STANDARD: Gab es früher den einen Ort, an dem sich die Kunstszene in Wien getroffen hat?

Erwin Bohatsch: Es gab unterschiedliche Gruppen. Die Älteren, wie Walter Pichler oder Dominik Steiger trafen sich zum Beispiel gegenüber vom Engländer im ehemaligen Koranda.

Brigitte Kowanz: Ja es gab unterschiedliche Communities, aber das Alt Wien war so ein allgemeiner Künstlertreff, ebenso "die Bar" in der Sonnenfelsgasse. Was noch?

Heimo Zobernig: Der grüne Anker! Dort traf sich regelmäßig die Austrian Filmmakers Cooperative. In den 80ern gab’s noch das Schoko, das Blitz – ach und das "mixed pickles", ein Lokal in der Schottenfeldgasse, eingerichtet mit Secondhand-Möbeln, aber es spielte aktuelle Musik, und die Bedienung war queer. Sehr unüblich für die damalige Zeit.

STANDARD: Wie sind Sie Teil dieser Communities geworden?

Zobernig: Wir haben uns die Community selbst gemacht.

Elisabeth von Samsonow:
Kleid George Keburia
mit Kopfschmuck Sassa Ann Van Wyk Ohrringe Giorgio Armani
Foto: Yasmina Haddad

Kowanz: Es gab aber schon in gewisser Weise "Türöffner". Einer davon war sicher der Künstler Oswald Oberhuber – und die Galerie nächst St. Stephan, wo man sich getroffen hat. Nicht zu vergessen Grita Insam, die ebenso wichtig war.

Bohatsch: Später haben sich die Gruppen auch in der Galerie Krinzinger gebildet.

STANDARD: Ist das heute anders?

Zobernig: Ich sehe, dass junge Künstler und Künstlerinnen die gleichen sozialen Praktiken wie wir damals pflegen. Die treffen sich ja immer noch in der wirklichen Welt.

Elisabeth von Samsonow: Und erfinden sich ihre Räume.

Bohatsch: Ja genau, es gibt zusätzlich aber auch noch den digitalen Raum, in dem plötzlich alles verfügbar ist.

Kowanz: Die Jungen haben einen ganz anderen Zugang zu Information. Dadurch sind sie viel professioneller, sehen mehr, was los ist. Mir war damals absolut nicht klar, wie der ganze Kunstbetrieb funktioniert.

Samsonow: Wir machen unsere Studierenden ganz bewusst damit vertraut. Das ist ja Teil der Ausbildung. Da hat sich irrsinnig viel verändert. Früher wurden die Leute einfach mit ihrem Diplom vor die Tür gesetzt, heute gibt es an der Akademie ein eigenes Fach "Die Mechanismen des Kunstbetriebs".

Erwin Bohatsch: Anzug und Hemd Louis Vuitton
Foto: Yasmina Haddad

Zobernig: Manche Studierende bekommen fast Stress, wenn sie sich im Laufe des Studiums noch nicht öffentlich präsentiert haben. Die Wiener Szene prosperiert heute in den diversen Off-Spaces. Die Galeristen und Kuratoren beobachten das mit großem Interesse.

STANDARD: Fragen die Studierenden nach dem Diplom um Rat, was sie machen sollen?

Kowanz: Das geht schon im ersten Semester los.

Samsonow: Die romantische Idee, dass Künstlersein der schönste Beruf ist, den man haben kann und man dafür in Kauf nimmt, auf einem ökonomisch sehr niedrigen Niveau dahinzuvegetieren, hat sich erledigt. Mit dem Künstlerbild ist heute eine Art Erfolgsfantasie verbunden. Es sind ganz bestimmte Karrierevorstellungen sehr klar definiert. Ich halte das für ein Generationensyndrom. Das beobachte ich auch in anderen Berufssparten.

Kowanz: Ich habe damals nicht gedacht, dass ich jemals von der Kunst leben werden könne. Als Lehrende an der Angewandten habe ich Ende des letztens Semesters meine Studierenden gefragt, wo sie sich in zehn Jahren sehen. Es gibt natürlich ein paar, die ganz an die Spitze wollen, aber die meisten können sich vorstellen, neben ihrem künstlerischen Schaffen auch im Kulturmanagement zu arbeiten. Sie denken flexibel und versuchen, sich breit aufzustellen.

Heimo Zobernig: Mantel Kenzo
Hemd Hermès
Hose Giorgio Armani
Schuhe Vivienne Westwood (Vintage)
Foto: Yasmina Haddad

Bohatsch: Die Verbissenen haben es halt wahnsinnig schwer. Weil die abhängig davon sind, entdeckt oder weitergebracht zu werden.

STANDARD: Gibt es den einen Ratschlag für junge Kunstschaffende?

Samsonow: Mach das, was du kannst, und mach es mit der größtmöglichen Passion, sonst kannst du es nicht durchhalten.

Kowanz: Der Weg an die Spitze ist nur ganz wenigen vorbehalten. Man merkt recht schnell, wer das Gesamtpaket mitbringt, um es trotz aller Widrigkeiten zu schaffen. Den anderen kann man jedoch schlecht sagen: Vergiss es! Aber es muss ja nicht jeder der große Kunststar werden. Gute Leute finden ihre Nischen. Die arbeiten halt dann eher theoretisch oder kuratorisch. Da sich die Ausbildung enorm verbessert und sich das Angebot erweitert hat im Vergleich zu unserer Studienzeit, haben die Jungen mehr Wahlmöglichkeiten.

Zobernig: Ich möchte das ein bisschen relativieren. Ich begleite auch Leute, die das Zeug zum Star haben. Deren Weg ist meist trotzdem sehr zäh, bis mal eine Karriere zustande kommt. Man muss harthäckig und geduldig sein. Es gibt ja so viele, die in die Kunst drängen. 200 Kandidaten waren es früher, jetzt sind es 1.500.

Kowanz: Man kann nicht einfach zu einer Galerie gehen und seine Mappe herzeigen.

Brigitte Kowanz: Jacke und Bluse Prada
Foto: Yasmina Haddad

Bohatsch: Das war früher auch schon unprofessionell. Mein Ratschlag an junge Kunstschaffende ist: Seid ernst bei der Sache, aber verliert euren Humor nicht.

STANDARD: Stünden Sie heute noch einmal vor der Entscheidung, würden Sie noch einmal in die Kunst gehen?

Alle: Ganz sicher. Wir würden es wieder tun. (lachen)

Bohatsch: Ich würde es vielleicht nicht so idealisiert, sondern strategischer angehen.

STANDARD: Wie wichtig sind Eigen-PR und Inszenierung auf Social Media für Kunstschaffende?

Zobernig: Ich bin selbst auf keiner dieser Plattformen. Ich stelle mir vor, das ist so ähnlich wie Wetterpanorama. Da gibt es Landschaften meiner Sehnsucht. Dabei sein ohne Anwesenheit.

Bohatsch: Genau darin sehe ich die Gefahr. Man bekommt das Gefühl, mittendrin zu sein. Aber es ist eine Täuschung. Man ist noch immer isoliert. Ich bin, wenngleich mit etwas Distanz, auf Instagram präsent. Elisabeth, du ja auch.

Erwin Bohatsch: Anzug und Hemd Louis Vuitton
Foto: Yasmina Haddad

Samsonow: Ja, wir folgen und liken uns gegenseitig. Dir folge ich auch, Brigitte. Außerdem kann ich über Instagram mit Absolventen in Kontakt bleiben, bekomme zumindest eine gewisse Idee davon, was die so treiben. Aber im Vergleich dazu nutzen die Digital Natives das schon ganz anders.

Zobernig: Ja, zeitökonomisch. Sie tun sich viel leichter – wobei das Projektionen sind. Jede Generation hat ja vermutlich eigene technologische Herausforderungen.

Bohatsch: Es entsteht eine Geschwindigkeit, bei der viel verlorengeht. Man schaut sich die Inhalte nicht mehr richtig an.

Samsonow: Ja und die Art, wie sie kommunizieren. Ganz rudimentär.

STANDARD: Kann Social-Media-Präsenz auch Erfolgsfaktor sein?

Bohatsch: Ich kenne einige, die sehr stark gepusht wurden dank Instagram.

Samsonow: Einmal hab ich auch ein Werk über Instagram verkauft.

Kowanz: Ich auch.

STANDARD: Corona hat alles verändert. Wie geht die Kunstwelt mit der Pandemie um?

Elisabeth von Samsonow: Mantel Marni Bluse Plan C
Hose Salvatore Ferragamo
Stiefel Fendi
Ohrringe OlgafacesRok
Foto: Yasmina Haddad

Zobernig: Ich denke, die Kunst ist da ähnlich heterogen wie andere Bereiche. Manche Akteure gehen erfolgreich durch die Krise, manche erleiden schlimme Schicksale. Für junge Künstlerinnen und Künstler ist diese Zeit mit den vielen Absagen und Verschiebungen sicherlich sehr frustrierend. Für mich war das Herunterfahren der Betriebsamkeit sehr wohltuend, ich bin mir aber bewusst, dass das klarerweise nicht abbildet, was Corona für andere Menschen bedeutet. Trotzdem kann man auch positive Visionen in der Entschleunigung entwickeln.

Bohatsch: Ich will die Pandemie nicht verherrlichen, aber in Hinblick auf die Messen ist es gar nicht so schlecht, dass jetzt etwas runtergefahren wird. Es war schon etwas hysterisch. Die Galerien und Sammler werden vorsichtiger. Das wäre doch eine Chance für eine Besinnung.

Kowanz: Manche Galerien haben ihren Standort vernachlässigt, weil sie auf so vielen Messen unterwegs waren. Sie sind jetzt mehr in der Bredouille als jene, die ihren Standort gut betreut und sich nicht so sehr von den Messen abhängig gemacht haben.

Samsonow: Corona ist ja kein Einzelproblem. Es gibt massive Umweltprobleme und politische Ungerechtigkeiten. Die Kunst hätte eine gesellschaftliche Stimme, die sie aber nicht genug erhebt. Künstler müssen sich überlegen, welche Verantwortung sie übernehmen, was sie machen könnten, das über Lockdown-Videos aus den Ateliers hinausgeht. Sie sind ja von Berufs wegen Spezialisten in Wahrnehmung. Das ist das Beste, das man sein kann. Und da gibt es sicher auch Ideen zur Bekämpfung der Krise.

Bohatsch: Aber es ist nicht die Aufgabe der Kunst, auf tagespolitische Themen einzugehen. Das wäre eine kulturpolitische Aufgabe. Auch wenn klar ist, dass Corona keine Tagespolitik ist. Aber was soll ich als Künstler dazu sagen?

Samsonow: Ich meine den ganzen Chor von Stimmen aus dem Kunstapparat. Auch Museen sind gefragt, ihre Funktionen zu überdenken. Warum nicht jungen Künstlern Ausstellungsflächen zur Verfügung stellen.

STANDARD: Sind Künstler eitel?

Brigitte Kowanz: Oberteil und Hose Issey Miyake
Latex-Handschuhe HW Design Sonnenbrille Gucci
Foto: Yasmina Haddad

Zobernig: Der Spiegel ist mein bester Freund. (lacht)

Kowanz: Ich bin total uneitel.

Samsonow: Ich weiß nicht, ob man von Eitelkeit sprechen kann. Vielleicht geht es eher um Haltung, die nach außen hin eitel wirkt.

Zobernig: Ich finde es super, dass es glamouröse eitle Personen in der Kunst gibt.

Bohatsch: Ich glaube, viele Künstlerinnen und Künstler sind eitel. Sie müssen ja in gewisser Weise mit ihrer Erscheinung arbeiten. Wobei es unterschiedliche Modelle gibt. Manche Künstler verweigern sich total der Öffentlichkeit.

STANDARD: Nicht so wie Marina Abramović, bei deren Ausstellungseröffnung in Wien vor zwei Jahren die Leute bis auf die Straße Schlange standen.

Samsonow: Es kann auch anstrengend oder unangenehm sein, wenn man nach dem intimen, sinnlichen Arbeiten im Atelier plötzlich so exponiert ist, bei der Vernissage die Menschen schlangenweise vor der Tür stehen und man ihnen die Werke vermitteln muss.

Bohatsch: Wenn zu meiner Eröffnung viel weniger Leute kommen als zu der von jemand anderem, bin ich aber schon eifersüchtig.

Kowanz: Ja, aber das würde ich nicht als eitel bezeichnen, das ist ja ganz normal.

Samsonow: Heutzutage braucht doch die ganze Bevölkerung ihre tägliche Dosis Likes. Das Modell Erfolg hat sich demokratisiert.

Heimo Zobernig: Sakko Dries Van Noten Hemd Hermès
Foto: Yasmina Haddad

STANDARD: Wie war es für Sie, beim Shooting für dieses Magazin eingekleidet zu werden?

Bohatsch: Ich habe mich überraschenderweise wohlgefühlt in dem Anzug, den ich normalerweise nicht tragen würde. Es ist interessant, wie Mode befreien und Türen öffnen kann.

Samsonow: Sie modifiziert Körper, inszeniert Erscheinungen. Man typisiert sich durch Mode. Aus einer individuellen Person wird ein Typ. Habt ihr das auch so erlebt beim Shooting?

Zobernig: Ich überlege mir jeden Tag beim Anziehen: Was für einen Typ will ich heute ausführen? Es geht halt oft der gleiche aus.

Kowanz: Mir ist das alles zu anstrengend und zeitintensiv. Ich bin mehr wie Steve Jobs: Immer den gleichen schwarzen Rollkragenpullover, damit man in der Früh nicht lange nachdenken muss, welcher Typ ich heute bin. Aber durch das Shooting werde ich jetzt mehr auf Mode achten.

Bohatsch: Mir geht’s auch so. Wobei ich auch in meiner Jugend schon modeinteressiert war. Ich bin mit 18 oder 19 per Autostopp nach London gefahren, um Hippie-Kleidung einzukaufen.

Samsonow: Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wollte immer mit dem Wanderzirkus mit. Das hat mich modisch geprägt. Ich habe mich lange Zeit maximal bunt gekleidet, dann aber bemerkt, dass meine Studierenden von meiner Erscheinung derart abgelenkt waren oder Leute glaubten, ich sei total verrückt, dass ich die Farben wieder zurückgefahren habe.

Zobernig: Ich habe mit elf Jahren begonnen, über meine Kleidung nachzudenken und sie auch zu gestalten. Mit zwölf habe ich meine erste Hose genäht. Aus Vorhangstoff, ganz weit ausgestellt. Dazu hatte ich zum Beispiel ein Leinenhemd mit Puffärmeln, riesigen Manschetten, aufgesticktem Lebensbaum und um den Hals weit ausgeschnitten. Meine Mutter war sehr offen, hat das unterstützt. Sie war ein Hippie-Wesen, ohne es zu wissen. (Michael Hausenblas, Michael Steingruber, RONDO Exklusiv, 11.10.2020)