Edita Rosenrot und Cora Zimbrich betreiben bis Weihnachten den "Wiener Design Pop-Up-Shop".

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Erst Libro, jetzt Kunst: Stella und Emanuel Rudas starten am Donnerstag eine temporäre Ausstellung in der Praterstraße.

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"Die Boys und Marie" haben im Sommer ein Lokal geschaukelt. Nun drücken sie wieder die Schulbank.

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Manuela Haromy startete vor einem Jahr Pepper & Ginny, wo vorher ein Lager war.

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Dank der Grätzlhotels kann in früheren Geschäftslokalen sogar übernachtet werden.

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Mit dem Beginn des Corona-Lockdowns sperrte die Libro-Filiale in der Praterstraße 45 im zweiten Wiener Gemeindebezirk zu. Stella und Emanuel Rudas wohnen mit Blick auf das Geschäft, das erst noch mit Rabattaktionen die letzte Ware verschleudert hatte, dann ausgeräumt wurde und am Ende leer stand. Bis dem Ehepaar – beide arbeiten im Kunst- und Kulturbereich – die Idee einer Pop-up-Galerie kam. "Ich habe mir immer schon gedacht, dass das tolle Räume sind", erzählt Stella Rudas.

Die kunstaffinen Hausbesitzer waren schnell überzeugt, das leere Geschäft temporär zu vermieten. In die Elektrik musste noch investiert werden, der Rest wurde bewusst so belassen, wie Libro es eben verlassen hatte. Ab morgen, Donnerstag, ist hier ein Monat lang die Ausstellung Opfer ihrer Zeit zu sehen – passend zur Corona-Krise mit ihren täglichen Opferzahlen. "Und die Libro-Filiale war ja am Ende auch Opfer einer profitorientierten Wirtschaft", sagt Stella Rudas.

Geschäftesterben durch Corona

So wie der Libro-Filiale in der Praterstraße schon vor der Krise dürfte es demnächst vielen weiteren Unternehmen ergehen. "Die meisten finanzieren sich und die Flächen derzeit aus Rücklagen. Das funktioniert nicht ewig", sagt Mirjam Mieschendahl von "Im Grätzl", einer Initiative zur Vernetzung kleiner Unternehmen. Mit einem Anstieg der Leerstände ist in den nächsten Monaten also zu rechnen. Problematisch sind dabei aber nicht nur die paar immer staubiger werdenden Quadratmeter im Erdgeschoß. Leerstand wirkt sich auf das gesamte Grätzel aus, sagt Mieschendahl. Für potenzielle Geschäftsmieter ist die Gegend so nicht mehr attraktiv. "Und Anrainer sagen dann: Unser Grätzel ist tot." Auch weil soziale Knotenpunkte wegfallen.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wird ein Geschäft wiederbelebt, bringt das frischen Wind. "Vom Eissalon gegenüber ist sofort jemand gekommen und hat uns willkommen geheißen", erzählt Stella Rudas. Passanten schauten immer wieder bei den Schaufenstern in das Geschäft herein, in dem vor einigen Monaten noch Schultaschen verkauft wurden und heute ein Nitsch-Gemälde hängt.

Wien statt Kopenhagen

Zu Kreativität waren auch einige Schüler von Tourismusfachschulen in Wien gezwungen. Ihre Berufspraktika sollten sie bis nach Kopenhagen oder Kuba führen. Doch dann kam Corona – und sie saßen in Wien fest. So beschlossen sie, ihre Erfahrungen in einem eigenen Pop-up-Lokal zu sammeln. "Die Boys und Marie" war geboren. Mithilfe von Kommunikationsprofi Gerald Wahl, Vater eines der "Boys", wurde ein Standort gefunden: In einem früheren Priesterwohnheim in der Ungargasse in Wien-Landstraße eröffneten sie im August ihr temporäres Lokal. An diesem Standort wird bis 2022 ein Magdas-Hotel der Caritas entstehen. Bis der Umbau startet, wird das Gebäude von Zwischennutzern bespielt.

Die Vorhänge der Schaufenster im Erdgeschoß waren in den vergangenen Jahren geschlossen, erzählt Wahl: "Wir haben sie geöffnet." Ansonsten wurde viel improvisiert: Weil der Gasanschluss nicht rechtzeitig reaktiviert war, wurde anfangs auf Campingplatten gekocht. "Wir haben gesagt: Notfalls sperren wir in einer Woche wieder zu", erzählt Wahl. So weit kam es nicht: Bis Ende September war das Lokal jeden Abend voll. Nun drücken "Die Boys und Marie" die Schulbank, die Küche hat geschlossen. Zumindest vorübergehend.

Experiment Pop-up-Shop

Auch die Wiener Designerinnen Edita Rosenrot und Cora Zimbrich machte die Corona-Krise erfinderisch: Designmärkte sind heuer rar, also musste ein neuer Absatzmarkt her. Ein Geschäft in der Westbahnstraße 7 stand leer, hier betreiben die beiden nun bis Weihnachten den "Wiener Design Pop-up-Shop", in dem sie nicht nur ihre eigenen Stücke, sondern auch Produkte von anderen Kreativen anbieten. Die Idee kam den Designerinnen im Juli, im August wurde der Mietvertrag bis Ende des Jahres unterzeichnet. "Man muss Glück haben", betonen die beiden. Ihr Geschäft war erst vor einiger Zeit, nach Jahren des Leerstands, saniert worden. Sogar die Budel stand schon herinnen. Temporäre Konzepte scheitern oft daran, dass Vermieter sich nicht darauf einlassen wollen und nicht auf die Mieteinnahmen angewiesen sind.

Ihr Pop-up sei die ideale Gelegenheit, sich anzuschauen, wie Menschen im Bobo-Bezirk Neubau ticken, sagt Cora Zimbrich, die als "Frl. Else" in Wien-Währing Vintagemode für kurvige Frauen entwirft und verkauft. Im Siebten muss sie auch kleinere Größen anbieten, so wollen es die Kundinnen: "Ich hab gestern zwei Hosen in Größe 36 genäht. Als ich die gesehen habe, hab ich gedacht, mich haut’s um", sagt Zimbrich und lacht. Was kommt nach dem Pop-up? "Wir sind schon am Überlegen", sagen die Designerinnen geheimnisvoll.

Veganer Delikatessladen

Dass es auch dauerhafte Lösungen für einst herausfordernde Standorte gibt, beweist Manuela Haromy: Sie hat sich in der Ballgasse im ersten Bezirk mit "Pepper & Ginny" vor einem Jahr einen Traum erfüllt und einen veganen Delikatessladen eröffnet. Wo sich zuvor jahrelang ein heruntergekommenes Lager befand, verkauft sie heute veganen Käse. Noch ein Erfolgsbeispiel: Die Grätzlhotels haben 26 stylische Hotelsuiten in früheren Geschäftslokalen geschaffen. "Die Corona-Krise haben wir bisher gut überstanden", bilanziert Geschäftsführerin Theresia Kohlmayr. Das führt sie auch auf den kontaktlosen Check-in auf der Straße zurück. Weitere Standorte sind geplant.

Viele gute Ideen für verstaubte Flächen – ausgerechnet in Zeiten der Krise. "Wir sehen auf unserer Plattform, dass die Experimentierfreudigkeit zunimmt", sagt Mirjam Mieschendahl von Im Grätzl. "Es geht nicht mehr darum, das perfekte Konzept für die nächsten Jahre zu entwickeln." Stattdessen gilt: ausprobieren. So wie Stella und Emanuel Rudas, die Ende Oktober die Kunst von den Wänden der früheren Libro-Filiale abnehmen werden. Aber sie sind auf den Geschmack gekommen und wollen mit Ausstellungen in leeren Geschäftslokalen weitermachen.

Auswahl gibt es ja genug. (Franziska Zoidl, 30.9.2020)