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Über Privates redet Schauspielerin Isabelle Huppert in Interviews nicht gern. Gesprächiger wird sie, wenn es um ihren Beruf geht. Theater sei eine größere Herausforderung als Film, von Regisseuren wolle sie wissen, wo sie stehen soll, mehr nicht.

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Isabelle Huppert ist klein, beinahe zierlich. Man will der 67-jährigen Französin gar nicht die harten Rollen zugestehen, die sie berühmt gemacht und ihr viele Preise eingebracht haben. Die sadomasochistische Lehrerin in Die Klavierspielerin, die taffe Managerin in Elle, die lebenshungrige Madame Bovary.

In Amerika nennt man sie "die französische Meryl Streep", beim Gespräch in Berlin zuckt sie nur mit den Achseln. Was soll sie dazu sagen? Sie ist selbstbewusst, ein wenig schmallippig und antwortet nur mit dem nötigsten Vokabular. Private Fragen sind tabu, Selfies wurden im Vorfeld per Vertrag untersagt, sie lächelt selten. Nur bei einem Thema taut sie richtig auf: wenn es um ihre Filme geht.

STANDARD: Madame Huppert, Sie gehören zu den wichtigsten Schauspielerinnen Frankreichs. Auf Ihre Rollen bereiten Sie sich wochenlang vor. Für "Die Klavierspielerin" haben Sie gelernt, auf dem Instrument zu spielen, für Ihren neuen Film "Eine Frau mit berauschenden Talenten" mussten Sie Arabisch pauken.

Isabelle Huppert: Na ja, ich habe ein paar Zeilen auswendig gelernt – und zwar jene, die im Film auftauchen.

STANDARD: Sie spielen eine Dolmetscherin, die plötzlich Drogendealerin wird. Drei Monate haben Sie dafür diese Dialoge auswendig gelernt.

Huppert: Ich habe mir auf meinem Smartphone die Sätze vorsprechen lassen. Einmal in Normalgeschwindigkeit, einmal Silbe für Silbe, um den Rhythmus besser zu verstehen. Dazu hatte ich einen Coach, mit dem ich die Aussprache üben konnte. Ich wollte nicht, dass wir die Tonspur später im Studio neu einspielen müssen.

STANDARD: Wie viel bleibt von solchen Fähigkeiten nach Abschluss der Dreharbeiten hängen?

Huppert: Alles verschwindet. Ich muss gestehen, die meisten Schauspieler sind sehr untreu ihren Figuren gegenüber. Sie verlassen sie in dem Moment, in dem die letzte Klappe gefallen ist.

STANDARD: Der Regisseur Jean-Paul Salomé erzählte, dass man Ihnen am Set gezeigt habe, wie Sie einen Joint zu rollen haben.

Huppert: Ich glaube, das konnte ich schon. Aber vielleicht hatte ich es vergessen.

STANDARD: Eine größere Herausforderung war für Sie, mit einem Hund an Ihrer Seite zu spielen. Sie geben zu, diese Tiere nicht gerade zu mögen.

Huppert: Es war ein großer Deutscher Schäferhund. Ich hatte eine gute Trainerin, sie kam zu mir nach Hause und erklärte mir, wie ich ruhig mit dem Hund umgehen soll. Aber er ist bei Gott nicht mein Freund geworden.

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Für Isabelle Huppert ...
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STANDARD: Jean-Paul Salomé schlug Ihnen aus Spaß vor, den Hund für einen Monat zu sich zu nehmen, um besser für die Rolle zu üben.

Huppert: Auf gar keinen Fall, habe ich geantwortet. Außerdem haben wir eine Katze zu Hause. Sie hätte so einen Rivalen nicht akzeptiert – auch wenn es meiner Katze gutgetan hätte. Ich mag sie nicht so gern, sie ist ein ziemlich ungezogenes Biest – aber das ist eine andere Geschichte.

STANDARD: Sie haben gesagt, Theater zu spielen fühlt sich an, als würde man einen steilen Berg hinaufklettern. Einen Film zu drehen, das sei dagegen ein Spaziergang im Park.

Huppert: Nicht im Park. Einfach ein guter Spaziergang – auf dem Land.

STANDARD: Bei dem neuen Film, einer Komödie, glaubt man das gern. Aber als Sie 2001 Die Klavierspielerin drehten, ließ Regisseur Michael Haneke Sie die Szene mehrmals wiederholen, in der Sie sich mit einem Messer selbst verletzten ...

Huppert: ... wir haben sie 52-mal gedreht, bis fünf Uhr morgens, ja ...

STANDARD: ... und das nennen Sie einen Ausflug aufs Land?

Huppert: Natürlich. Theater ist doch viel schwieriger, was verstehen Sie daran nicht? Eine viel größere Herausforderung, körperlich und emotional. Sie müssen jeden Abend für mehrere Stunden auf die Bühne gehen und fragen sich kurz davor: Mein Gott, warum begebe ich mich in diese Situation, wenn ich doch zu Hause im Bett Fernsehen gucken könnte? Kurz bevor der Vorhang aufgeht, gibt es diesen innerlichen Kampf, den ich gewinnen muss, diesen einen Schritt, den ich gehen muss. Und das passiert mir auf einem Filmset nie.

STANDARD: Sie schwärmen geradezu von diesen schwierigen Rollen. "Man schreit, man leidet, es ist so, als würde man im Sport an seine Grenzen gehen." Ist es eine Art emotionale Reinigung für Sie?

Huppert: Oui, auf eine gewisse Art kann das passieren. Viele Menschen begehen jedoch einen Fehler, wenn sie an meine Arbeit denken. Ein Schauspieler zu sein ist ein Job, ein Zuschauer zu sein ein anderer. Ich kenne beide Seiten, ich verstehe die Unterschiede. Wenn ich eine Rolle als Schauspielerin angehe, beschäftige ich mich mit praktischen Details, mir geht es um Technik, die richtige Aussprache, das richtige Luftholen, no big deal. Aber als Zuschauer fühlen Sie mit der Figur viel stärker mit. Wenn ich spiele, leide ich nicht. Ich weine auf der Bühne, vor der Kamera, es ist eine Art von Exorzismus, wenn Sie so möchten, aber ich beklage nie, was der Figur passiert. Ein Zuschauer tut das.

STANDARD: Der britische Schauspieler Michael Gambon hat einmal auf die Frage, was er in seinem Beruf denn so tue, geantwortet: abends herumbrüllen.

Huppert: Französische Schauspieler schreien nicht, sie flüstern.

STANDARD: Hat sich Ihre Herangehensweise an den Beruf mit den Jahren verändert?

Huppert: Nein, auf keinen Fall. Ich bin genauso wie zu Beginn meiner Karriere. Mein Körper hat sich über die Jahre verändert, meine Stimme auch, aber ich habe dieselbe Herangehensweise: so echt wie möglich zu sein. Ich will die Komplexität von weiblichen Figuren zeigen, Raum für Mehrdeutigkeiten zulassen. Das heißt nicht, dass Sie nicht brüllen können in einer Rolle wie Michael Gambon.

STANDARD: Aber Sie müssen doch zugeben, heutzutage mehr Erfahrung als vor 40 Jahren zu haben.

Huppert: Wie kommen Sie darauf?

STANDARD: Sie haben mit großen Regisseuren wie Godard, Chabrol oder Haneke gearbeitet. Das muss sich doch auf Ihre Arbeit ausgewirkt haben.

Huppert: So denke ich nicht. Ich fühle mich so selbstbewusst und furchtlos wie in meinen Zwanzigern. Darin habe ich mich um keinen Deut verändert.

STANDARD: Für Sie ist jede Arbeit wie die weiße Leinwand für einen Maler, die Sie unvoreingenommen betrachten?

Huppert: Absolut richtig. Das Bild gefällt mir. Was über die Jahre gleichgeblieben ist: Ich habe nach wie vor dasselbe Vertrauen in die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Das gestattet mir, frei zu sein. Es klingt nicht nach viel, aber das macht einen Großteil meiner Arbeit aus. Vertrauen ist das Fundament, auf dem ich mich bewege. Gibt es das nicht, entwickle ich keine Flügel, um mit meiner Rolle aufzusteigen – um das mal in einem etwas kitschigen Bild zu formulieren.

STANDARD: Lernen Sie etwas über sich selbst, wenn Sie spielen?

Huppert: Nein. Stellen Sie sich vor, auf meinem Teller liegen ein Apfel und eine Himbeere. Ich greife zum Apfel, weil ich weiß, dass er mir besser schmeckt. Genauso ist es mit der Arbeit. Ich mache sie – und sie bestätigt nur, was ich bereits weiß: Gefällt mir.

STANDARD: François Ozon hat mit Ihnen den Musicalfilm "Acht Frauen" gedreht. Er sagt über Sie: "Isabelle Huppert will nichts wissen, außer, wo sie stehen soll. Sie ist die Regisseurin ihrer selbst."

Huppert: Er hat recht. Und ich mag ihn, weil er das versteht. Alle guten Schauspieler werden Ihnen dasselbe sagen. Stell dich auf den richtigen Platz, darauf kommt es an, nicht mehr und nicht weniger, that’s it.

STANDARD: Was Ozon damit auch meint: Sie reden ungern mit den Filmemachern darüber, wie die Charaktere angelegt sind.

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... ist Theater spielen eine viel größere Herausforderung, als einen Film zu drehen.
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Huppert: Oh Gott, das mag ich wirklich nicht. Was soll ich denn sagen? Es steht doch alles im Skript. Lassen Sie mich meine Arbeit machen. Es gibt nichts zu erklären. Kino ist eine Sprache, entweder Sie verstehen diese oder nicht. Manche Regisseure reden mehr als andere. Wenn die Anweisungen subtil und angemessen sind, dann, pff, ist es keine große Last. Nur gute Regisseure können das. Und ich habe nur mit guten gearbeitet.

STANDARD: Michael Haneke ließ Sie machen, was Sie wollten. Nur von einer Sache war er "besessen", wie Sie einmal sagten: wie Ihre Haare saßen.

Huppert: Ja, ich erinnere mich. Er wollte diese streng zurückgekämmte Frisur, hinten diesen Dutt. Für ihn waren diese technischen Details wichtig, damit am Ende das richtige Bild herauskommt. Er ist eben ein Visionär. Nie habe ich mich dabei ausgenutzt gefühlt.

STANDARD: Nicht jede Erfahrung war so einfach, wie Sie das schildern. Als junge Schauspielerin haben Sie 1975 mit dem berühmten Regisseur Otto Preminger zusammengearbeitet, der gern Leute anschrie ...

Huppert: ... er brüllte zu manchen Kollegen: Wenn es dir nicht gefällt, geh doch zurück nach Paris! Zu mir hat er das nie gesagt.

STANDARD: Das war für den Thriller Rosebud. An Ihrer Seite war Kim Cattrall, die später mit "Sex and the City" berühmt wurde. Sie erklärte einmal, wie sehr sie zu Ihnen aufgeschaut habe, weil Sie stets so ruhig blieben.

Huppert: Mich hat Preminger eher zum Lachen gebracht. Ich habe ihn in solchen Situationen nicht ernst genommen, obwohl ich so jung war.

STANDARD: Was war Ihre Strategie, cool zu bleiben?

Huppert: Ich habe mich als Spion gesehen, habe alles um mich herum beobachtet. Es war eine privilegierte Position, ich hatte keine Hauptrolle. Kim und ich wurden durch den Film gute Freundinnen. Wir teilen diese Odyssee Rosebud miteinander, wir nennen sie unsere Legende – womit ich nicht den dabei entstandenen Film meine. Der ist wirklich nicht besonders geraten. Wenn Sie so einen Film drehen, müssen Sie ein Stück weit die Rahmenbedingungen akzeptieren. Das Gebrüll am Set, die Stimmungsschwankungen. Sie merken meist, dass es nichts Persönliches ist.

Ihr neuer Film "Eine Frau mit berauschenden Talenten" ist eine Komödie.
Neue Visionen Filmverleih

STANDARD: 1980 drehten Sie unter Maurice Pialat den Liebesfilm Loulou. Er sagte zu Ihnen: "Du bist eine schlechte Schauspielerin." Würde sich das heute jemand trauen?

Huppert: Na ja, das müssen Sie im Kontext sehen. Er provozierte seine Schauspieler sehr gern. Mit Gérard Depardieu hat er sich richtig angelegt, das gehörte zu seinem Arbeitsethos. Ich wusste, dass es nicht stimmte. Deshalb habe ich mich nicht angegriffen gefühlt.

STANDARD: In der Branche sind Sie für Ihre Arbeitswut berüchtigt. Ist das für Sie die größte Aufregung: ein neues Projekt anzufangen?

Huppert: Es ist jedenfalls sehr beruhigend zu wissen, dass es weitergeht. Bei der Schauspielerei geht es doch ums Träumen. Dass ich weiter träumen kann, in ein paar Wochen woanders bin, um dem nachzugehen, das erfüllt mich. In den Wochen vor einem Dreh beginne ich unbewusst, von meiner Rolle zu träumen – sehr verschwommen – und der Figur langsam eine Form zu geben. Bleiben wir bei dem Bild des Malers. Ich trete vor die Leinwand, beginne mit den ersten Strichen, vagen Formen, Schritt für Schritt fülle ich diese mit Farben auf, die Linien werden genauer, und das Bild verfestigt sich. Nicht träumen zu können von der Zukunft, das ist der größte Schmerz.

STANDARD: Dann müssen die letzten Monate während der Corona-Krise schlimm gewesen sein. In Paris durften die Menschen kaum auf die Straße gehen.

Huppert: Es war natürlich furchtbar für Menschen, die erkrankten oder in engen Wohnungen mit Kindern zusammenleben mussten. Meine drei Kinder sind erwachsen, ich musste mir keine Gedanken über Homeschooling machen. Plötzlich hat man Zeit für sich selbst, ich habe bis vier Uhr nachmittags geschlafen, was ich sonst nie tue. Als der Lockdown endete, besaß das Wort Meeting plötzlich einen komischen Klang. Da schwang etwas Unwirkliches mit. Wie eine Last, der man sich ungern stellen wollte. So viel freie Zeit hatte ich seit Jahren nicht.

STANDARD: Wie haben Sie diese genutzt?

Huppert: Ich bin ein bisschen spazieren gegangen in der Nähe meines Hauses, habe viel gelesen und Filme geguckt.

STANDARD: Endlich hat sich das Streaming-Abo bezahlt gemacht.

Huppert: Ich habe kein Netflix. Aber ein paar gute Sachen habe ich gesehen, zum Beispiel eine tolle israelische Thriller-Serie, False Flags, und I Know This Much is True mit Mark Ruffalo, wo er die Doppelrolle von sehr unterschiedlichen Zwillingen spielt. Wunderbar!

STANDARD: Beinahe hätten Sie die Karriere als Schauspielerin gar nicht eingeschlagen. Ihre Mutter hat Sie als Teenagerin gezwungen, eine Sekretärinnenschule zu besuchen.

Huppert: Das war 1968, während der Zeit der Studentenproteste, unsere Schule war geschlossen. Und meine Mutter schickte mich für einen Monat in den Kurs, damit ich lerne, wie man richtig auf Schreibmaschinen tippt. Ich glaube, sie dachte, ich brauche vielleicht einen richtigen Job für alle Fälle.

STANDARD: Und haben Sie auf der Schule was fürs Leben gelernt?

Huppert: Schauen Sie, wenn ich auf dem Smartphone Nachrichten schreibe, benutze ich immer noch nicht meine Daumen. Ich weiß einfach nicht, wie das geht. Ich tippe wie auf einer Olivetti. Vielleicht ist das eine Nachwirkung dieses Kurses. (Ulf Lippitz, RONDO Exklusiv, 5.10.2020)