Gute Ratschläge fürs Leben gefällig? Man wende sich an die ältere Dame des Vertrauens! Sie weiß, was zu tun ist.

Foto: Dajana Linda Krüger

Altweiberparfum sagt man, dann ist es zu schwer oder zu seltsam – oder Altweibergewand. Das ist dann wahlweise zu fad, zu kommod, oder zu leopardig, zu laut. Man kann es in Wahrheit sowieso nicht richtig machen, in einem System, das auf der eigenen Ausbeutung aufgebaut ist. Alle Frauen sind irgendwas "zu". Alte Frauen wissen das.

Geht man nach der klischeehaften Bebilderung in den Medien, sitzen alte Frauen auf Parkbänken. Vielleicht füttern sie Tauben – oder Enkelkinder. Oder sie sind bildschön und perfekt gepflegt, irgendwo zwischen 40 und 80, das Jahrzehnt ist nicht so genau zu erkennen.

In Wahrheit sind sie störrisch. Vor dem geistigen Auge habe ich das Bild einer weißhaarigen Alten, mit dem erhobenen Stock in der Hand drohend, auf einem Zebrastreifen, Fahrer oder Fahrerin eines Autos anbrüllend, das ihr für die Überquerung der Straße nicht die Zeit lässt, die sie braucht in einer Ampelphase, deren Grün für sie viel zu kurz ist.

Goldene Regeln

Statt sich über alte Damen zu mokieren, sollte man möglichst früh im Leben überreißen, was man von ihnen lernen kann. Denn: Wer "störrisch" ist, der bestimmt selbst. Die alte Dame richtet sich nicht danach, was man von ihr erwartet, weder innerlich noch äußerlich. Sie fordert, was ihr zusteht.

Es hat schon seinen Grund, warum Frauenfiguren wie Yetta Rosenberg, die Großmutter von "The Nanny" Fran Fine, in Stilsachen so legendär sind: Ganzkörperlich in Raubtier samt goldener Gürteltasche, mit einer Perücke, die bis zum Himmel reicht. Unauffälligkeit ist ihre Sache nicht, Dinge nicht anzusprechen erst recht nicht, die Haltung so deutlich wie die Leo-Leggins. Aus ähnlichem Holz geschnitzt sind die "Golden Girls". Betty White als Rose, Estelle Getty als Sophia, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sie sind, wie sie sind, und das sehr hemmungslos.

Was man von diesen Serienfrauen und den echten wilden Alten im eigenen Leben lernen kann – und darin sollte es Kurse geben! –, ist diese Haltung: Ich habe viel im Leben gesehen, und ich scheiß mir nichts mehr, ich weiß, was ich will und was ich brauche. Und weil man im Alter von 42 noch nicht wirklich als weise durchgeht, habe ich rumgefragt und zugehört.

Was sind die Dinge, die wir von älteren Freundinnen lernen können? Was hätten sie selbst gern viel früher gewusst, beherzigt und umgesetzt? Was hätte einer viel Gram ersparen können? Weil man auf dem Holzweg viel zu viel Energie verschenkt hat für die falschen Dinge im Leben?

Lassen Sie mich durch, ich will leben

Eine Freundin arbeitet im Krankenhaus, hat viel mit alten Menschen zu tun, meistens sind sie sehr krank, manchmal wirr, aber oft erstaunlich klar, wenn es darum geht zu äußern, was sie wollen und was nicht. Verstört von der frisch gewonnenen Selbstständigkeit sind in dieser Altersklasse dann eben nicht mehr die eigenen Eltern, weil längst tot, sondern die erwachsenen Kinder, die meinen, sie hätten ein Recht auf die Eltern, so wie man sie sich ausgedacht hat.

Plötzlich sind die Alten dann kompromisslos, wollen keinen Besuch, der sie nervt, wollen keine Rücksicht mehr nehmen, wenn sie erkrankt sind, nach einem Leben, das der Rücksicht auf andere – Männer und Kinder – gewidmet war. Die eigenen Wünsche zählen plötzlich, wie sie immer schon hätten zählen sollen.

Das Leben wird umgekrempelt, man macht Urlaub dort, wo man will, ohne den Partner, den das anödet, und vielleicht auch noch ohne Enkel, um die man sich kümmern müsste, nach all den Jahrzehnten des sich Sorgens um andere und deren Lebenspräferenzen.

Einmal hätte die Familie einer alten Frau zum Achtziger große Geburtstagsfeierlichkeiten ausrichten wollen, alle wollten sie noch einmal sehen, die Patientin war müde, und das Letzte, was sie interessiert hat während einer Chemotherapie, war die gesamte Familie auf einem Haufen, also hat meine Freundin eine "Untersuchung" erfunden, die leider, leider genau an diesem Sonntag stattfinden musste.

Die liebe Familie denkt sich womöglich bis heute, dass die arme Frau leidend etwas versäumt hat – tatsächlich lag sie sehr erleichtert und vergnügt allein im Krankenbett herum und musste nicht noch einmal sich um die Befindlichkeiten anderer kümmern, derweil es ihr mehr schlecht als recht ging.

You’ve got a friend

Wenn man also von einer "sturen Oiden" reden hört, sollte man sich sofort um ihre Expertise anstellen. Anarchie im Alter ist das Ziel, anfangen zu üben sollte man früh. Das gilt in Beziehungen, aber auch in Freundschaften. Freundschaften, wo nur einer redet und der andere zuhört, die Frage "Wie geht es dir?" vor einem Redeschwall allenfalls pro forma gestellt wird? Lassen, einfach lassen.

Beziehungen, in denen erwartet wird, dass man für den anderen alles ist? Geschenkt. Man muss Nein sagen können oder "Ich will das nicht", ganz wertfrei, ohne dass jemand gekränkt ist. Sich selbst loben und Lob erwarten? Unbedingt. Stolz sein? Ebenfalls.

Im Leben hast du nur eine bestimmte Anzahl an "fucks to give", teil sie dir genau ein. Ein Leben nach der Meinung anderer Leute zu entwerfen sind leere Meter. Muss es immer ein Kompromiss sein? Vielleicht lässt sich ein Lebensentwurf finden, der beiden passt. Zusammenziehen? Ja, kann man, muss man aber nicht. Auch anders lässt sich Nähe erleben.

Gesammelte Weisheiten

Was mir alle gesagt haben: Sei großzügig mit dir selbst. Mach dir nicht zu viel Druck. Es gibt keine falschen Entscheidungen – soll meinen, nicht die gesamte Zukunft hängt von einem einzigen Entschluss ab. Frag dich, ob die Spielregeln, nach denen man dich zwingt zu spielen, überhaupt für dich gelten, ob du je von ihnen profitieren kannst. Mach dir eigene.

Sei nicht nachtragend, es ist, wie wenn man jemanden vergiften will und das Gift selbst schluckt. Denn: Alles wird einmal verblassen. Zerstreite dich nicht mit guten Freundinnen. Es muss immer Zeit dafür sein, sich zu helfen. Später ist man einander Zeitzeugin und weiß oft deutlich mehr als die eigene Familie.

Mach, was du willst, relativiere deine eigenen Wünsche nicht. Denn: Leute sterben. Oder eine weltweite Pandemie kommt daher.

Und: Sag, was du willst, und das laut und deutlich. Die Menschen um dich herum können nicht riechen, was dich glücklich macht. Wenn du nicht weiterweißt, sei dir sicher, du bist nicht die Erste in deiner Lage. Frag andere Frauen, wie sie es gemacht haben. Es ist tatsächlich ein radikaler Akt: Ununterbrochen verschwindet die Expertise von Frauen.

Konventionen vergessen

Kultiviere deine eigene Schrulligkeit ruhig schon früh. Vergiss die Konventionen. Sie waren nie für dein eigenes Wohl gebaut. Hör verdammt noch mal auf, dich zu entschuldigen, widersprich. Hab keine Angst, es dir mit den richtigen Leuten zu versauen, es ist wichtig, es sich mit manchen Leuten zu versauen.

"Was erlaubst du dir?" Erlaub dir alles. Ein Leben lang die Arbeit von anderen zu machen und Situationen zu entschärfen, die du selbst nicht geschaffen hast, geht auf deine eigenen Kosten. Sei dir selbst die beste Freundin.

Misstraue dem strengen Geschwätz deines Über-Ichs. Misch dich ein. Nimm den Platz ein, der dir zusteht. Mach den Mund auf für andere. Such dir Schwestern im Geiste. Die Welt bietet dir keine Vorbilder? Such dir welche. Leb im Jetzt, es klingt so schlicht und ist doch so wichtig.

Es ist nie zu spät, etwas anzugehen. Das Davor ist wie ein altes Spielzeug, aus dem man rausgewachsen ist, du musst es nicht ständig bewerten, eigene Fehler in der Vergangenheit suchen. Denn das ist ebenfalls eine wichtige Fähigkeit: Es sein lassen.

Zweifle nicht ununterbrochen an dir. Alle kochen nur mit Wasser. Steh dir nicht selbst im Weg, das werden noch genug Leute tun. Mach deine schlechte PR nicht selbst. Trau dir mehr zu. Hab keine Angst vor Absagen. Es ist völlig in Ordnung und normal, dass Dinge auch einmalschiefgehen.

Finde Zeit, dich um dich selbst zu kümmern, das muss Priorität haben, auch in anstrengenden Lebensphasen. Packle mit anderen Frauen, schmiede Allianzen. Und: Der Tag wird kommen, an dem deine Feinde am Fluss an dir vorbeischwimmen, ganz ohne dein Zutun. (Julia Pühringer, 31.8.2021)

Der Text erschien ursprünglich im RONDO Exklusiv, 2020