Newson, darunter ein Korb voller Flusssteine. An der Wand lehnt eine Initiationsmaske aus dem Kongo, auf dem Boden arrangierte sie eine Pyramide, geformt aus kleinen, alten Schiffsbojen, die an Kanonenkugeln erinnern.

Wohnzimmer und Bibliothek.
Foto: Katharina Gossow

Dort, wo ein alter japanischer Paravent die Wand schmückt, der der Hausherrin eigentlich viel zu brav ist, hätte sie gern ein großes Schüttbild des Künstlers Hermann Nitsch – irgendwann einmal. Dafür gibt es gleich um die Ecke wilde Voodoo-Tafeln zu entdecken: gar nicht brav.

Dass sie eine Beziehung zu Dingen aufbaut, sieht man nicht nur ihrer Wohnung, sondern auch ihren Arbeiten an, die schon auf dem halben Erdball ausgestellt wurden. Auch ihre Objekte erzählen Geschichten.

Wie ein Gringo

Ihr erstes "Es war einmal" geschah vor einigen Jahren irgendwo in Transsilvanien, keine zwei Flugstunden von Wien entfernt. "Und doch Jahrhunderte weit weg", erinnert sich Nadja Zerunian an ihren ersten Besuch in Rumänien. Sie fuhr damals im Auftrag der "Roma Partnership" der Erste-Stiftung dorthin, um Handwerkern auf dem Land unter die Arme zu greifen.

Präziser formuliert ging es darum, Ideen auszubaldowern, wie man die archaischen Handwerksformen der Kupfertreiber, Besenmacher, Löffelschnitzer etc. ein Stück weit in die Zukunft führen kann, um für die Menschen eine bessere Existenzgrundlage zu schaffen.

Das Ankleidezimmer des Hauses.
Foto: Katharina Gossow

"Wie ein Gringo kam ich mir damals vor, besonders in den ländlichen Gegenden, wo sich viele Menschen noch unglaublich traditionell kleiden und man das Gefühl hat, alle tragen denselben Namen und jeder ist mit jedem verwandt", erinnert sich Zerunian, die einst bei Ernst Caramelle, Carl Auböck und Ron Arad an der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte.

Ein Gringo ist sie nicht mehr. Nach unzähligen Reisen in die entlegensten Winkel entwirft Zerunian längst ihre eigenen Objekte aus Kupfer, Silber, Messing oder Stein, oft noch immer in Zusammenarbeit mit den Handwerkern vor Ort in Rumänien. "Manche der Menschen dort unten sind wie meine Babys", sagt sie.

Ihre Arbeiten sind manchmal reduzierte, dann wieder witzige und verspielte Ensembles von Löffeln, Schalen, Tabletts und anderen kleinen Dingen, die Zerunian gleich Schmuckstücken inszeniert, die auch als kleine Skulpturen "bella figura" machen.

Am Ende des Rundgangs landet der Besucher wieder im Eingangsbereich, wo ihn vom Parkettboden aus ein Glasauge in der Größe eines Fußballs anglotzt. Die Sammlerin und Jägerin hat es im Dorotheum ersteigert.

Die Designerin zeigt einige von ihr entworfene Metallobjekte, die sie nach alten rumänischen Handwerkstraditionen fertigen ließ.
Foto: Katharina Gossow

Bevor einen das Haustor wieder auf den Platz ausspuckt, bleibt noch die Frage, ob einrichtungstechnisch irgendetwas gar nicht geht? Die Designerin zuckt mit den Schultern. "Vielleicht irgendwelche Angebereien wie ein protziger Whirlpool im Wohnzimmer", sagt sie und meint weiter, "Obwohl, warum eigentlich nicht?"

Gutes Wohnen bedeutet für Zerunian, dass es sich fortlaufend verändert, es geht um einen Mix, Wohnen sei etwas Lebendiges und die Möglichkeit zum Rückzug zugleich. "Ich war und bin sehr viel unterwegs, da bin ich immer wieder froh, dass ich mich hier in diese klösterliche Höhle zurückziehen kann." Die nächste Reise nach Rumänien kommt bestimmt. Der nächste Christkindlmarkt auch. (Michael Hausenblas, RONDO Exklusiv, 28.10.2020)