Mehr als 70 Tonnen Antibiotika werden in Österreich pro Jahr verschrieben.

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Als eine Probe jenes originalen Schimmelpilzes, der Alexander Fleming 1928 zufällig zur Entdeckung des Penicillins verholfen hatte, das Innere eines Tiefkühlschranks erblickte, ging der Zweite Weltkrieg gerade zu Ende. Nun, 75 Jahre später, haben ihn Forschende wieder aufgetaut und sein Genom sequenziert.

Sie wollen den ursprünglichen Pencillium-Stamm mit zwei neueren vergleichen, die in der industriellen Antibiotikaherstellung genützt werden. Das Team am Imperial College London hofft, damit Erkenntnisse über eines der größten gesundheitlichen Probleme zu erlangen: Antibiotikaresistenz.

Heute sind verschiedenste Antibiotika bekannt, die gegen mehr als 80 Bakterienarten wirksam sind. Neben synthetischen Substanzen werden viele Wirkstoffe weiterhin aus Pilzen und Bakterien gewonnen, die sich damit selbst gegen Keime schützen: Jedes Bakterium ist aufs Überleben ausgerichtet. Verändert sich seine Umwelt, muss es sich anpassen. Zufällig erworbene Mutationen, die den Wirkstoff zerstören oder erst gar nicht in die Zelle lassen, können plötzlich einen Überlebensvorteil bieten.

Passt sich das Bakterium als Abwehr gegen antibiotische Stoffe an, entstehen sogenannte Resistenzen. Ein zunehmendes Problem, das sich zu einer Gesundheitskrise auswachsen könnte, wie die WHO und viele Experten regelmäßig warnen. Schon heute führen antibiotikaresistente "Superbugs" EU-weit schätzungsweise zu mehr als 33.000 Todesfällen pro Jahr. Weltweit könnte die Zahl 2050 auf zehn Millionen ansteigen.

Multiresistenzen

Resistenzen gibt es, seitdem es Antibiotika gibt, so Elisabeth Presterl, Leiterin der Universitätsklinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle an der Med-Uni Wien. Schon Fleming warnte in seiner Nobelpreis-Rede vor einem Wettrennen: Sobald man ein Antibiotikum einsetze, werde immer eine Resistenzbildung induziert.

Bakterien, die eine Behandlung überleben, vererben ihre Widerstandsfähigkeit und erweitern sie. So werden sie gegen viele Antibiotikaklassen unempfindlich, also multiresistent. Gegen Viren helfen Antibiotika übrigens nicht: Im Gegensatz zu Bakterien dringen Viren in menschliche Zellen ein, um sich fortpflanzen zu können. Antibiotika haben da keine Handhabe.

2018 wurden in Österreich laut Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) mehr als 70 Tonnen Antibiotika für die Humanmedizin verbraucht, dazu kommen rund 50 Tonnen für die Veterinärmedizin, werden also in der Tierhaltung eingesetzt. Weltweit ist der Verbrauch in den letzten 20 Jahren um 65 Prozent gestiegen, so eine Studie im Fachjournal "PNAS".

Nötig wäre das nicht: Jedes dritte Antibiotikum wird laut einem Report der deutschen Krankenkasse fehlerhaft verschrieben. In einer Umfrage der EU konnten zwar 97 Prozent der befragten Ärzte korrekt angeben, dass Antibiotika nicht gegen virale Erkältungen und Grippe wirken; ein Viertel wusste jedoch nicht, dass eine Antibiotikabehandlung das Risiko für eine Infektion mit einem resistenten Erreger erhöht. Dazu kommt, dass ein Schnelltest, der zeigt, ob eine Infektion viral oder bakteriell ist, oft mehr kostet als das Antibiotikum selbst.

Hoher Antibiotikaverbrauch

Für einen hohen Antibiotikaverbrauch sorgt auch die Massentierhaltung. Bei einer engen Belegung breiten sich die Keime schneller aus. Eine 2019 von der Ages im Auftrag von Greenpeace durchgeführte Untersuchung zeigte, dass jede dritte Fleischprobe mit antibiotikaresistenten Keimen belastet war.

Essen wir solches Fleisch, können die Keime in den menschlichen Organismus aufgenommen werden. Immerhin: 2018 beschloss das EU-Parlament, dass ab 2021 Tiere keine Reserveantibiotika (also Medikamente gegen Keime, die gegen gängige Antibiotika resistent sind) mehr bekommen und nicht mehr prophylaktisch behandelt werden sollen.

Problematisch ist laut WHO, dass während der letzten 25 Jahre kaum neue Antibiotikaklassen gegen die Problemkeime entwickelt wurden. 2017 wurden acht neue Antibiotika zugelassen – meist leicht abgeänderte Versionen bereits existierender Stoffe.

Recherchen des NDR zufolge arbeiten nur noch vier der 25 größten Pharmaunternehmen an der Entwicklung neuer Antibiotika. Da viele Antibiotika lange gut wirksam waren und nach wie vor sind, sei die Entwicklung zuletzt nur langsam vorangeschritten, sagt Sylvia Nanz, Medizinische Direktorin bei Pfizer Österreich, wo weiterhin daran geforscht wird.

Ein neues Mittel zu entwickeln ist schwierig: Es muss den Wirkungsort erreichen, lange genug dortbleiben, um den Erreger abzutöten, und gleichzeitig gut verträglich sein. Um die Bakterien auszutricksen und den Wirkstoff in die Zelle zu bringen, versuche man, ihre Schutzmechanismen zu umgehen, sagt Nanz.

Bei sogenannten Gram-negativen Bakterien besteht dieser Mechanismus aus einer Membran rund um die Zelle, die reguliert, welche Stoffe reinkommen, welche blockiert oder sogar wieder herausgepumpt werden. Doch Infektionen mit multiresistenten Keimen treten nur vereinzelt auf. Die geringe Anzahl an Studienteilnehmern erschwert die Zulassung.

Teure Reserveantibiotika

Dazu kommt, dass die meisten neuen Stoffe Reserveantibiotika sind. Um ihre Wirkung aufrechtzuerhalten, muss ihr Einsatz minimal sein. Doch ihre Entwicklung ist gleich teuer, aus Industriesicht ein nicht gerade lukratives Feld.

Statt selbst zu forschen, investieren Pharmafirmen deshalb vermehrt in internationale Initiativen. 650 Millionen Euro fließen etwa in das von der EU-Kommission initiierte Projekt "New Drugs 4 Bad Bugs". Neben Wirkmechanismen und Molekülen soll auch nach neuen Geschäftsmodellen gesucht werden.

Doch es gibt auch alternative Ansätze: Denn überall, wo es Bakterien gibt, hausen auch Wesen, die es auf sie abgesehen haben. Räuberische Bakterien zum Beispiel, wie Vertreter der Gruppe Bdellovibrio. Und auch spezielle Viren, sogenannte Bakteriophagen, schleusen ihr Erbgut in ein Bakterium ein, das daraufhin weitere Phagen herstellt – bis es platzt (siehe auch "Wissen" unten). Ein uraltes Feld, das es sogar schon vor der Antibiotikatherapie gab, so Friederike Hilbert, Professorin im Bereich Molekularbiologie an der VetMed-Uni in Wien, und in Vergessenheit geraten war.

Räuberische Bakterien haben zuletzt in Tierstudien gegen Bakterien wie Salmonellaund Yersinia pestis (Erreger der Lungen- und Beulenpest) Erfolg gezeigt. Beide könnten bei schwer behandelbaren Infektionen bald Antibiotika ergänzen, doch vermutlich nie vollständig ersetzen. Denn Bakterien können auch gegen Phagen Resistenzen entwickeln, und räuberische Bakterien können von körpereigenen Immunzellen aus dem Körper geschwemmt werden.

Gegen Krankenhauskeime

Vielleicht müsste man deshalb viel früher ansetzen: "Wenn ich überhaupt keine Infektion bekomme, habe ich das Problem erst gar nicht", sagt Infektiologin Elisabeth Presterl. Impfungen können eine solche Lösung sein. Doch auch Forschung in diesem Bereich ist nicht sehr lukrativ.

Presterls Fokus liegt auf Hygiene, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie in den Fokus gerückt ist. Besonders wichtig sei das für Patienten in Krankenhäusern, für die die Gefahr, mit sogenannten Krankenhauskeimen infiziert zu werden, deutlich höher ist.

"Wir müssen die Übertragung auf weitere Patienten verhindern und jene mit hohem Risiko für multiresistente Erreger identifizieren", sagt Presterl. Meist sind es chronisch kranke Patienten, die lange im Krankenhaus sind und viele Antibiotika verschrieben bekommen, oder Menschen aus Ländern des Mittelmeerraums oder Südasien, in denen resistente Keime häufiger sind.

Fest steht: Hält man Grundregeln wie Hygiene und richtige Antibiotikaverschreibung nicht ein, werden auch neue, innovative Waffen den Kampf kaum gewinnen können. (Katharina Kropshofer, 3. 10. 2020)