Ein Jahr reift der Wein im großen Fass.

Foto: Nikolaihof Wachau

Zeit für Wein ist prinzipiell immer. Der Wein selbst braucht manchmal seine Zeit. Nehmen wir zum Beispiel das Jahr 1988: Reinhard Fendrich dichtete sein Macho Macho, Kinder der 80er haben zu Milli Vanilli getanzt, Confetti Tivi geschaut und voller Stolz Leggings in allen Farben des Regenbogens getragen.

Das alles hat Elisabeth nicht getan, auch wenn sie ein Kind der 80er-Jahre ist, nämlich Jahrgang 88. Elisabeth ist ein Weißwein aus dem Hause der Familie Sahs vom Nikolaihof in der Wachau.

Der Wein Elisabeth brauchte Zeit und zeigt jetzt, dass man auch ohne orange Leggings groß werden kann. Sie zeigt uns ebenso, dass man mit einem für Wein beachtlichen Alter jung und frisch wirken kann. Eine gute Nachricht für all jene, die sich auf Geburtstagskarten gerne mit Wein verglichen sehen. Menschen sind wie Wein, sie werden nur besser mit dem Alter und so ...

Das Tröpfchen Wahrheit

Wie alle Sprichwörter kommt auch dieses nicht von ungefähr. Weinleute, die sich redlich bemühen, ihren Flaschen, entgegen allen Gelüsten und Dürsten, die nötige Zeit zuzugestehen, sprechen dann von Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen.

Sagen wir es mit Elisabeths Nuancen, so ist die Birne, die unsere Geschmacksknospen beim Trinken umtänzelt, in erster Instanz ein Primäraroma, das also von der Traube herrührt. Sekundäraromen sind Geschmäcker, die vom Ausbau herrühren. Fassgröße, Behältnisart und Kellerhandhabung spielen dabei eine Rolle.

Die Reife der Birne kommt aber erst mit den Jahren. Damit landen wir beim Tertiäraroma. Dieses entwickelt sich nicht immer aus der Frucht oder Würze des Primäraromas. Manche Noten, wie die Petrolnote im gereiften Riesling, ergeben sich nur durch das Alter und sind in der Jugend nicht vorhanden.

Bei Elisabeth, gekeltert in der Tradition des Gemischten Satzes, bei dem alle Rebsorten vom Neuburger bis zum Grünen Veltliner gleichzeitig aus demselben Weingarten geerntet wurden, waren die kräutrigen Nuancen ebenso wie Birne und gelber Apfel zuerst Primäraromen. Jetzt sind sie in gesetzter, gereifter Form Tertiäraromen.

Je mehr Zeit man dem Wein im Glas gibt, umso mehr gesellen sich Walnuss- und Muskattöne dazu. Unaufgeregt, subtil und erhaben. Das bringt ein junger Wein, der mit seinen vor jugendlicher Kraft strotzenden Aromen vorpreschen will, schlicht nicht fertig.

Außerdem hat er keine Tertiäraromen vorzuweisen. Weil die Zeit fehlt. Das macht ihn also, böse gesagt, zweidimensional. Wobei nicht jeder Wein für Tertiäraromen gemacht ist. Wenn dem so ist, fallen diese nämlich mitunter ziemlich unelegant aus. Ein bisserl kompliziert ist es also schon. Und deshalb auch so interessant.

Trinkreifer Wein

Die Challenge dabei ist, Weine wie "Elisabeth Tradition" auch wirklich dann zu trinken, wenn sie trinkreif sind. Und bevor der Wein seinen Höhepunkt überschritten hat. Elisabeth steht mit ihren 32 Jahren da wie das blühende Leben. Rotwein und Weißwein, beide können, wenn sie die Voraussetzung mitbringen, ganz wunderbar reifen.

Dass "Elisabeth Tradition" jetzt zumindest mit einigen Flaschen verfügbar ist, verdanken wir einem aufgelassen Gastro-Keller und Clemens Riedl sowie Markus Inzinger. Sie sind die Gründer von Trinkreif. Ihr Unternehmen ist aus dem Hobby hervorgegangen, gereiften Wein zu trinken und in alten Kellern aufzustöbern.

Irgendwann war der Freundeskreis so groß, dass sie manche der Freunde nicht mehr kannten und aus dem freundschaftlichen Tausch ein Geschäft wurde, das alle, die wollen, mit gutem gereiftem Wein versorgt.

Denn leider bekommt nicht jeder gereifte Wein sein adäquates Zeitfenster: Gleich einen 30-jährigen Champagner trinken, das kann man machen. Wenn man erstmals und ohne Einführung daran nippt, wird man sich dennoch eher den Prosecco vom Aperitivo zurückwünschen. Für Clemens Riedl ist es wie mit der Oper, da geht man doch auch nicht beim ersten Besuch in den Ring der Nibelungen. Oder wie wenn man als Einjähriger Austern mit Kaviar isst.

Das sind Dinge, an die muss man sich herantasten. Orange Leggings und gereifte Weine, alles eben dann, wenn auch die Zeit reif ist. (Nina Wessely, RONDO Exklusiv, 2.9.2021)