Mit dem Tod der Höchstrichterin Joan Ruth Bader Ginsburg ist nun eingetreten, wovor sich viele Progressive in den USA gefürchtet haben: Der Posten von Ginsburg am Supreme Court wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit der erzkonservativen Katholikin Amy Coney Barrett besetzt. US-Präsident Donald Trump hat sie nominiert. Das ist besonders bitter, hat Ruth Bader Ginsburg doch die gesetzliche Gleichstellung der Geschlechter im US-Recht vorangetrieben und sich stets vor das Grundsatzurteil Roe vs. Wade gestellt, das Verbote des Schwangerschaftsabbruchs verhindert.

Das Oberste Gericht ist in den USA die letzte Instanz in weitreichenden gesellschaftspolitischen Fragen wie Einwanderung, Diskriminierung, Abtreibung oder auch Waffenrecht. Mit Barrett wurde eine Höchstrichterin nominiert, die für alles Ultrakonservative steht.

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Amy Coney Barrett wird wohl US-Höchstrichterin werden.
Foto: AP / Chip Somodevilla

Turbokapitalistischer Wilder Westen

Sie hat sich in ihrer kurzen Zeit als Richterin am Bundesberufungsgericht in Chicago seit 2017 – übrigens ihr erster Richter*innenjob – in Fragen der Abtreibung stets für Verschärfungen ausgesprochen. Etwa für eine strengere Regelung bei der Benachrichtigung der Eltern von minderjährigen Schwangeren oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Behinderung des Fötus. Sie ist mit einem liberalen Waffenrecht ebenso auf einer Linie wie mit maximalem Wirtschaftsliberalismus. Gegen "Obamacare", das erstmals 20 Millionen US-Amerikaner*innen eine Krankenversicherung gebracht hat, ist sie wenig überraschend auch. Barrett könnte demnach einem turbokapitalistischen Wilden Westen, in dem Frauen nichts zu melden haben, viel abgewinnen. Dass Barrett beteuert, sie könne ihren Glauben aus ihren Entscheidungen als Richterin heraushalten, sollte uns nicht minder nervös machen.

Männern gehorchen

Dem kann man nicht trauen, die Widersprüche sind einfach zu groß. Bei ihrer Rede zur Nominierung als Höchstrichterin zollte sie Ruth Bader Ginsburg großen Respekt. Diese habe enorm viel für Frauen erreicht, habe gläserne Decken "zerschmettert", so Barrett. Andererseits hat sie Verbindungen zu der radikalchristlichen Gemeinschaft "People of Praise", in der Aussteiger*innen zufolge Frauen ihren Männern und dem geistlichen Oberhaupt Gehorsam versprechen. Barrett sagte in ihrer Zeit als Professorin an der katholischen Notre Dame Law School, wo sie selbst studiert hat, die Justiz sei nur ein "Mittel zum Zweck", aber das wahre Ziel sei, ein "Reich Gottes aufzubauen". Jetzt stelle man sich einmal kurz vor, eine Anwärterin auf diesen höchsten Richterposten sei islamischen Glaubens und habe diesen Satz öffentlich geäußert – dass es eigentlich darum gehe, "Allahs Reich aufzubauen". Das wäre undenkbar, doch geht es um christlichen Fanatismus, sitzen die Zügel locker.

Bedrohliche radikale Christ*innen

Allein dass sich Amy Coney Barrett der Schule der "Originalisten" zuordnet, ist für LGBTIQ-Rechte und Frauenrechte bedrohlich. Die juristische Ansicht der "Originalisten" besagt, dass die US-Verfassung und die Gesetzte wortwörtlich anzuwenden sind. "Ein Richter muss das Gesetz so anwenden, wie es niedergeschrieben ist", zeigt sich auch Barrett überzeugt. Ruth Bader Ginsburg verfolgte hingegen den Ansatz, die Verfassung und Gesetze im Lichte der Gegenwart zu interpretieren. Nun, für sämtliche emanzipatorischen Belange ist das schlicht notwendig.

Amy Coney Barrett wird gegen das Grundsatzurteil Roe vs. Wade vorgehen, sobald sie die Gelegenheit dazu hat. So viel steht fest. Die radikalen christlichen Gemeinschaften in den USA, von den Evangelikalen bis hin zu gemäßigteren katholischen Kreisen, bedrohen seit Jahrzehnten fundamentale Frauenrechte. Nun sind sie durch Donald Trump ihren Zielen einen großen Schritt nähergekommen. Und das könnte für Frauen und Mädchen der nächsten Generationen ein amerikanischer Albtraum werden. (Beate Hausbichler, 1.10.2020)