Ohne Dach über dem Kopf: Dutzende in Athen gestrandete Flüchtlinge versuchen auf dem Viktoria-Platz der griechischen Hauptstadt über die Runden zu kommen.

Foto: Adelheid Wölfl

Viele Gestrandete wollen weiter nach Deutschland oder auch zurück nach Lesbos.

Foto: Adelheid Wölfl

Die beiden Frauen haben heute Lippenstift aufgetragen und lehnen am Boden sitzend an einem Parkzaun auf dem Viktoria-Platz in Athen. Maleka A. und Sebera M., beide Mitte zwanzig, versuchen so zu tun, als wäre alles normal, als würden sie jederzeit aufstehen und in ihre Wohnung gehen können. Doch die beiden Afghaninnen haben kein Zuhause. Der Pappendeckel unter ihnen ist ihr Bett, die Handtasche darauf versteckt ihre Habseligkeiten.

Sie sind anerkannten Flüchtlinge, aber sie schämen sich für die Lage, in die sie geraten sind. Weil die Behörden wegen der Covid-19-Krise keine neuen Dokumente ausstellen und die alten ausgelaufen sind, können sie derzeit keinen Antrag auf Sozialleistungen für Flüchtlinge stellen.

Auf dem Viktoria-Platz sind dutzende solcher Menschen zu finden. Viele junge Männer, alles Afghanen, warten auf ihre Personalausweise. Sie sind ebenfalls obdachlos und schlafen hier. "Das ist Klein-Kabul hier", sagt Ahmed S., der zwischen den spielenden Kindern, den hilfesuchenden Müttern und den diskutierenden jungen Männern versucht, die Anliegen der Menschen hier zu ordnen. In den vergangenen Monaten seien immer mehr Leute hierhergekommen, erzählt er. "Und es werden jeden Tag mehr, die keine staatliche Unterstützung mehr erhalten", erzählt der 41-Jährige.

Ohne Ansprüche

Denn die griechischen Behörden haben im März ein neues Gesetz erlassen, wonach Flüchtlinge in Griechenland nur noch 30 Tage nach ihrer Anerkennung versorgt werden – und nicht wie bis dahin sechs Monate. Nach diesen 30 Tagen haben sie keinen Anspruch mehr auf Unterkunft oder Geld für Essen, sondern sind auf sich allein gestellt.

Weil Griechenland wegen viel schnellerer Verfahren in den vergangenen Monaten tausende Asylwerber anerkannt hat und diese aufs Festland gebracht wurden, wo sie keine Unterstützung mehr erhalten, hausen viele nun obdachlos auf den Straßen der Großstädte und sind auf Almosen angewiesen. Ab Juni wurden bereits 9.000 anerkannte Flüchtlinge aus dem Aufnahmesystem entlassen, in den kommenden Monaten werden es zehntausende mehr sein.

Bedrohung für Gesundheit

Dieses neue Elend lässt sich medial nicht so gut verkaufen wie ein Brand in einem Lager, das es nun gar nicht mehr gibt. Auf dem Viktoria-Platz gibt es auch nicht annähernd so viele Hilfsorganisationen wie auf Lesbos. Doch spätestens im Winter, wenn es kalt wird, wird die Gesundheit von tausenden Menschen massiv bedroht sein. Durch den extremen Wirtschaftseinbruch gibt es auch keine Jobs für Flüchtlinge.

Jene, die 2018 und 2019 noch im Gastgewerbe unterkamen, haben durch die Verluste im Tourismus heuer keine Chance. Auch deshalb ist der Tenor unter den Geflüchteten auf dem Viktoria-Platz einhellig. "Wir gehen nach Deutschland", sagen etwa die fünf jungen Männer, die unter einem der Bäume auf dem Boden hocken. "In Griechenland gibt es keine Jobs. Hier können wir nicht überleben."

Weg nach Deutschland

Das Ziel dieser Menschen ist es, einen Flüchtlingspass zu bekommen, mit dem sie auch nach Deutschland reisen können, obwohl sie dort weder länger als 90 Tage bleiben noch einen Job suchen dürfen. Der Stempel, der sie als Flüchtlinge ausweist, nutzt ihnen nichts.

Die Politik hat auf die sichtbare Notlage noch nicht reagiert. Vergangene Woche wurde der Viktoria-Platz von der Polizei geräumt. Doch die Flüchtlinge kamen wieder. Der benachbarte Park Pedion Areos ist über Nacht gesperrt, am Tag patrouillieren hier Leute der Sicherheitsfirma Swedish Security mit Autos.

Zurück auf die Insel

Die Situation für obdachlose Flüchtlinge ist in Athen mittlerweile so schlecht, dass einige nach Lesbos zurückkehren – wie etwa jener Somalier, der Anfang September die Fähre von Athen nahm und erstmals das Coronavirus in die Flüchtlingsunterkunft auf Lesbos einschleppte. Auf der Insel gibt es zumindest ein Dach über dem Kopf, Toiletten und eine Mahlzeit am Tag.

Während die griechischen Behörden mit dem Uno-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR die Notlage nach dem Brand auf Lesbos beendet haben und die obdachlos gewordenen Flüchtlinge nun im neuen Lager Kara Tepe untergebracht sind und dort versorgt werden, ist das Elend auf das Festland verschoben worden. (Adelheid Wölfl aus Athen, 30.9.2020)